Streit über Maut-Abschlussbericht "Retten, was nicht mehr zu retten ist"
Heute sollte die Aufklärung der Maut-Affäre im Untersuchungsausschuss abgeschlossen werden. Doch kurz vor der entscheidenden Sitzung will die Koalition noch sensible Stellen streichen, die Verkehrsminister Scheuer belasten könnten.
Eigentlich sollte an diesem Donnerstagmittag alles friedlich besiegelt werden, doch kurz vor dem offiziellen Ende im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gibt es neuen Streit bei der Aufklärung der Maut-Affäre.
Mehr als ein Jahr hatten sich die Abgeordneten im Bundestag mit den Details rund um die gescheiterte Pkw-Maut beschäftigt. Am Donnerstag nun soll der Abschlussbericht offiziell beschlossen werden. Doch die Regierungskoalition will in letzter Minute noch sensible Stellen streichen, die Verkehrsminister Andreas Scheuer belasten. Der Umgang mit dem Passus, so die Befürchtung in der Koalition, könnte millionenschwere Auswirkungen haben. Die Opposition dagegen ist empört.
Der Grund: Am 18. Juni 2019 hatte der Europäische Gerichtshof die seit jeher umstrittene Pkw-Maut, bei der Autofahrer aus dem Ausland zur Kasse gebeten werden sollten, endgültig für rechtswidrig erklärt. Nur einen Tag später hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer umgehend die Milliardenverträge mit den Mautbetreibern gekündigt und argumentiert: Diese hätten schlecht gearbeitet.
So wollte Scheuer den hohen Schadensersatzforderungen entgehen, die die Mautbetreiber nun gegen den Bund erheben. Sie fordern 560 Millionen Euro.
War es eine "Kündigungslüge"?
Zeugenbefragungen im Maut-Untersuchungsausschuss und Dokumente aus dem Bundesverkehrsministerium, die auch WDR und NDR auswerten konnten, hatten jedoch gezeigt, dass noch kurz vor der Kündigung der Maut-Verträge durch den Bund keine nennenswerten Gründe im Ministerium gesehen wurden, die Verträge wegen vermeintlich schlechter Leistungen der Betreiber zu kündigen.
Oliver Krischer, der für die Grünen im Maut-Untersuchungsausschuss sitzt, nennt die Argumentation Scheuers daher eine "Kündigungslüge". Scheuer hat das in der Vergangenheit zurückgewiesen.
"Der Gesamtstatus wird auf grün festgelegt"
Als sich vor Wochen nun die Fraktionen im Untersuchungsausschuss bereits informell über den Abschlussbericht verständigten, waren diese kritischen Details auch noch in der Endfassung vermerkt. So hielt der Bericht etwa fest, wie noch Anfang Juni 2019 zwischen den Betreibern und dem für die Einführung zuständigen Kraftfahrtbundesamt notiert wurde: "Derzeit sind alle Meilensteine in Plan". Bereits zwei Wochen zuvor, Ende Mai 2019, hatte die Gesamtleitungsprojektgruppe im Ministerium in einem Protokoll vermerkt: "Der Gesamtstatus wird auf grün festgelegt."
Das waren die Ergebnisse im Untersuchungsausschuss und so waren sie auch im Abschlussbericht notiert - für Scheuer belastend, denn die Textstellen liefern deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verkehrsminister die vermeintliche "Schlechtleistung" der Maut-Betreiber nur behauptet hat, um billiger aus dem Rechtsstreit herauszukommen. Am Mittwochmorgen fehlten die Textstellen plötzlich - zur Überraschung der Opposition.
Zur Schadensbegrenzung Fakten verschweigen?
Denn das Ausschusssekretariat unter der Führung des SPD-Politikers Udo Schiefner hatte entsprechende Textstellen Ende letzter Woche kurzerhand gestrichen. Der Grund: Das Dokument sollte zu einer Stellungnahme auch an die Mautbetreiber selbst gehen.
Nun aber befürchtete das Ministerium sowie die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD, dass die Textstellen den Betreibern bei ihrer Klage neues Futter liefern könnten. Die Argumentation: Wenn der Bundestag mit den Textpassagen offiziell festhalten würde, wie es um die Bewertung im Ministerium stand, hätten die Mautbetreiber bei ihrer Klage gegen den Bund leichteres Spiel. Die Idee: Wenn der Ausschuss die Textpassagen streicht, spart das die Steuerzahler vielleicht Geld.
Opposition empört
Die Opposition allerdings ist nun empört und berät, wie sie sich bei der für Donnerstag geplanten Abstimmung verhalten soll. "Es ist völlig inakzeptabel und widerspricht auch dem Auftrag des Untersuchungsausschusses, öffentlich erhobene Beweismittel am Ende einfach zu verschweigen", sagt etwa der Obmann der Linksfraktion im Untersuchungsausschuss, Jörg Cezanne.
Der Grünenpolitiker Oliver Krischer sagt: "Die Regierungskoalition versucht hier etwas zu retten, das längst nicht mehr zu retten ist. Die Wahrheit ist, dass Andreas Scheuer zusätzliche Kündigungsgründe erfunden hat, damit er nicht umgehend zurücktreten muss. Die Öffentlichkeit hat aber ein Anrecht darauf, diese Wahrheit auch zu erfahren." Und Oliver Luksic, Bundestagsabgeordneter der FDP, nennt den Vorgang eine Unverschämtheit. Er sagt: "Hier sollen in letzter Sekunde Sachen, die unstrittig sind und die wir objektiv festgestellt haben, herausgestrichen werden."
Ministerium verweist auf "Geheimschutzinteressen"
Auch das Bundesverkehrsministerium äußerte sich auf Anfrage. Eine Sprecherin teilte mit, es sei Aufgabe des Ausschusses, dafür Sorge zu tragen, dass die Geheimschutzinteressen der Bundesrepublik gewahrt blieben. "In diesem Zusammenhang hat das Ministerium das Sekretariat des Ausschusses auf noch zu prüfende Sätze hingewiesen. Die abschließende Beurteilung obliegt allein dem Ausschuss."
Der Ausschussvorsitzende Schiefner wollte sich am Mittwoch auf Anfrage nicht öffentlich zu dem Vorgang äußern - denn offenbar brachte die Presseanfrage von WDR und NDR auch ein erneutes Umdenken mit sich.
Wird es noch einmal spannend?
Schiefner ließ mitteilen, er wolle nun bis zur Abschlusssitzung am Donnerstagmittag erneut prüfen lassen, ob die Streichungen tatsächlich nötig seien. So dürften die letzten Stunden bis zum abschließenden Treffen des Untersuchungsausschusses noch einmal spannend werden. Am Donnerstagmittag beginnt die entscheidende Sitzung - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Am Nachmittag dann soll das Dokument an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben werden. In zwei Wochen beschäftigt sich der Bundestag in einer Plenardebatte dann noch einmal abschließend mit der Maut-Affäre.