Soldaten des ukrainischen Militärs fahren im Oblast Donezk nahe der Stadt Bachmut Patrouille.
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Diskussion über "Einfrieren" des Krieges Derzeit nur eine Scheindebatte

Stand: 19.03.2024 17:35 Uhr

Die Forderung nach einem "Einfrieren" des Krieges ist nicht zu Ende gedacht. Denn die Voraussetzungen fehlen. Erst müssen wichtige Fragen beantwortet werden: Wie etwa kann man die Ukraine künftig schützen?

Ein Kommentar von Rebecca Barth, ARD Kiew

Wer den russischen Angriffskrieg einfrieren will, der muss seine Forderung zu Ende denken - und komplizierte Fragen beantworten.

Niemand wünscht sich ein Ende des Krieges mehr als die Menschen in der Ukraine. Aber sie sind sich der Komplexität und Gefahr der Lage bewusster als manch deutscher Debattenteilnehmer. Und sie wissen: Die Grundvoraussetzungen für ein Einfrieren des Krieges fehlen zum aktuellen Zeitpunkt.

Die strategielose Ukraine-Politik des Westens hat das Land in eine schwierige Lage gebracht. Die Bevölkerung ist müde, die Partner unentschlossen, die Munitionsdepots leer und die russischen Truppen sind wieder auf dem Vormarsch. Da scheint es für den ein oder anderen nur allzu verführerisch, das Morden mit einem Einfrieren des Konflikts beenden zu wollen.

Beide Seiten wollen nicht verhandeln

In der Realität aber gibt es auch dafür seit zwei Jahren keine Strategie. Man müsse Russlands Präsident Wladimir Putin irgendwie an den Verhandlungstisch bringen, fordern einige. Aber wie genau, das wird nicht erklärt. Dabei ist genau dieses "irgendwie" der ausschlaggebende Punkt.

Beide Konfliktparteien müssen an den Verhandlungstisch gebracht werden. Tatsache aber ist, dass weder die Ukraine noch Russland zum aktuellen Zeitpunkt verhandeln will. Putin betonte zuletzt, er habe seine Kriegsziele noch nicht erreicht. Die Ukraine auf der anderen Seite hat auch kein Interesse an einem Einfrieren des Konflikts - denn wie soll sie sich vor weiteren russischen Angriffen schützen?

Was genau bietet man Russland an?

Wer den Konflikt einfrieren will, muss folgende Fragen beantworten können: Was genau bietet man Russland an, um im Gegenzug wenigstens einen Waffenstillstand herauszuhandeln? Wenn doch Putin selbst sagt, es wäre absurd jetzt zu verhandeln, nur weil der Ukraine die Munition ausgeht.

Wer den Konflikt einfrieren will, muss auch beantworten können, wie die Ukraine realistisch vor weiteren Angriffen geschützt werden kann. Was wird passieren, wenn Russland einen vereinbarten Waffenstillstand bricht oder ukrainische Städte weiter mit Drohnen und Raketen angreift?

Wie wollen diejenigen, die Verhandlungen fordern, ein weiteres Vorrücken der russischen Truppen in der Realität verhindern? Etwa mit Blauhelm-Soldaten? Oder wird die Ukraine im Gegenzug in die NATO aufgenommen und bei einem weiteren russischen Angriff würde Artikel fünf greifen? Das alles passiert sicher nicht.

Wer die aktuelle Front ernsthaft einfrieren will und das Morden damit zu beenden glaubt, muss diese Fragen beantworten können. Diese Fragen sollten Teil der deutschen Debatte über die Ukraine sein.

Politiker schon im Wahlkampf

Stattdessen führen Politiker inhaltlich flache, aber dafür umso emotionalere Diskussionen über Atombomben, Bodentruppen oder Verhandlungen, die lediglich an der Oberfläche kratzen. Das zeigt nur eines: Eigentlich weiß niemand, wie es in der Ukraine weitergehen soll. Und eigentlich befinden sich die Spitzenpolitiker der unterschiedlichen Parteien auch schon im Wahlkampf.

Es ist an der Zeit, sich ehrlich zu machen und die Dinge endlich zu Ende zu denken. Die Politik muss endlich konkrete Ziele formulieren und erklären, wie diese Ziele erreicht werden können - nicht irgendwie, sondern in der Realität.

Alles andere ist Zeitverschwendung, und die Ukraine hat keine Zeit mehr. Alles andere ist Scheindebatte, die von den eigentlichen Problemen und Fragen ablenkt.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 19.03.2024 16:23 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 19. März 2024 um 17:36 Uhr.