Sanremo-Festival Wenn die musikalische Bühne politisch wird
Eigentlich geht es beim Sanremo-Festival in Italien nur um Musik. Doch in diesem Jahr mischten sich deutliche politische Statements unter den Italo-Schlager. Und auch die Regierung horchte auf.
Glanz, Glitzer, Glamour und Musik, die versucht, sich in die Ohren zu schmeicheln. Und das Ganze bei Rekord-Einschaltquoten. Alles wie immer beim Sanremo-Festival - so scheint es. In Wahrheit ist vieles ganz anderes in diesem Jahr beim Hochfest der populären italienischen Musik, das lange Synonym war für seichten Italo-Schlager.
Denn in diesem Jahr präsentiert sich das Festival, für viele Italienerinnen und Italiener eine Art Nationalheiligtum, widerspenstig, rebellisch, politisch.
Ein Loblied auf Verfassung und Meinungsfreiheit
Die Richtung gab Roberto Benigni vor. Seinen Auftaktmonolog am Premierenabend nutzte der Komiker und Oscar-Gewinner für eine Ode an Italiens demokratische Verfassung - und eine Liebeserklärung an den Artikel 21, der das Recht auf freie Meinungsäußerung festschreibt. "Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie lieb ich diesen Artikel habe", sagte er mit Benigni-typischer Begeisterung: "Denn vor dieser Verfassung, in den 20 Jahren des Faschismus, konnte man nicht frei denken." Nicht einmal das Sanremo-Festival hätte man damals machen können. Der Artikel 21 der Verfassung habe Italien "von der Pflicht befreit, Angst zu haben".
Aus der Loge nickte zustimmend Italiens Präsident Sergio Mattarella, der erstmals in Sanremo dabei war und dessen Vater die Verfassung mitgeschrieben hat.
Die Tageszeitung "La Repubblica" schrieb am nächsten Tag: Die fröhlichste, aber auch entschiedenste Opposition gegen die rechte Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni komme vom Sanremo-Festival.
Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit: Auch Oscar-Gewinner Roberto Benigni wurde in seiner Laudatio äußerst politisch.
Gerappte Attacken gegen Minister
Dort nutzte am zweiten Tag Italiens bekanntester Rapper Fedez die Showbühne, um seinen schwulen Kollegen Rosa Chemical zu verteidigen und einen Vertreter der Regierung im Rap zu attackieren:
Wenn Rosa Chemical nach Sanremo geht, bricht Streit aus. Vielleicht ist ein Vizeminister besser, der sich als Hitler verkleidet.
Eine Anspielung auf Melonis Vize-Verkehrsminister Galeazzo Bignami, der sich 2005 als 30-Jähriger zum Junggesellenabschied in Naziuniform mit Hakenkreuz hatte ablichten lassen. Fedez zerriss zum Abschluss seines Rap-Freestyles auf der Bühne ein Foto des Vizeministers - und über zehn Millionen Italienerinnen und Italiener schauten zu. An diesem Abend erreichte Sanremo eine Spitzen-Einschaltquote von mehr als 62 Prozent.
Salvini könne ja umschalten
Italiens stellvertretender Regierungschef Matteo Salvini ließ wissen, ihm gefalle nicht, dass bei Sanremo Inhalte auftauchten, die auf einem Musikfestival nichts zu suchen hätten.
Sanremo-Moderator Amadeus reagierte in einer Pressekonferenz auf die Salvini-Kritik mit einem Schulterzucken - und der Empfehlung, das Fernsehprogramm zu wechseln. "Es reicht, Sanremo nicht zu gucken", meinte Amadeus. Wenn Salvini etwas anderes schauen wolle, respektiere er dies.
Mit neuem Moderator kam der Wandel
Die politische Wende im Charakter Sanremos hat viel mit Moderator Amadeus zu tun. Er heißt mit bürgerlichem Namen Amadeo Sebastiani und ist als Moderator, wie beim Festival üblich, gleichzeitig auch künstlerischer Leiter ist. Die Italienerinnen und Italiener kannten ihn lange nur als harmlosen Unterhaltungsmoderator von Vorabend-Rateshows in der RAI. Seitdem er vor vier Jahren die Festival-Moderation übernommen hat, entwickelt sich der freundliche Amadeus immer mehr zu einem Vorkämpfer für Toleranz und Meinungsfreiheit.
In diesem Jahr holte Amadeus für einen Abend als Assistentin die italienische Volleyball-Spielerin Paola Egonu an seine Seite, die im Sport Opfer rassistischer Attacken geworden war. Beim Auftaktabend stand Influencerin (und Fedez-Ehefrau) Chiara Ferragni neben ihm. Sie verlas ein Manifest für Respekt vor dem weiblichen Körper und rief alle Mädchen dazu auf, sich so zu akzeptieren, wie sie sind.
Das alles bei einem Sanremo-Festival, das, ungeachtet aller politischen Widerspenstigkeit, musikalisch in diesem Jahr überwiegend traditionell daherkommt. Nach den ersten drei Tagen führte in der Punktewertung Marco Mengoni mit "Due Vite", einem Song im typischen Italo-Sound.