Antisemitismus-Vorwurf Roth fordert Konsequenzen bei documenta
Das Banner eines indonesischen Künstlerkollektivs auf der documenta sorgt für scharfe Kritik. Kulturstaatsministerin Roth sprach von einer "antisemitischen Bildsprache" und forderte Konsequenzen. Inzwischen reagierten die Organisatoren.
Kurz nach der Eröffnung der documenta fifteen haben neue Vorwürfe die seit Monaten schwelende Antisemitismus-Debatte um die Schau weiter angefacht. Konkret geht es um einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Auf deren großflächigem Banner am Kasseler Friedrichsplatz ist unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht zu sehen.
Auch trägt der Soldat ein Halstuch mit einem Davidstern sowie einen Helm mit der Aufschrift "Mossad". Das ist der Name des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Auf dem gleichen Bild ist ein Mann mit Kippa, Hut und Schläfenlocken zu sehen, der blutunterlaufene Augen, spitze Zähne und eine krumme Nase hat.
Dieses Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der documenta fifteen sorgt für Diskussionen: Links unten die Soldaten mit Davidstern, rechts daneben das Abbild eines Mannes mit Kippa und spitzen Zähnen.
Roth kritisiert "antisemitische Bildsprache"
Kulturstaatsministerin Claudia Roth kritisierte die "antisemitische Bildsprache". "Die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit sind die Grundlagen unseren Zusammenlebens, und hier findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen", erklärte sie. Die documenta müsse das "umgehend gegenüber den Kuratoren und Künstlern deutlich machen und die notwendigen Konsequenzen ziehen", so Roth.
Deutliche Worte fand auch die israelische Botschaft in Berlin: "Wir sind empört über die antisemitischen Elemente, die auf der derzeit in Kassel stattfindenden documenta 15 öffentlich gezeigt werden", teilte die Botschaft mit. "Die in einigen Exponaten gezeigten Elemente erinnern an die Propaganda von Goebbels und seinen Handlangern in dunklen Zeiten der deutschen Geschichte." Alle roten Linien seien nicht nur überschritten, sie seien zertrümmert worden. "Diese Elemente sollten sofort aus der Ausstellung entfernt werden."
"Klare antisemitische Hetze"
Das American Jewish Committee Berlin forderte sogar die Entlassung der documenta-Geschäftsführerin: Sabine Schormann solle umgehend von ihren Aufgaben entbunden werden, "der offen zur Schau gestellte Antisemitismus unverzüglich unterbunden und die entsprechenden Werke entfernt werden", erklärte Direktor Remko Leemhuis.
Auch der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank forderte die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel auf, den Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs zu entfernen. "Das ist klare antisemitische Hetze und eine Grenzüberschreitung", sagte Meron Mendel.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Joseph Schuster, erklärte Kunstfreiheit ende dort, wo Menschenfeindlichkeit beginne. "Auf der documenta wurde diese rote Linie überschritten." Die Verantwortlichen müssten jetzt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und Konsequenzen ziehen.
"Antisemitismus bleibt Antisemitismus"
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker forderte ebenfalls, das Werk zu entfernen. "Antisemitismus bleibt Antisemitismus, ob gesprochen, gemalt oder gesungen. Die gewählten Motive des Künstlerkollektivs lassen keinen Spielraum für Interpretationen zu, sondern haben eindeutig antisemitischen Charakter", sagte Becker.
Auch Hessens Kunstministerin Angela Dorn, die auch die stellvertretende documenta-Aufsichtsratsvorsitzende ist, sprach von antisemitischer Bildsprache. Sie habe deshalb umgehend Kontakt zur Generaldirektorin der documenta, Schormann, aufgenommen mit dem Ziel, schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, erklärte, es sei vollkommen unverständlich, wie die documenta-Verantwortlichen es zulassen konnten, dass diese antisemitischen Werke trotz aller Diskussionen im Vorfeld ausgestellt wurden.
Banner vorerst verdeckt
Nach der Vielzahl der Antisemitismus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen wurde das Banner inzwischen abgedeckt. Aufgrund einer Figurendarstellung des Kollektivs, die antisemitische Lesarten ermöglicht, habe sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung "entschieden, die betreffende Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren", teilte die documenta mit.
Schon im Vorfeld der Ausstellung war deren Organisation vor allem wegen des Umgangs mit Israel kontrovers diskutiert worden. Kritik gab es besonders an dem indonesischen Kunstkollektiv Ruangrupa, dem die künstlerische Leitung übertragen worden war. Ruangrupa wurde vorgeworfen, Organisationen mit einzubeziehen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellten oder einen Boykott des Landes unterstützten.
Steinmeier: Bedenken vor der Eröffnung
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Rede zur Eröffnung, dass er lange gezweifelt habe, ob er die Ansprache überhaupt halten solle. "Denn so berechtigt manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, ist", die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit sei "bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte".
Zudem nannte es Steinmeier verstörend, wenn "neuerdings häufiger Vertreter des globalen Südens sich weigern, an Veranstaltungen, an Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis teilnehmen". In diesem Zusammenhang falle es auf, dass "auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen oder Künstler aus Israel vertreten sind".
Ruangrupa und die documenta wiesen die Anschuldigungen entschieden zurück. Eine zur Beruhigung gedachte Diskussionsreihe wurde abgesagt.