EU-Kommission für Finanzsteuer "Zeit für Finanzsektor, etwas zurückzugeben"
Spekulationsgeschäfte sollen künftig besteuert werden. Die EU-Kommission schlug eine Finanztransaktionssteuer für Europa vor. "Dies ist eine Frage der Fairness", sagte Kommissionspräsident Barroso. Im EU-Parlament bekam er viel Beifall für seine Forderungen nach einer Stärkung der Gemeinschaft.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkkorrespondent Brüssel
Kämpferische Appelle für mehr Europa und ein konkreter Vorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer: Kommissionschef José Manuel Barroso hat versucht, das Image des Zauderers abzuschütteln. Um aus der "schwersten Krise der Union" herauszufinden, will Barroso den großen Sprung nach vorn. "Wir müssen weiter voranschreiten, wir brauchen eine richtige Integration der Eurozone, wir müssen die Währungsunion mit einer richtigen Wirtschaftsunion vervollständigen", sagte Barroso.
Unter dem starken Beifall der Parlamentarier ging er auf verbalen Konfrontationskurs mit der Bundeskanzlerin und dem französischen Staatschef. Die beiden hatten im August eine Wirtschaftsregierung aus den Regierungschefs der Eurozone vorgeschlagen, angeführt von EU-Ratspräsident Van Rompuy. Barroso kritisierte das: "Die EU-Kommission ist die Wirtschaftsregierung der Union. Wir brauchen dazu gewiss nicht noch mehr Institutionen." Verhandlungen zwischen den Regierungen seien der völlig falsche Ansatz, es müsse eine Stärkung der gemeinschaftlichen Institutionen, sprich der EU-Kommission, her.
Anti-Krisen-Strategie bleibt vage
Jenseits des kämpferischen Tons blieb Barroso bei der konkreten Ausgestaltung der Anti-Krisen-Strategie aber vage. Deutlicher als bisher sprach er sich für Eurobonds, also für gemeinsame Anleihen der Eurostaaten, aus. Die taufte er in seiner Rede in "Stabilitätsbonds" um, in dem - höchstwahrscheinlich vergeblichen - Bemühen, sie der Bundesregierung schmackhafter zu machen. Vorschläge dazu wolle die EU-Kommission in den nächsten Wochen vorlegen.
Die einzige konkrete Initiative, die Barroso heute ankündigen konnte, war die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Eine solche Abgabe auf Börsengeschäfte sei eine "Frage der Fairness". Die europäischen Steuerzahler hätte die Banken seit dem Ausbruch der Finanzkrise mit viereinalb Billionen Euro gestützt. Jetzt sei es "Zeit für den Finanzsektor, der Gesellschaft auch etwas zurückzugeben", sagte Barroso. Die EU-Kommission rechnet mit jährlichen Einnahmen von über 50 Milliarden Euro.
Eine Finanztransaktionssteuer soll bei jedem Kauf oder Verkauf von Aktien, Devisen, festverzinslichen Wertpapieren und anderen wichtigen Finanzprodukten gezahlt werden. Die Abgabe könnte dazu beitragen, Spekulationsgeschäfte einzudämmen.
Vor allem Globalisierungskritiker fordern seit Jahren eine solche Spekulationssteuer - die Rede ist von 0,1 bis 0,25 Prozent. Selbst ein geringerer Steuersatz von lediglich 0,01 bis 0,05 Prozent für den Handel mit Finanzprodukten würde nach früheren Berechnungen allein in Deutschland zu Steuereinnahmen zwischen zehn und 20 Milliarden Euro führen.
Die Idee einer Finanztransaktionssteuer geht auf den US-Ökonomen James Tobin zurück. Er brachte 1972 eine Steuer auf alle grenzüberschreitenden Devisenspekulationen ins Spiel und hatte eine Abgabe von einem Prozent vorgeschlagen.
Kämpferisch für mehr Europa
Die Bundesregierung drängt schon lange auf die Einführung der Finanztransaktionssteuer und hat die Kommission mehrmals aufgefordert, endlich einen Vorschlag vorzulegen. Von den Parlamentariern erntete der Konservative Barroso ziemlich einhellig Beifall für seinen Ruf nach mehr Europa. Auch aus dem anderen politischen Lager, vom Fraktionschef der Sozialdemokraten, Martin Schulz, kam Anerkennung: "Sie haben sich endlich kämpferisch gezeigt - als jemand der bereit ist, und wie wir heute gehört haben, notfalls auch im Kampf, die Gemeinschaftsmethode zu verteidigen."
Das Lob der Parlamentarier kann Barroso als wichtigen persönlichen Erfolg verbuchen. Die Unzufriedenheit mit dem Portugiesen hatte im Straßburger Parlament zuletzt stark zugenommen. Allerdings handelt es sich bestenfalls um eine Atempause. Die Abgeordneten von links bis rechts machten Barroso auch klar, dass sie nun auch mehr konkrete Schritte erwarten.