Fall Ibrahim O. Vom Revolutionsarzt zum Sklavenhalter beim IS?
Der Arzt Ibrahim O. galt als Held der syrischen Opposition - bis er nach seinem fingierten Tod bei der Terrormiliz IS landete. Im SWR-Interview behauptet er nun, 2011 hätten ihm französische Behörden zur Flucht verholfen.
In Handschellen und mit kahl geschorenem Kopf wurde Ibrahim O. vor wenigen Tagen in einem Gefängnis in der nordostsyrischen Stadt Hasaka vorgeführt. Er sitzt seit gut vier Jahren in kurdischer Haft. Ihm gehe es psychisch nicht gut, sagt er. Einst war er eine bekannte Figur der syrischen Revolution. Als Arzt behandelte er verwundete Oppositionelle. Ende 2011 dann hieß es, der "Doktor der Revolution" sei von Schergen des Assad-Regimes ermordet worden. Auch das französische Außenministerium berichtete darüber.
Erst im März diesen Jahres kam heraus: Sein Tod wurde damals fingiert. Tatsächlich floh Ibrahim O. aus Syrien nach Frankreich und Deutschland, wo er die Deutsche Nadine K. kennenlernte und nach islamischem Ritus heiratete.
Ibrahim O. ging zurück in den Nahen Osten, lebte mit seiner Frau im Gebiet der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Irak und Syrien. Dort sollen die beiden mehr als drei Jahre lang eine jesidische Sklavin gehalten haben. Dies alles kam ans Tageslicht, als Nadine K. - inzwischen zurück in Deutschland - im Frühjahr vor dem Oberlandesgericht Koblenz der Prozess gemacht wurde.
Fingierter Tod
Als Zeuge konnte Ibrahim O. während des Prozesses nicht geladen werden. Sein aktueller Aufenthaltsort galt als unbekannt. Deutschland unterhält zu den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien keine diplomatischen Beziehungen. Als Nadine K. schließlich im Juni, nicht zuletzt wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung", zu neun Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde - das Urteil ist noch nicht rechtskräftig -, wies die Richterin noch einmal ausdrücklich auf Ibrahim O.s Biografie und dessen fingierten Tod hin.
Ibrahim O. nennt nun erstmals Details zu seiner Flucht in dem Interview, das der SWR zusammen mit dem ARD-Studio Kairo führen konnte. Aktivisten hätten 2011 Fotos von ihm gemacht, als er bei einer Demonstration verletzt und bewusstlos geworden sei. Sie hätten die Bilder dann im Internet als Beleg für seinen vermeintlichen Tod verbreitet, um sich damit wichtig zu machen.
"Die Aktivisten haben es benutzt, um damit Profit zu erzielen, sie wollten von der Revolution profitieren. Das ist oft passiert, ich bin nicht der erste," sagt Ibrahim O. Er habe sogar einzelne Medien angerufen, um die Sache richtigzustellen. Doch diese hätten dann nur von Zweifeln an seinem Tod berichtet. Später habe er die Darstellung nicht mehr rückgängig machen wollen, um Familienangehörige in Syrien nicht zu gefährden.
Verhalfen französische Behörden zur Flucht?
Ibrahim O. behauptet, er sei zunächst nach Jordanien geflüchtet und habe dort, in der französischen Botschaft ein Visum für die Weiterreise nach Frankreich erhalten. "Ich hatte ein Interview in der französischen Botschaft (…). Sie kannten meine Geschichte. Ich habe ihnen mitgeteilt, dass ich lebe und nicht tot bin." Das französische Außenministerium ließ eine Anfrage des SWR dazu unbeantwortet.
Fest steht, dass erst die Flucht nach Europa dazu führte, dass Ibrahim O. in Deutschland Nadine K. kennenlernte, mit der er laut Oberlandesgericht Koblenz später im Irak und in Syrien über drei Jahre eine Jesidin gefangen hielt. Dem Urteil zufolge hat er sie mehrfach vergewaltigt.
Im Interview streitet Ibrahim O. dies ab. Als Arzt habe er von morgens bis abends gearbeitet. Viele Frauen seien, meist verschleiert, in seinem Haus gewesen. "Es ist wahrscheinlich, dass sie [die Jesidin; Anm. der Redaktion] bei uns im Haus war, ja. Doch dass ich sie vergewaltigt habe und so, das stimmt nicht (…). Ich war bekannt dafür, dass ich gerne Menschen helfe. Ich übe keinen Druck auf sie aus oder lasse sie unter Zwang gegen ihren Willen etwas machen."
Jesidische Sklavin als "Geschenk"
Im Prozess in Koblenz hatte die Jesidin, die eigens aus dem Irak angereist war, ausführlich geschildert, dass Ibrahim O. sie immer wieder zu sich ins Zimmer gebeten habe, um sie zu vergewaltigen. Zu Beginn sei sie dem Arzt als eine Art "Geschenk" von einem anderen IS-Kämpfer übergeben worden.
Noch heute leide sie sehr unter diesen Erfahrungen und habe aufgrund der Arbeit im Haushalt oft Rückenschmerzen. Nadine K. bestätigte in dem Prozess die sexuellen Kontakte ihres Ehemanns zu der Jesidin und erklärte, sie sei vermutlich von einem IS-Mitglied, das bei der Terrormiliz in Ungnade gefallen sei, an ihren Mann übergeben worden.
O. bestreitet IS-Mitgliedschaft
Im Interview streitet Ibrahim O. ab, selbst Mitglied des IS gewesen zu sein, obwohl die Organisation entsprechenden Druck auf ihn ausgeübt habe. Er habe jeden behandelt. Als Arzt zu helfen, sei auch die Motivation gewesen, warum er in seine frühere Heimatregion zurückgekehrt sei, obwohl er in Deutschland Sprachzertifikate und Qualifizierungsnachweise gehabt habe, um dort zu arbeiten. Radikales Gedankengut lehne er ab.
Im Prozess in Koblenz hatte allerdings ein Gutachter herausgestellt, wie sehr der IS auf Ärzte angewiesen war und sie somit das System stützten. Ibrahim O. hatte laut Gerichtsurteil Zugriff auf mehrere Kriegswaffen und soll seiner Frau und der Jesidin einmal einen Sprengstoffgürtel umgelegt haben.
Ehestreit im IS-Gebiet
Der Arzt spricht auch ausführlich über seine Beziehung mit Nadine K. Mit ihr habe er oft gestritten. Eine Scheidung habe im Raum gestanden, denn Nadine K. habe mit ihren Kindern zurück nach Europa gewollt. "Ich wollte hierbleiben (…) und hier als Arzt arbeiten und meinen Landsleuten dienen. Doch sie war dagegen. In einer Art, wie ich es nie von ihr erwartet hätte, sagte sie: ‘In deinem Leben wirst du die Kinder niemals wiedersehen’", sagt Ibrahim O.
Während des Prozesses in Koblenz hatte die Bundesanwaltschaft anhand von Chat-Nachrichten von Nadine K. argumentiert, diese habe erst nach dem Ende des IS und im Laufe ihres Aufenthaltes in einem kurdischen Camp in Nordsyrien den Entschluss gefasst, nach Deutschland zurückzukehren. Das Gericht folgte dieser Darstellung.