Antony Blinken in Jerusalem.
Kommentar

Nahost-Reise des US-Außenministers Wenn Diplomatie zur Feigheit wird

Stand: 17.02.2023 13:40 Uhr

US-Außenminister Blinken kam mit leeren Händen und ohne kreative Ideen nach Nahost. Stattdessen schien er nur darauf bedacht, seinen Gastgeber in der Öffentlichkeit nicht zu verärgern. Solche Feigheit sorgt nur noch für Kopfschütteln.

Ein Kommentar von Julio Segador, ARD Tel Aviv

Tom Cruise schafft es in seinen "Mission Impossible"-Filmen am Ende immer wieder. Ist die Lage noch so aussichtslos - er findet eine Lösung und steht am Ende als strahlender Held da. Zugegeben, mit einigen Schrammen, aber er triumphiert.

Die Lage im Nahostkonflikt, in dem sich Israelis und Palästinenser nun schon seit Jahrzehnten abgrundtief feindselig gegenüberstehen, ist um ein Vielfaches aussichtsloser als in den spannendsten Tom-Cruise-Filmen.

Erst versuchte sich Trump, jetzt Biden

Ex-US-Präsident Donald Trump wollte mit seinem "Deal des Jahrhunderts" als strahlender Dealmaker, als der, der mit seinem Nahostplan den gordischen Knoten durchschlägt, in die Geschichtsbücher eingehen. Mit seinem einseitigen pro-israelischen Nahostplan scheiterte er kläglich.

Nun also versucht sich Joe Biden als Vermittler im israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt. Und er schickt seinen smarten Chefdiplomaten Antony Blinken in die Region. Nur dumm, dass der mit leeren Händen kommt. Kein einziger Vorschlag, kein kreativer Lösungsansatz - kurzum: Nichts Neues, was US-Außenminister Blinken aufs Tableau gebracht hat, wie der Stillstand im Nahostkonflikt wenigstens ansatzweise aufgehoben werden könnte.

Von welchem Status quo spricht Blinken?

Ja, die USA bestehen auf den Status quo am Tempelberg, sie setzen weiter auf die Zwei-Staaten-Lösung, keiner sollte einseitige Schritte unternehmen, die das bestehende fragile Gleichgewicht gefährden. Das hat Blinken gesagt.

Wie bitte? Der Status quo am Tempelberg wurde durch radikale Kräfte wie den neuen rechtsextremen israelischen Minister Ben-Gvir im Jahr 2022 verletzt. Die Zwei-Staaten-Lösung ist angesichts von mehr als 600.000 jüdischen Siedlern im Westjordanland, also völkerrechtlich auf palästinensischem Gebiet, nur noch eine Chimäre. Und einseitige Schritte der Palästinenser oder Israelis, die den Konflikt weiter eskalieren lassen, gibt es beinahe tagtäglich. Ein Blick auf das vergangene Wochenende genügt.

Blinken will Gastgeber nicht verärgern

Es waren nur allzu gut bekannte Allgemeinplätze und Floskeln, die Blinken seinen Gesprächspartnern selektiv vorgesetzt hat. Dass er in der Pressekonferenz mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Siedlungsbau verurteilt, diesen aber bei gleicher Gelegenheit mit Israels Premier Benjamin Netanyahu nicht einmal erwähnt, wo doch Netanyahu die Ausweitung des Siedlungsbaus noch am Tag davor als effektive Anti-Terror-Maßnahme preist - das hinterlässt nur noch Kopfschütteln.

Diplomatie schön und gut - aber wenn Diplomatie zur Feigheit gerät, nur, weil man seinen Gastgeber in der Öffentlichkeit nicht verärgern möchte - dann kann man sich das Ganze auch sparen. Blinken hätte angesichts der schwierigen Ausgangslage nach den vielen Toten in Dschenin und Jerusalem sein Mandat als Vermittler mutiger und kreativer anpacken müssen. Sein Chef Biden hätte ihm da mehr Freiraum geben sollen.

So ist Blinkens "Mission Impossible" zu dem geraten, was sie eben ist, wenn man den Stillstand verwaltet. Ein Auftrag, an dem man nur Scheitern kann.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Kommentars hieß es, der Status quo am Tempelberg werde durch radikale Kräfte wie den neuen rechtsextremen israelischen Minister Ben-Gvir verletzt. Dies bezog sich auf Besuche Ben-Gvirs vor seiner Ernennung zum Minister. Wir haben deshalb den Zeitbezug präzisiert.

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