Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner am 7. Dezember 2021
Kommentar

Zustand der Ampelkoalition Reif für die Paartherapie

Stand: 22.03.2023 16:31 Uhr

Nach 15 Monaten "Fortschrittskoalition" ist allein die Zerrüttung der Ampel fortschreitend. Die drei Partner sind reif für die Paartherapie. Im Interesse der Menschen, die sie gewählt haben.

Ein Kommentar von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Fortschrittskoalition. Erinnert sich noch wer? "Mehr Fortschritt wagen" stand über dem Ampel-Koalitionsvertrag. Damals. Ein Hauch Willy Brandt. 15 Monate später sagt der amtierende Vizekanzler Robert Habeck: Es könne nicht sein, dass nur ein Koalitionspartner - die Grünen nämlich - für den Fortschritt zuständig sei und die anderen beiden - SPD und FDP - für dessen Verhinderung.

Ampelalltag im März 2023. Durchstechereien. Vertrauensbruch. Die Partner streiten, intrigieren und pöbeln sich Richtung Wildsau- und Gurkentruppe-Niveau. Das hatten zuletzt Union und FDP 2010 nach damals übrigens 16 Monaten schwarz-gelber Koalition geschafft.

Zu viel Scholz?

Jetzt, nach 15 Monaten, scheint auch die Ampel reif für die Paartherapie. In der Koalition seien nun alle Partner gefragt, sich mit etwas mehr Ruhe, Gelassenheit und Sachlichkeit zusammenzusetzen, sagt Grünen-Chefin Ricarda Lang als Cheftherapeutin der verkrachten Ampel-WG.

Gelassenheit. Ruhe. Sachlichkeit. Mehr Scholz geht ja verbal eigentlich nicht. Aber vielleicht ist der sachliche Bundeskanzler Olaf Scholz ohne Ruhepuls gerade ja auch etwas zu gelassen. Sein Motto lautet bisher: Kinder, seid zuversichtlich. Wird schon mit allen Ampelvorhaben. Das sagt er seit Wochen vor und hinter den Kameras. Es ist ein zuversichtliches "Wird schon".

Und wenn die FDP weiter Wahlen verliert?

Spätestens wenn die FDP bei den nächsten Landtagswahlen in Bremen, Bayern und Hessen aber da landet, wo sie zuletzt landete, nämlich in der politischen Versenkung, wird aus "wird schon" vermutlich ein "wird nix mehr". Dann nämlich drehen die freien Radikalen in der FDP vermutlich erst richtig auf.

Staatsphilosoph Habeck zitiert ja gern seinen Amtseid. Der verpflichte ihn und alle Minister, Probleme zu lösen. Auf eine Bundestagswahl, die jene belohne, die am wenigsten Probleme gelöst hätten, "da haben wir alle keinen Bock drauf", sagt der grüne Vizekanzler. Wirklich alle?

Von Bock und keinen Bock

Die FDP hat Bock auf Markt. Sie hat keinen Bock auf Verbote. Die SPD hat gerade Bock aufs Zuschauen und kommentiert allenfalls besorgt, wie Grüne und FDP zunehmend keinen Bock mehr aufeinander haben. Und der Kanzler? Hat Bock auf zuversichtliche Ruhe und Gelassenheit. Vielleicht sollte Scholz mal Bock haben, seiner Fortschrittskoalition vor oder auch hinter verschlossenen Türen zu sagen: "Reißt Euch verdammt noch mal zusammen. Sonst haben die Leute keinen Bock mehr auf uns."

Wenn der Fortschritt nämlich nur darin besteht, sich möglichst unflätig übereinander zu äußern, dann - und nur dann - ist die FDP gerade eindeutig am fortschrittlichsten.

Kubicki fällt regelmäßig mit Quatsch auf

Deren Vizeparteichef Wolfgang Kubicki etwa verglich jetzt Habeck öffentlich mit dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin und sagte: Beide verträten die Philosophie, die Menschen müssten zu ihrem Glück gezwungen werden. Ernsthaft? Im Streit über Verbrennermotoren und Heizungsanlagen Habeck mit Putin zu vergleichen, macht Wildsäue und Gurkentruppe im Rückblick liebevoll. Dass Kubicki, der sich für keine giftig-säftelnde Schlagzeile zu schade scheint, sich dafür entschuldigt hat, und sagt, das sei Quatsch gewesen, macht die Sache nur teilweise besser. Denn Kubicki fällt regelmäßig mit Quatsch auf.

Wer nicht wahrgenommen werde, könne auch keine Sympathie gewinnen, sagt Kommunikator Kubicki. Machen solche Entgleisungen die FDP tatsächlich sympathischer? Geht es der FDP besser, wenn es der Ampel schlechter geht? Freuen sich Grüne, wenn Jürgen Trittin im Streit um die Zukunft des Verbrennerautos den FDP-Mann Christian Lindner als Teil einer "ideologisch motivierten Truppe von Porschefans" einordnet?

Dass die Ampel am Ende eben auch nur eine Koalition mit Interessen ist, hat mittlerweile jeder begriffen. Wenn jeder in der Ampel aber begreifen würde, dass es auch und vor allem um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger geht, wäre schon viel gewonnen.

Georg Schwarte, Georg Schwarte, ARD Berlin, 22.03.2023 14:57 Uhr
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