Kommentar zum 9/11-Jahrestag Dialog statt Drohnen
Der Jahrestag der Anschläge gehört den Opfern und ihren Angehörigen. Es muss aber dennoch nachdenklich stimmen, dass nur selten der Versuch gemacht wird, die Ursachen für die Anschläge zu erklären. Die Welt wird weiter in gut und böse eingeteilt - mit fatalen Folgen. Zeit für eine konstruktive Wende.
Von Thomas Nehls, WDR, ARD-Hauptstadtstudio
Nein, ich bin nicht genervt! Auch als jemand, der das dramatischste und folgenschwerste Attentat auf amerikanischem Boden miterlebt und darüber berichtet hat, fühle ich mich von den Rückblicken am zehnten Jahrestag nicht überstrapaziert. Im Gegenteil. In den zahllosen akustischen, schriftlichen und visuellen Aufarbeitungen vermisse ich Wesentliches. Vor allem die Sicht der Täterseite. Wann wird wohl dem nach dem 11. September 2001 verstärkten "Krieg gegen Terror", der längst zu einem bewaffneten Kampf der Kulturen ausgeartet ist, zuteil, was selbst dem Verbrecher-Regime Adolf Hitlers vergönnt ist - der Versuch, Motive und Ursachen aufzuspüren, zu analysieren und sich an ihnen bei der Bewertung von Gegenmaßnahmen zu orientieren.
In vielen Publikationen dominiert das schwarz-weiß-Denkmuster des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, dessen Gesinnungsfreunde heute noch meinen, die Welt in gut und böse, in "bad guys" und "good guys" aufteilen und danach handeln zu können.
Eine derartige Discount-Ausgabe des Denkens hat der Staatengemeinschaft das Fiasko der Folgen von 9/11 beschert. Die relative Erfolglosigkeit der ursprünglich berechtigten Afghanistan-Invasion, das andauernde Desaster im nach einem gigantischen Lügen-Feldzug angegriffenen Irak, die tägliche Verunsicherung von Millionen Fluggästen, deren Gemütsruhe auch mit gesondert abzupackenden 100-Milliliter-Plastikbeuteln für Flüssigkeiten nicht wiederherzustellen ist. Ganz zu schweigen von den finanz- und wirtschaftspolitischen Großschäden, die der Welt nicht nur, aber auch durch zu keiner Zeit in Frage gestellte Kriegskosten aufgebürdet wurden. Auch dafür war kein Geld vorhanden, sondern musste durch Kredite beschafft werden.
Müßig zu fragen, ob die Sicherheit der Menschen Zugewinne verzeichnen kann, wenn sogar im friedlichen Norwegen ein Einzelner als Massenmörder zu wirken vermag.
Eine Feststellung freilich ist unumstößlich - so banal, so profan sie auch klingen mag. Der 11. September 2001 brachte eine Zeitenwende - es gibt keinen Bereich des täglichen Lebens, in dem nicht irgendwann auf dieses Datum Bezug genommen wird. Statt aber zu lamentieren und den durch schludrigen Umgang mit demokratischen Werten ruinierten Status der immer noch einzigen Supermacht USA zu beklagen, könnte dieser Jahrestag zur Gelegenheit einer konstruktiven Wende werden.
Sogar der weithin unterschätzte Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat diesbezüglich schon Tritt gefasst und in einer Kolumne für die "Frankfurter Rundschau" Europa und die USA dazu aufgerufen, eine kooperative Weltordnung mitzugestalten. Mal sehen, welche Zustimmung er dafür an diesem Wochenende im Nahen Osten erfährt - gerade dort ist eine Wende des Denkens mehr als überfällig, ist die Devise "Dialoge statt Drohnen" ein Gebot der Stunde, nicht der nächsten Jahre.
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