Neues Bürgergeld Hartz IV war ein Stempel auf der Stirn
Hartz IV war häufig mehr Demütigung als Ermutigung. Mit dem neuen Bürgergeld versucht die Bundesregierung nicht nur, einen stigmatisierenden Stempel abzuschaffen. Das neue System müsse sich aber noch beweisen.
Endlich: Hartz IV hat ausgedient. Wobei: Einen besonders großen Dienst hat dieser Begriff und vieles, was damit verbunden war, der Gesellschaft nie erwiesen. Hartz IV war für viele Menschen ein Stempel auf der Stirn, den sie nur schwer wieder abwischen konnten. Mehr Demütigung als Ermutigung - genau diesen Fehler will die Bundesregierung nun endlich korrigieren.
System endlich erneuern
Der Anspruch, mit dem sie das macht, ist aller Ehren wert: Wer den heute im Kabinett verabschiedeten Gesetzentwurf zum Bürgergeld genauer liest, erkennt zumindest die Absicht, nicht nur einen neuen Stempel für ein altes System zu erfinden, sondern dieses System selbst endlich zu erneuern.
Zum Beispiel durch mehr Augenhöhe und weniger Angst: Dass Arbeitslose länger in ihrem aktuellen Zuhause bleiben und von ihrem Ersparten mehr behalten dürfen, schafft ein gewisses Maß an Sicherheit - wenn schon die Gewissheit eines sicheren Arbeitsplatzes dahin ist. Dass den Menschen in den Briefen vom Jobcenter nicht mehr sofort mit Sanktionen gedroht wird, legt die Basis für Vertrauen, um gemeinsam an einer Rückkehr in die Erwerbstätigkeit zu arbeiten, so wie es das Gesetz zum Bürgergeld vorsieht.
Leben von knapp 20 Euro am Tag
Genau daran haben wohl auch die meisten Menschen, die ihren Job verlieren, ziemlich großes Interesse. Auch wenn Vertreter aus der Wirtschaft, wie Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger oder Handwerkspräsident Hans-Peter Wollseifer, ihnen das Gegenteil unterstellen, wenn sie behaupten, das neue Bürgergeld reduziere für viele eher den Anreiz zu arbeiten.
Sie skizzieren damit das Bild einer bequemen sozialen Hängematte, in die sich arbeitslose Menschen angesichts der geplanten Erhöhung der Regelsätze und gelockerter Sanktionen noch lustvoller fallen lassen. Diese Fälle gibt es zwar, doch in der Allgemeinheit kann davon keine Rede sein, erst recht nicht in Zeiten einer Inflation. Denn Bürgergeld klingt vielleicht angenehmer als Hartz IV - angenehm ist das Leben von knapp 20 Euro am Tag aber weiterhin nicht.
Neues System muss sich beweisen
Angesichts dessen ist das Argument, dass sich Arbeiten für Geringverdienende mit dem neuen Bürgergeld nicht mehr lohnen würde, ebenfalls keines gegen steigende Regelsätze, sondern eher für höhere Löhne und mehr Wertschätzung gegenüber Arbeitnehmern. Das aber haben offenbar noch nicht alle Arbeitgeber begriffen.
Dennoch muss sich das neue System in den kommenden Jahren freilich beweisen: Noch ist unklar, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern den großen Schritt mitgehen und es ihnen gelingt, vor allem Langzeitarbeitslose über Weiterbildungen nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Einen Versuch jedoch ist das allemal wert - die Zeit ist reif für einen echten Systemwechsel. Endlich.
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