Wolodymyr Selenskyj und Annalena Baerbock
Kommentar

Baerbock in der Ukraine Höchste Zeit für ein wichtiges Zeichen

Stand: 10.05.2022 19:56 Uhr

Der Ukraine-Besuch von Außenministerin Baerbock war eine wichtige Geste in einem Krieg, der wie keiner zuvor von der Herrschaft über Nachrichten und Bilder dominiert ist. Dafür war es allerhöchste Zeit.

Ein Kommentar von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Es war ein lauer Montagabend in Berlin. Das Brandenburger Tor war weiträumig abgesperrt. Fotografen und Kameraleute hatten sich auf dem Pariser Platz versammelt. Um kurz nach halb zehn kamen dann diejenigen, wegen denen all dieser Aufwand gemacht wurde: Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Sie erschienen zu einem kurzen Bildtermin vor dem Brandenburger Tor - welches in den blau-gelben Nationalfarben der Ukraine angestrahlt war.

Solidarität mit den Menschen dort sollte das bekunden. Solidarität mit den Menschen, die unter dem russischen Angriffskrieg leiden, die tagtäglich Opfer von Gewalt und Vertreibung werden. Der Pressetermin belegt: Bilder sind wichtig in diesem Krieg. Bilder vermitteln eine Botschaft. Und die beiden Regierungschefs wissen das. Und sie wollten bewusst und eben auch bildstark Solidarität demonstrieren - neben militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe auch ein Zeichen aussenden.

Bilder mit nachhaltiger Wirkung

Dennoch: Diese Bilder aus Berlin bleiben in ihrer Wirkung weit zurück hinter den Bildern, die die Bundesaußenministerin gewissermaßen en passant bei Ihrem Besuch in der Ukraine produzierte. Gerade weil es bei Baerbock nicht um einen bloßen Fototermin ging, sondern weil sie eben selbst vor Ort war und Menschen traf. In der Ukraine besuchte sie Butscha, Kiew und Irpin. Sie informierte sich vor Ort über die Kriegsverbrechen, die dort von russischen Soldaten an der Zivilbevölkerung begangen wurden. Sie versprach, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Sie kündigte die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kiew an. Sie traf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Baerbocks Besuch signalisiert mehr als jeder Fototermin vor einem angestrahlten Bauwerk, dass Deutschland es ernst meint, mit der Unterstützung der Ukraine.

Eben weil sie nicht in der Sicherheit eines abgesperrten Platzes in einer westeuropäischen Hauptstadt posiert, sondern vor Ort ist. Wenn man die kriegsgeplagte Ukraine mit einem schwerverletzten Patienten im Krankenhaus vergleichen könnte  - dann wäre der Macron/Scholz-Fototermin eine, sicher gut gemeinte, Genesungskarte gewesen. Aber Baerbocks Reise nach Kiew wäre der Besuch am Krankenbett. Was davon besser geeignet ist, Zuspruch und Anteilnahme zu vermitteln, ist nicht schwer zu beantworten. Es sind diese Gesten, die eben auch zählen, in einem Krieg, der wie keiner zuvor von der Herrschaft über Nachrichten und Bilder dominiert ist.

Ein Besuch mit Verspätung

Annalena Baerbock ist das erste Mitglied der bundesdeutschen Regierung, das seit Kriegsbeginn in die Ukraine gereist ist. Dass es so lange gedauert hat mit einem Besuch, ist zu bemängeln. Längst waren Vertreter anderer Staaten schon in Kiew, als hier noch über Protokollfragen diskutiert wurde. Zugegeben: Ein Besuch des deutschen Staatsoberhauptes war eigentlich schon vorgesehen gewesen. Aber der scheiterte, weil Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine zunächst unerwünscht war.

Und dass dessen Parteifreund Olaf Scholz dann mit einem eigenen Besuch zurückhaltend blieb, ist nachvollziehbar. Eine Zurückhaltung die auf das gesamte Kabinett durchschlug. Aber nachdem Ende vergangener Woche die diplomatischen Verstimmungen mit einem Telefonat zwischen Steinmeier und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj ausgeräumt werden konnten, war es nun allerhöchste Zeit, dass ein Regierungsmitglied nach Kiew reiste.

Deutschland tut zu Recht viel für die Unterstützung der Ukraine. So betonten Scholz und Frankreichs Präsident Emanuel Macron immer wieder den Dreiklang aus militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe. Besuche wie der von Baerbock könnten einen vierten Akzent hinzuzufügen: moralische Unterstützung. Diese wird sicher auch durch Fototermine in Berlin oder Paris bekundet - aber um ein Vielfaches mehr durch Präsenz im Kriegsgebiet. Annalena Baerbock hat diesen Schritt nun getan und damit auch die Bundesregierung repräsentiert. Der Kanzler könnte natürlich nachziehen. Das wäre ein ungleich größeres Signal, das bislang noch fehlt. Von Scholz wie übrigens auch von Macron.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. Mai 2022 um 20:00 Uhr.