Interview "Rechte setzen zunehmend auf Umweltthemen"
Rechte Parteien greifen zunehmend Umweltthemen unter dem Deckmantel des Heimatschutzes auf, sagt die Expertin Stella Schaller. Bei konkreten Maßnahmen scheiden sich aber die Geister, ideologische Ungereimtheiten werden deutlich.
tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Bedeutung des Themas Klimaschutz für die AfD und vergleichbare Parteien in der EU ein?
Stella Schaller: In mehreren europäischen Ländern ist die Klimapolitik inzwischen das wichtigste politische Thema. Es gab nie mehr gesellschaftlichen Druck für Klimaschutz und mehr mediale Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit einer schnellen, gerechten Dekarbonisierung. Die AfD und einige ihrer Pendants in Europa haben das Konfliktpotenzial dieser Transformation und Schwächen in der bisherigen Klimapolitik ihrer jeweiligen Regierungen erkannt. Sie nutzen beides für ihre Zwecke.
Stella Schaller ist Klimaexpertin bei der Berliner Denkfabrik adelphi. Gemeinsam mit Alexander Carius hat sie eine Studie zu Rechtspopulismus und Klimaschutz in Europa veröffentlicht.
tagesschau.de: Woran lässt sich die gestiegene Bedeutung ablesen?
Schaller: Das Thema hat insbesondere in der AfD, bei der Dänischen Volkspartei, den Wahren Finnen und teils den Schwedendemokraten seit Beginn des Jahres kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Die Anzahl ihrer Social-Media-Aktivitäten zu Klimathemen ist beispielsweise stark gestiegen. Die Parteien sprechen mit ihrer Rhetorik diejenigen an, die ihren bisherigen Lebensstil bedroht sehen oder sich abgehängt fühlen, befeuern Sorgen und Ressentiments gegen Eliten.
tagesschau.de: Aber gilt das für ganz Europa?
Schaller: Für andere rechtspopulistische Parteien wie beispielsweise die Lega in Italien ist der Klimaschutz noch immer kein oder nur ein Nischenthema. Meist, weil in den Ländern Klimaschutz eine geringe gesellschaftliche Relevanz hat und damit nichts zu gewinnen ist.
tagesschau.de: Welche Unterschiede gibt es zwischen den rechten Parteien in dieser Frage?
Schaller: Die AfD hält weiterhin resolut an weit hergeholten klimaskeptischen Positionen fest. Die Dänische Volkspartei hat diese nach der Wahlniederlage hingegen revidiert. Die Schwedendemokraten haben ihre Position auch aufgeweicht und argumentieren für vermeintlich CO2-arme Nuklearenergie.
Die Nationale Sammlungsbewegung Rassemblement National (RN) von Le Pen hat sich bislang nur vage zu Klimathemen geäußert und arbeitet sich an nationalen Umweltthemen ab. Die neue Parteidoktrin hat einen tiefgrünen Anstrich, fußt aber auf einer globalisierungskritischen und xenophoben Ideologie. Le Pen hat sich kürzlich zum Beispiel in einer Rede für die "ökologische Gesellschaft" ausgesprochen und "die Rückkehr zum Lokalen" gefordert.
Die Zuwendung zu grünen Themen ist aber wohl eher strategischen Überlegungen angesichts der anstehenden Kommunalwahl zuzuschreiben als einem wirklichen programmatischen Umdenken. Am Beispiel von Le Pen wird deutlich, wie taktisch viele Rechtspopulisten agieren und sie ihrer Programmatik den kontextbezogenen Anforderungen anpassen.
Die PiS in Polen, die wahrscheinlich wieder eine Mehrheit im nächsten Parlament erhält, ist weiter eisern, was ihre Unterstützung der Kohleförderung nach 2040 betrifft und will sich nicht mit den starken Gewerkschaften anlegen, spricht daher Klimaschutz kaum an beziehungsweise setzt auf Atomkraft, um ihre Emissionsziele zu erreichen. Die Wahren Finnen haben Umweltschutz zum Kern ihres Programms gemacht, argumentieren aber weiter vehement gegen klimapolitische Maßnahmen.
tagesschau.de: Und gibt es auch Gemeinsamkeiten?
Schaller: Die Gemeinsamkeiten der Parteien sind eine anti-elitäre, völkisch-nationalistische Rahmung des Themas sowie wiederkehrende Argumentationslinien. Zum Beispiel: "Unser Land kann nicht die Probleme der Welt lösen!" Oder: "Wir riskieren Wettbewerbsfähigkeit! Auch die Diffamierung von Klimaaktivisten und -wissenschaftlern sowie die Verbreitung von Falschinformationen finden sich quasi in allen Staaten.
tagesschau.de: Inwieweit wird verstärkt auf eine Strategie gesetzt, die Umwelt- als Heimatschutz definiert?
Schaller: Erkennbar ist diese Rahmung des Themas Umwelt bei der AfD in ihrer "Dresdener Erklärung", bei der SVP und auch der RN. Ökologie ist dabei Teil des Rassen- und Identitätsdiskurses, den die Parteien führen; die Sprache erinnert an frühere Blut-und-Boden-Ideologien.
Bei der Dänischen Volkspartei wird der Schwenk in der Klimapolitik unter anderem dadurch begründet, dass Klimaflüchtlinge reduziert werden sollen, daher setzt die Partei in letzter Zeit auf Klimaanpassung durch Entwicklungshilfe im globalen Süden.
tagesschau.de: Vergrößern sich die Unterschiede in der Strategie?
Schaller: Die französische Nationale Sammlungsbewegung argumentiert zunehmend auch mit regulatorischen Maßnahmen für den Umweltschutz - beispielsweise Importzölle, während die AfD stark marktliberale Positionen vertritt. Auch in puncto Ausbau erneuerbarer Energien vergrößern sich Unterschiede. Insgesamt werden mehr Umweltthemen unter dem Deckmantel des Heimatschutzes aufgegriffen. Bei Klimaschutzmaßnahmen scheiden sich die Geister und offenbaren sich ideologische Paradoxien und Ungereimtheiten innerhalb der Parteien.