
Drei Jahre nach dem Mord Die offenen Fragen im Fall Galizia
Vor drei Jahren wurde die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia bei einem Attentat getötet. Zahlreiche Rücktritte und Festnahmen später sind die Umstände noch immer nicht restlos aufgeklärt.
Am 16. Oktober 2017 explodierte eine Bombe im Auto von Daphne Caruana Galizia, nur wenige hundert Meter von ihrem Wohnort in Malta entfernt. Die Journalistin war auf der Stelle tot. Ihre Verwandten und Freunde bezweifelten damals, dass die Verantwortlichen jemals gefunden würden. Denn in dem kleinen Inselstaat waren in den 15 Jahren vor dem Mord an Caruana Galizia insgesamt 27 Bombenattentate gezählt worden, die fünf Menschen töteten. Aufgeklärt wurden nur zwei.
In den vergangenen drei Jahren war es schwer, Schritt zu halten mit den Entwicklungen in Malta. Politiker traten zurück, zahlreiche Männer wurden festgenommen, Gerüchte waberten über die Insel - und auch die europäischen Behörden zweifelten am Aufklärungswillen der Malteser. Der Mord wurde zum Symbol für den Zustand der Pressefreiheit in Europa.
Zum Jahrestag des Todes von Caruana Galizia ist manches beantwortet, vieles aber noch nicht. Hier die wichtigsten Fragen:
Wer soll für den Mord verantwortlich sein?
Drei Männer sind bislang angeklagt - aber nicht verurteilt. Vincent Muscat und die Brüder Alfred und George Degiorgio wurden bereits im Jahr 2017 festgenommen. Sie sollen einen Auftrag bekommen und die Bombe im Auto von Caruana Galizia angebracht und später per Fernauslösung zur Explosion gebracht haben. Alle drei leugnen die Tat.

Die Journalistin wurde mittels einer ferngesteuerten Autobombe getötet.
Als mutmaßlicher Hintermann beschuldigt wurde später Yorgen Fenech, ein 38-jährige Multimillionär, reich geworden mit Casinos und Hotels. Er wurde im November 2019 auf seiner Yacht verhaftet, als er gerade die Insel verlassen wollte. Auch er bestreitet die Tat.
Den Kontakt zwischen Fenech und den drei Angeklagten will Melvin Theuma hergestellt haben. Der Taxifahrer übergab den Behörden geheim aufgezeichnete Gespräche mit Fenech, die dessen Schuld beweisen sollen. Dafür erhielt Theuma Straferlass vom maltesischen Präsidenten. Als Kronzeuge lebt er seitdem unter Polizeischutz, wurde jedoch im Juli mit schweren Verletzungen in seiner Wohnung aufgefunden. Es soll sich um einen Suizidversuch gehandelt haben, sagt die Polizei.
Gibt es Probleme bei den Ermittlungen?
Seit der Festnahme von wurden vor Gericht Beweise vorgebracht, die zeigen, dass Fenech und andere immer wieder mit geheimen Informationen aus den Ermittlungen versorgt wurden, unter anderem über geplante Durchsuchungen und Festnahmen. Melvin Theuma behauptete, dass der damalige Kabinettschef des Landes, Keith Schembri, diese Details an Fenech weitergegeben habe.

Der maltesische Unternehmer Fenech wurde mit Ermittlungsergebnissen versorgt.
Fenech sagt, dass Schembri ihn beispielsweise darüber informiert habe, dass sein Telefon abgehört werde. Er solle vorsichtig sein. In einem Polizeiverhör gab Fenech zudem an, dass nicht er, sondern Schembri der Auftraggeber des Mordes sei. Schembri habe 150.000 Euro geboten und gesagt: "Finde jemanden, der Daphne tötet." Was er aber nicht getan habe.
Keith Schembri wurde bislang zweimal verhaftet, aber jeweils wieder freigelassen, zuletzt im September diesen Jahres. Er bestreitet alle Anschuldigungen
Haben die Behörden mittlerweile ein Tatmotiv ermitteln können?
Immer noch ist das Motiv für den Mord an Caruana Galizia ungeklärt. Weitgehende Einigkeit besteht in der Annahme, dass die Arbeit von Caruana Galizia der Grund für den Mord gewesen ist. Als Journalistin recherchierte sie zu Korruption und Vetternwirtschaft in Malta.
In den Jahren vor ihrem Tod beschäftigte sich Caruana Galizia wiederholt mit Firmen und Unternehmen, in denen der festgenommene Fenech eine Rolle spielte. Zwei Geschichten stechen heraus: Caruana Galizia enthüllte, dass Keith Schembri und der damalige Energieminister und Vorsitzende der regierenden Labourpartei Konrad Mizzi zwei Firmen in Panama besaßen, die mutmaßlich zur Abwicklung von Schmiergeldzahlungen dienten.
Es war offenbar geplant, dass eine mysteriöse Firma namens "17 Black" mit Sitz in Dubai zwei Millionen Euro auf die Konten dieser Panamafirmen überweisen sollte. Nach ihrem Tod recherchierten Journalisten des sogenannten "#DaphneProject", an dem in Deutschland WDR, NDR, "Süddeutsche Zeitung" und die "Zeit" beteiligt sind, den Eigentümer der Firma "17 Black". Es war Yorgen Fenech.
Wofür sollte das Geld überwiesen werden?
Im Jahr 2017 erhielt Caruana Galizia etwa 600.000 E-Mails zugespielt, die im Zusammenhang mit dem sogennanten "Electrogas"-Projekt stehen. Ein Konsortium, an dem auch Fenech beteiligt war, bekam nach dem Wahlsieg der Labour-Partei im Jahr 2013 den Auftrag, für 450 Millionen Euro ein Flüssiggas-Kraftwerk zu bauen.
Ausländische Anteilseigner sind die staatliche aserbaidschanische Ölfirma SOCAR und Siemens. Schembri und Mizzi setzten sich für den Bau des Kraftwerks ein. Seitdem stehen schwere Korruptionsvorwürfe bei der Auftragsvergabe im Raum. Fenech war bis eine Woche vor seiner Festnahme einer der Direktoren des "Electrogas"-Konsortiums.
Alle genannten Personen und Unternehmen haben wiederholt jegliche Anschuldigungen zurückgewiesen.
Welche Folgen hatte der Mord für die maltesische Politik?
Viele Details der Ermittlung werden auch politisch genutzt. Der Druck auf die Verantwortlichen war groß, besonders nachdem der einflussreiche Unternehmer Fenech festgenommen wurde. Um die Folgen aufzuzeigen: Der Premierminister Joseph Muscat trat zurück. Der Kabinettschef Keith Schembri trat zurück. Der Tourismusminister Konrad Mizzi trat zurück. Der Wirtschaftsminister Chris Cardona trat zurück.

Die Politikern Joseph Muscat (m), Keith Schembri (l) und Konrad Mizzi (r) traten wegen dr Affäre zurück.
Besonders schwer wiegt aber das gesunkene Vertrauen in die maltesische Demokratie. Europapolitiker in Brüssel haben immer wieder starke Kritik an den Ermittlungen und der politischen Aufklärung geübt. Malta wurde als korrupter, von der Kriminalität zerfressener Staat bezeichnet.
So soll Europol im vergangenen Jahr gedroht haben, die Ermittlungen im Mordfall nicht mehr zu unterstützen, wenn nicht endlich mit mehr Entschlossenheit durchgegriffen werde. Kurz danach wurde Melvin Theuma festgenommen, der heutige Kronzeuge.
Wie geht es jetzt weiter?
Den drei Tatverdächtigen soll ab dem kommenden Jahr der Prozess gemacht werden. Ob es auch zu einer Anklage gegen Yorgen Fenech und andere Verdächtige kommt, wird sich wahrscheinlich frühestens im Herbst 2021 entscheiden. Ob die Behörden jemals herausfinden, weshalb Daphne Caruana Galizia getötet wurde, erscheint auch drei Jahre nach dem Mord mehr als unsicher.