Zerstörtes Haus in Charkiw
Kommentar

Krieg gegen die Ukraine Warten auf innerrussischen Druck

Stand: 24.03.2022 19:17 Uhr

Nach einem Monat Krieg in der Ukraine stellt sich der Westen die Frage: Was können wir noch tun, um Putin zu stoppen? Es kommt jetzt auf die russischen Eliten, auf Politiker und Militärs an.

Ein Kommentar von Helga Schmidt, ARD Brüssel

Der Westen müsste mehr tun. Mehr riskieren, nicht zusehen, wie Putins Bomben auf ukrainische Krankenhäuser fallen, Familien zerstören und Kinder zu Waisen werden. Einfach mehr Mut zeigen - wer hätte diesen Gedanken nicht auch schon mal durchgespielt. Weil es einfach kaum zu ertragen ist, wenn man die Bilder sieht: die Mutter tot am Boden liegend, mit zwei kleinen Kindern im Arm. Und dann wieder unfassbar tapfere Menschen, die sich unbewaffnet vor die russischen Gewehrläufe stellen. Und dabei noch singen.

Kein Kriegsende in Sicht

Solche Bilder lösen immer wieder den einen Reflex aus: dass es mit keiner Moral vereinbar ist, wenn der Westen Putin nicht sofort in seinem Größenwahn stoppt. Vier Wochen nach dem Beginn des Krieges ist aber kein Ende in Sicht - und der Westen hat fast alle Mittel eingesetzt, die zu verantworten sind. Er hat die schärfsten Sanktionen verabschiedet, die je gegen ein Land gerichtet wurden. Sie wirken - aber das dauert. Er hat Einigkeit bewiesen, auch heute wieder in der NATO - das allein ist ein Erfolg für die Allianz.

Denn es ist ja noch gar nicht lange her, dass das Bündnis vor der Zerreißprobe stand, und da waren Donald Trumps Alleingänge nur eine Ursache von ganz vielen. Stattdessen sehen wir jetzt Einigkeit und Geschlossenheit von Washington bis Warschau. Das ist auch Putins Werk, obwohl er ja eigentlich das Gegenteil bewirken wollte: Spalten und den Westen auseinandertreiben.

Merkel hat einseitig auf Putin gesetzt

Für die Bundesregierung ist das eine ganz besondere Herausforderung. Gut drei Monate im Amt muss sie geradestehen für das, was 16 Jahre lang falsch gelaufen ist in der deutschen Außenpolitik. Dass Angela Merkel bis zum Ende ihrer Kanzlerschaft und mit Unterstützung vieler Sozialdemokraten die Interessen der Wirtschaft stets vor strategische Ziele Deutschlands gestellt hat, dass sie bei der Energieversorgung einseitig auf Putin setzte und dabei alle Regeln einer vernünftigen Risikostreuung außer Acht ließ und gleichzeitig auch noch den Ausbau der erneuerbaren Energien gezielt behindern ließ - das alles gehört zum Erbe von Angela Merkel. Und das schränkt jetzt den Handlungsspielraum der Ampel-Koalition ein.

Deutschland kann eben nicht wie andere Länder einfach auf Russlands Gas verzichten, dafür ist die Abhängigkeit zu groß. Dazu kommt, dass ein Absturz der deutschen Wirtschaft den gesamten europäischen Binnenmarkt mit in eine tiefe Rezession reißen würde. Was also tun?  

Noch mehr Sanktionen, noch mehr Waffen?

Weitere Sanktionen sind möglich, ja, und es können noch ein paar Oligarchen mehr enteignet werden. Es können auch noch mehr Waffen an die Ukraine geliefert werden. Aber ob das alles den brutalen Krieg Putins wirklich beenden wird, ist völlig offen.

Wahrscheinlicher ist, dass es am Ende auf die russischen Eliten ankommt. Jene, die ihre lieb gewonnenen westlichen Statussymbole vermissen und, wichtiger noch, all die Politiker und Militärs, die Putin lange unterstützt haben und die jetzt erkennen, dass ihr Land, das zu historischer Größe geführt werden sollte, in Wahrheit zum Aussätzigen der internationalen Staatengemeinschaft geworden ist.

Es kann sein, dass dieser Erkenntnisprozess noch dauert, es kann aber auch sein, dass es schnell geht, niemand ist in der Lage, das vorauszusagen. Es ist Putins Krieg und zur ernüchternden Erfahrung der vier Kriegswochen gehört, dass es am Ende der innerrussische Druck sein wird, der Putins Krieg am ehesten beenden kann.

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Helga Schmidt, Helga Schmidt, ARD Brüssel, 24.03.2022 18:40 Uhr