Teilnehmer des EU-Gipfels in Granada
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EU-Gipfel in Granada Einig nur in der Uneinigkeit

Stand: 06.10.2023 19:45 Uhr

Beim EU-Gipfel hat sich die Union wieder in zentralen Punkten zerstritten gezeigt. Dies ist umso fataler, da dringende Fragen in Bezug auf die Aufnahme neuer Mitglieder anstehen.

Ein Kommentar von Helga Schmidt, ARD Brüssel

Wie so oft: Er poltert und pöbelt. Der ungarische Premier Viktor Orban stellt beim Gipfel auf offener Bühne mal wieder die ganze EU in Frage und inszeniert sich dann noch als Opfer. Warum? Weil er seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Die Mehrheit hat ihn überstimmt beim Asylkompromiss - übrigens schon vor Monaten. Aber das stört einen Viktor Orban nicht. 

Und wie so oft bekommt er Schützenhilfe von einem anderen Mann: Polens Premier Mateusz Morawiecki, der auch nicht einsehen will, warum ein Mehrheitsbeschluss für alle gelten soll. Jedenfalls nicht für Polen und Ungarn, das ist die Botschaft der beiden Regierungschefs vom Gipfel in Granada - die Botschaft ist nach Hause gerichtet, ans heimische Publikum. Die Wähler sollen offensichtlich beeindruckt werden, mit nationaler Kraftprotzerei. 

Zukunftsthema gerät in den Hintergrund

Besonders ärgerlich ist, dass das eigentliche Gipfelthema dadurch in den Hintergrund gedrängt wurde. Und das ist ausgerechnet ein Thema, das über die Zukunft der Europäischen Union entscheiden wird. Die Frage, ob die EU in der Lage ist, weitere Mitglieder aufzunehmen und welche Reformen dafür nötig sind.  

Acht Länder sind in der Warteschleife, das sind die sechs Beitrittskandidaten des westlichen Balkans, außerdem die Republik Moldau und die Ukraine. Alle acht erwarten eine Antwort von der EU. Sie machen Druck, besonders die Ukraine. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, sagte Präsident Wolodymyr Selensyj beim Gipfel-Besuch in Granada, bis die Ukraine Mitglied der EU wird.

Dass sie Mitglied wird, steht für ihn außer Frage. Und Selenskyj wird darin noch bestärkt von einem hohen EU-Vertreter. Ratspräsident Charles Michel sagte kürzlich voraus, bis 2030 sei das zu schaffen. 

Regeln müssen erfüllt werden - von allen

Solche Versprechungen sind verhängnisvoll. Sie hängen die Erwartungen so hoch, dass sie eigentlich nur noch enttäuscht werden können. Die Aufnahme neuer Länder ist in der EU an klare Bedingungen geknüpft, die müssen erfüllt sein. Ein funktionierender Rechtsstaat gehört dazu. 

In der Ukraine aber hat die Brüsseler Kommission kürzlich erst bemängelt, dass es gravierende Probleme gibt mit Korruption, mit Geldwäsche, mit der Macht der Oligarchen und beim Umgang mit Minderheiten im Land. Allerdings hat die Ukraine gar keine Chance, daran mitten im Krieg etwas zu ändern - sie braucht Zeit. 

Peking und Moskau als Alternative zu Brüssel

Das zeigt die Erfahrung der anderen EU-Aspiranten vom westlichen Balkan. Einige verhandeln seit mehr als zehn Jahren mit der EU, die meisten mit nur ganz geringen Fortschritten. Zur Wahrheit gehört, dass es eben nicht in ein paar Jahren gelingt, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen. Wahrscheinlich braucht es Jahrzehnte, vielleicht Generationen.  

Trotzdem kann die EU die Kandidatenländer nicht einfach außen vor lassen. Auf dem Balkan orientieren sich viele Politiker schon jetzt in Richtung Peking oder Moskau, sie finden das attraktiver als das anspruchsvolle EU-Modell mit lauter Rechtsvorschriften. 

Serbiens Unterstützung für Putin ist ein Beispiel, die chinesischen Aktivitäten in Bosnien-Herzegowina ein zweites. Die Europäische Union muss dem etwas entgegensetzen - und das muss keine Vollmitgliedschaft sein. Freier Zugang zum europäischen Binnenmarkt wäre für die Menschen viel sinnvoller, sie hätten etwas davon. Die Möglichkeit, in der EU zu arbeiten, vielleicht ein Unternehmen gründen, freies Reisen, an einer europäischen Universität studieren.  

Privilegierte Partnerschaft als Alternative

Eine privilegierte Partnerschaft als Alternative zur Vollmitgliedschaft - die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen, die Staats- und Regierungschefs müssen sie jetzt intensiv weiterführen. Und die Eintrittsbedingungen für die Vollmitgliedschaft nicht aufweichen, denn der Rechtsstaat ist die Säule, auf dem die Union steht. Mitglieder, die daran rütteln, hat die EU schon genug. 

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Helga Schmidt, ARD Brüssel, tagesschau, 06.10.2023 18:19 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 06. Oktober 2023 um 17:31 Uhr.