Kritik an Brief von Ökonomen gegen Gipfelbeschlüsse "Der Aufruf schürt lediglich Ängste"
160 Wirtschaftswissenschaftler laufen Sturm gegen die Beschlüsse des EU-Gipfels - und nun laufen andere Ökonomen Sturm gegen den offenen Brief, den die Kritiker verfassten. Von "Stammtisch-Ökonomie" sprach etwa der Wirtschaftweise Bofinger. Auch mehrere Politiker griffen die Kritiker scharf an.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält die Kritik von rund 160 Ökonomen an den jüngsten Beschlüssen des EU-Gipfels für unverantwortlich. Wenn die Wirtschaftswissenschaftler von einer drohenden Vergemeinschaftung von Bankenschulden sprächen, dann treffe das überhaupt nicht zu, sagte Schäuble dem rbb. "Im Kern geht es ja nicht darum, die Haftung zu vergemeinschaften, sondern eine gemeinsame Aufsicht in Europa zu schaffen", sagte er. "Ich finde das empörend. Ich finde das der Verantwortung eines Wissenschaftlers nicht entsprechend", kritisierte Schäuble. Er warf den Wissenschaftlern vor, mit "Horrormeldungen" Verwirrung in der Öffentlichkeit zu stiften.
Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider nannte den Protestaufruf der Ökonomen "sehr hysterisch". Er teile aber grundsätzlich die Skepsis der Wirtschaftswissenschaftler gegenüber der Bankenunion, sagte er dem rbb. "Union hört sich immer gut an, bedeutet aber, dass unter dem Schirm der EZB quasi alle Banken rekapitalisiert werden." Falls die Banken Verluste hätten, "springt der Rettungsfonds ein und füllt das Geld wieder auf".
Unterstützung bekam die Bundesregierung auch von Schleswig-Holsteins neuem Ministerpräsidenten, Torsten Albig. Der SPD-Politiker sagte im ARD-Morgenmagazin bei den Beschlüssen des EU-Gipfels stimme "nicht jedes Detail", sie seien aber "im Kern richtig".
Kritik von zahlreichen anderen Ökonomen
Kritik an den Ökonomen kommt auch von Kollegen. Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, sagte der "Financial Times Deutschland": "Das ist schlimmste Stammtisch-Ökonomie." Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, kritisierte in derselben Zeitung: "Der Aufruf schürt lediglich Ängste und zeigt keinen einzigen Weg zur Lösung der Probleme auf."
Eine "kritische Stellungnahme" von Ökonomen unterschiedlichster Denkrichtungen liegt dem "Handelsblatt" vor. Die Öffentlichkeit sei durch Ängste geprägt, die sich mehr aus unbestimmten Gefühlen als aus sachlichen Informationen speisten. Es könne "nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern", kritisierten die Autoren, zu denen Ex-Sachverständigenratschef Bert Rürup, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, und der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, zählen.
Offener Brief gegen die Gipfelbeschlüsse
In einem offenen Brief hatten 160 deutschsprachige Wirtschaftswissenschaftler die jüngsten Beschlüsse des EU-Gipfels scharf kritisiert. Die Entscheidungen, zu denen sich Kanzlerin Angela Merkel "gezwungen" sah, seien falsch gewesen, heißt es in dem Schreiben, das der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer zusammen mit dem Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Hans-Werner Sinn, verfasste.
Besonders warnen die Ökonomen vor der geplanten Bankenunion und der Möglichkeit direkter Hilfen an angeschlagene Banken durch den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Die Bankenunion bedeute eine "kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems". Steuerzahler, Rentner und Sparer dürften für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden. "Banken müssen scheitern dürfen", so die Experten in dem an die "lieben Mitbürger" gerichteten Schreiben.