Fall Skripal EU karikiert ihre eigenen Werte
In einem Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung - auch im Fall Skripal. Doch mit der Ausweisung russischer Diplomaten hat die EU dieses Prinzip mit Füßen getreten - und ihre eigenen Werte karikiert.
Ja, es war Nowitschok. Soviel ist sicher. Doch woher der Stoff stammt, mit dem der Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter vergiftet wurden, sagt bislang niemand öffentlich. Alles, was es gibt, sind Behauptungen. Dass Russland dahinter steckt, ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, wenn man sich andere Fälle in der Vergangenheit anschaut - aber es ist eben nicht eindeutig bewiesen.
Und genau das ist das Problem: Solange der Schuldige nicht gefunden ist, ranken sich Mutmaßungen um den Fall. Eindeutige Beweise können weder Forschungslabore noch die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) in Den Haag bringen. Sie sind Chemiker, keine Ermittler. Um die Wahrheit ans Licht zu bringen, müssen die Geheimdienste ihre Erkenntnisse offenlegen, wenn sie denn welche haben.
Es gilt die Unschuldsvermutung
Rechtsstaatlich sauber wäre es gewesen, wenn man nach dem Gift-Attentat erst einmal alle Fakten gesammelt und solange ermittelt hätte, bis es ein Ergebnis gibt. Mit Beweisen in der Hand hätte man Sanktionen gegen Russland verhängen sollen. Doch EU-Länder und die NATO haben russische Diplomaten voreilig ausgewiesen und damit ihre eigenen Grundprinzipien und Werte über Bord geworfen. Es gibt die Unschuldsvermutung in der Europäischen Menschenrechtskonvention, und die besagt, dass jeder solange als unschuldig gilt, bis seine Schuld festgestellt wurde.
15 EU-Staaten und weitere Länder wiesen Dutzende russische Diplomaten aus.
Die Europäische Union hat sich durch die vorschnelle Ausweisung von russischen Diplomaten selbst in eine prekäre Situation gebracht. Sie hat die Spirale der diplomatischen Streitigkeiten gestartet und der russischen Regierung damit die Möglichkeit gegeben, sich als Unschuldslamm darzustellen. Präsident Wladimir Putin zieht innenpolitischen Erfolg daraus, indem er die Ausweisungen als "feindlichen Akt" gegen Russland verkauft.
Angst vorm diplomatischen Gesichtsverlust
Dass Großbritannien es eilig hatte, einen Schuldigen zu finden, ist auch klar. Der Fall Skripal war für Premierministerin Theresa May die Gelegenheit, sich nach den vielen schlechten Schlagzeilen wegen des Brexit mal wieder mit einem anderen Thema ins rechte Licht zu rücken und Stärke zu beweisen. Auch Deutschland und andere EU-Länder bleiben bei ihrer Position, dass es wohl die Russen waren, weil alles andere jetzt ein diplomatischer Gesichtsverlust wäre. Man steht in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten offenbar lieber eng bei den Briten, selbst wenn eindeutige Belege fehlen, denn sich als Europäer spalten zu lassen.
Wer Beweise hat, muss sie auf den Tisch legen. Damit es im mysteriösen Fall Skripal nicht mehr nur um Behauptungen geht, sondern um die Wahrheit.
Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.