EVP-Ablehnung des Naturschutzgesetzes Stimmenfang auf Kosten der Natur
Trotz des mahnenden Appells von über 3000 Wissenschaftlern hat die EVP im EU-Parlament ein Naturschutzgesetz blockiert. Und das nur, um Stimmen zu gewinnen - doch damit erweist sie ihren Wählern einen Bärendienst.
Normalerweise sind Abstimmungen im Umweltausschuss kein Highlight in Brüssel. Routinearbeit für die Abgeordneten, meist unter dem Radar von Kameras und Mikrofonen. Bei der Abstimmung über das Gesetz mit dem etwas sperrigen Namen "Gesetz zur Wiederherstellung der Natur" war das anders, es dürfte in die Parlamentsgeschichte eingehen.
Und das nicht wegen der Abstimmungsschlacht mit Hunderten Änderungsanträge verteilt über zwei Tage. So etwas kommt schon mal vor im EU-Parlament. Einzigartig ist die Ausschussabstimmung, weil sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen den einhelligen Rat von mehreren Tausend Wissenschaftlern stellte.
EVP stellt sich gegen den Rat Tausender Wissenschaftler
Man kann das gar nicht genug betonen: Rund 3300 Wissenschaftler aus 26 Mitgliedsstaaten der EU hatten sich zusammengetan - Professoren und Dozenten, darunter die Elite von Europas Naturwissenschaftlern - und in einem beispiellosen öffentlichen Aufruf an die Abgeordneten appelliert, das Naturschutzgesetz nicht weiter zu blockieren. Dafür zu sorgen, dass das Artensterben aufhört und Naturschutzgebiete in Europa endlich wirklich respektiert werden. Und dass Wälder, Moore und Feuchtwiesen als wertvolle CO2-Speicher gegen die Klimakrise geschützt werden.
Alles ist wissenschaftlich belegt, in unzähligen internationalen Studien, alles nachvollziehbar formuliert - auch für nicht wissenschaftlich vorgebildete Leser. Trotzdem hat sich die größte Fraktion im Parlament jetzt gegen den Rat der Wissenschaftler gestellt.
Die Europäische Volkspartei, in der die deutschen CDU/CSU-Abgeordneten die Mehrheit stellen, lehnt das Gesetz ab. Den Grund nennt ihr Vorsitzender Manfred Weber, CSU, ganz offen selbst. Die Europäische Volkspartei sei eine Bauernpartei, sagte er Anfang Mai beim Parteitreffen in München, und gab damit grünes Licht für die Blockade gleich mehrerer Naturschutzgesetze der Brüsseler Kommission.
Vor den Wahlen im Herbst punkten
Naturschutz gegen die Interessen der Landwirtschaft auszuspielen, das ist eine beliebte Wahlkampftaktik der Christdemokraten. Auch jetzt wieder. Im Herbst wird in Polen und auch in Bayern gewählt und da scheint man mit alten Wahlkampfschlagern punkten zu wollen.
Dass Brüssel zu viele und falsche Regeln vorschreibt, dass die Ernährungssicherheit auf dem Spiel steht (in der aktuellen Version: wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine) und dass Naturschutz schön und gut ist, aber nicht, wenn es gegen die Interessen der Landwirtschaft geht. Die Menschen mitnehmen, heißt das in der gefühligen EVP-Sprache, frei von Ideologie natürlich.
Bauern würden vom Naturschutz profitieren
Was die Christdemokraten beharrlich verschweigen: Europas Bauern sind längst Opfer von zu wenig Naturschutz. In Südspanien sind die Böden steinhart, mehr als 40 Grad in dieser Woche machen normalen Ackerbau unmöglich. In Frankreich muss das Wasser rationiert werden, Norditaliens fruchtbarste Ebenen vertrocknen.
In Mecklenburg sind unzählige Hektar Land erodiert, im Rheinland sehen die Bauern kaum noch Rebhühner auf ihren Feldern. Die Brut ist verhungert, die Pestizide haben die Zahl der Insekten dezimiert. Und überall in Deutschland ist das Grundwasser mit Nitrat verdorben, eine Folge der Gülleflut. Solche Schreckensmeldungen lassen sich fortsetzen, die Wissenschaftler haben sie alle aufgeschrieben.
Die Christdemokraten gegen die Vernunft
Dass sich daran trotzdem nichts ändert, daran wirkten deutsche Unionspolitiker immer schon kräftig mit. Als Minister besetzten sie fast zwei Jahrzehnte das Bundeslandwirtschaftsressort und konnten so in Brüssel eine Agrarreform nach der anderen scheitern lassen. Auch jetzt wieder: Die Christdemokraten gegen die Brüsseler Kommission, gegen 3300 Wissenschaftler, gegen die Vernunft.
Für die Landwirte aber geht es tatsächlich ums Überleben. Unter dem Druck der Agrarindustrie und der eigenen Verbandsfunktionäre haben sie bisher billig und viel zu oft auf Kosten der Natur produziert. Umso dringender brauchen sie jetzt neue Regeln zum Schutz ihrer Böden, für gesunde Wälder und Wiesen mit vielen Insekten. Das ist ihre Existenzgrundlage.
Kein Grund also für die Christdemokraten, die Interessen der Bauern gebetsmühlenartig gegen den Naturschutz auszuspielen. Die Fraktion um Weber muss sich spätestens jetzt die Frage gefallen lassen, ob die Bewahrung der Schöpfung nicht eigentlich eine ureigene Aufgabe von Christdemokraten ist.
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