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Hype um Manifestation Gefährliches Wunschdenken

Stand: 24.09.2024 06:00 Uhr

Online-Angebote zu Manifestation boomen. Doch hinter dem spirituellen Trend lauern finanzielle und psychische Gefahren, wie Vollbild-Recherchen zeigen. Experten warnen, Manifestation könne zu Schulden und Depressionen führen.

Von Caspar Dudek und Carina Parke, SWR

Wer nur fest an seine Wünsche glaubt, der wird mit ihrer Erfüllung belohnt. Das ist das Versprechen der Manifestation. Glück, Geld oder die große Liebe: Alles ist möglich und für jeden erreichbar - allein durch die Kraft der Gedanken.

Aus dieser spirituellen Idee ist in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hype entstanden. Unter dem Hashtag #manifestation finden sich allein auf Instagram mehr als zwölf Millionen Beiträge, sechs Millionen auf TikTok. Doch der Hype birgt auch Gefahren, wie Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen.

US-Stars Verfechter der Manifestation

Stars wie Oprah Winfrey, Kim Kardashian und Ariana Grande gehören zu den prominenten Verfechtern der Manifestation. Auch in Deutschland teilen erfolgreiche und reichweitenstarke Influencer angebliche Erfolgsgeschichten auf Instagram & Co. Bei Manifestation geht es um positives Denken, man stellt sich dabei den Wunschzustand als Ist-Zustand vor. Aus dem Trend mit Millionen von Aufrufen in den sozialen Netzwerken ist ein Markt entstanden. Influencer befeuern das Geschäft mit dem Glück.

Seit einiger Zeit beschäftigt sich die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz mit Coaching-Angeboten rund ums Manifestieren: "Bei uns gehen viele Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern ein und in den letzten Jahren auch immer mehr zum Thema Coaching, (…) die dann immer wieder auch so an die aktuellen Trendbegriffe und Trendthemen einfach anknüpfen. Und so sind wir eben auch mit dem Thema Manifestieren in Berührung gekommen", sagt Julia Gerhards, Referentin für Verbraucherschutz.

"Das kann schlimme Dinge auslösen"

Laura Malina Seiler gilt als Deutschlands bekannteste Manifestations-Influencerin. Sie hat mehr als 400.000 Follower auf Instagram, einen eigenen Verlag und schreibt Bücher. In ihrem Podcast besuchen sie prominente Gäste wie Lena Meyer-Landrut, Sophia Thiel oder Hollywood-Schauspieler Matthew McConaughey.

Seiler bietet verschiedene Kurse an, die auf dem Prinzip der Manifestation beruhen. "Es sind schon Tausende Wunder in Erfüllung gegangen", wirbt sie auf ihrer Homepage. Eine Vollbild-Reporterin meldet sich undercover für einen Kurs von Seiler an, der "Transformation in allen Lebensbereichen" verspricht. Der Kurs besteht aus einem aufgezeichneten Kursvideo, in dem es in einem 1:1-Gespräch mit einer ehemaligen Teilnehmerin überraschenderweise schnell um ihre Vergangenheit geht.

Eine andere ehemalige Teilnehmerin wirft Seiler im Interview mit Vollbild vor, dass so emotionale Wunden wieder aufgerissen werden könnten: "Da kann viel krasses Zeug hochkommen und das kann schlimme Dinge auslösen." Für sie sei besonders die erzwungene Positivität zur psychischen Belastung geworden: "Das Problem ist eben, wenn man (...) immer versucht positiv zu denken, dann fürchtet man sich irgendwann vor den negativen Gedanken und dann ist das wie so eine Teufelsspirale".

Sorge vor Schaden

Eine ehemalige Mitarbeiterin Seilers schildert im Interview ihre Eindrücke. Sie habe Sorge gehabt, dass sie Menschen mit ihrer Arbeit bei Laura Malina Seiler schaden könne. Eine Interviewanfrage von Vollbild lehnte Seiler ab. Auf schriftliche Fragen antwortet eine namhafte Anwaltskanzlei. Laura Malina Seiler sehe sich nicht als Alternative zu medizinischer, psychologischer oder psychotherapeutischer Behandlung, heißt es dort.

Therapiebedürftige Teilnehmer würden an Therapeuten vermittelt. Zum Eindruck, immer positiv denken zu müssen, antwortet der Anwalt, dass es sich dabei um ein subjektives Erleben handele und ihre Mandantin nicht in der Lage sei, dazu Stellung zu beziehen. Außerdem strebe Seilers Angebot eine positive Lebensgestaltung an, negative Empfindungen würden dabei aber nicht "ausgeblendet" oder "unterdrückt".

Verbraucherzentrale warnt

Neben Laura Malina Seiler gibt es eine Vielzahl von weiteren Coaches, die online angeblich den Weg zum Glück verkaufen. Raffael Bettencourt ist ein Coach, der in den sozialen Medien besonders laut und offensiv auftritt. Vollbild testet Bettencourts Angebot ebenfalls in einer Undercover-Recherche.

Ein Mitarbeiter des Coaches meldet sich schnell, horcht die Autorin geschickt aus, geht auf vermeintliche Wünsche ein und vermittelt das Gefühl, dass das Angebot genau zu ihr passe - um anschließend einen Kurs für 4.444 Euro anzubieten, inklusive der Möglichkeit zur Ratenzahlung.

Gefährliche Marketingstrategien

Verbraucherschutz-Referentin Julia Gerhards kritisiert dieses Vorgehen: "Ich glaube, das sind eben wirklich Verkaufsprofis, die dann eben auch ein gutes Gespür dafür haben, welchen Menschen sie auf welche Art und Weise ansprechen müssen, um ihn eben zum Vertragsschluss zu bewegen. (...) Es ist verdammt guter Vertrieb, ja vielleicht auch wirklich Manipulation. Irgendwo da ist die Grauzone." Bettencourt ließ eine Anfrage der Vollbild-Redaktion unbeantwortet.

Für Gerhards steht fest, dass solche Marketingstrategien Gefahren mit sich bringen: "Ich sehe natürlich finanzielle Gefahren: Ich gebe mehr Geld aus, als ich vielleicht eigentlich habe." Im Interview mit Vollbild schildert eine Betroffene, dass sie 60.000 Euro für ein neunmonatiges Manifestations-Mentoring bei einem anderen Coach ausgegeben habe. Der erhoffte Erfolg sei bei ihr ausgeblieben. Was jedoch geblieben sei: Schulden.

Gefahr von Depressionen

Experten sehen bei Manifestation neben finanziellen Risiken auch erhebliche psychische Gefahren. Lucas Dixon ist Psychologe und forscht an der University of Queensland in Australien. Er hat seine Doktorarbeit über Geschäftsmodelle von Manifestation geschrieben und 2023 die erste groß angelegte wissenschaftliche Studie zur Psychologie des Manifestierens durchgeführt. "Es könnte katastrophale Folgen haben, der Überzeugung zu sein, man habe seinen eigenen Krebs verursacht oder irgendeine andere Krankheit, weil man zu negative Gedanken oder Glaubenssätze hatte. Und dass das Ziel sei, nur positiv darüber zu denken."

Gabriele Oettingen, Professorin für Psychologie an den Universitäten New York und Friedrichshafen, kritisiert, dass bei Manifestation negative Gedanken oft komplett ausgeblendet würden. Es könne passieren, dass so eine gelernte Hilflosigkeit auftrete. Wenn die Personen sich allein fühlten und dächten, dass es bei allen klappt, nur bei ihnen nicht, dann gehe das natürlich auch auf den Selbstwert. "Das ist problematisch, weil das schlechte Stimmung produziert, also auch, unter Umständen, Depressionen", so Oettingen.

Die Recherche von Vollbild zeigt aber auch: Nicht alles am Manifestieren ist kritisch zu sehen. Eine Studie der PFH Private Hochschule Göttingen belegt beispielsweise die Wirksamkeit positiver Affirmationen, einer der verschiedenen Techniken des Manifestierens, bei der man sich gut zuspricht.

Für Gabriele Oettingen ist das aber nicht genug, um die Manifestation als solches als wirksam zu empfinden: "Manifestieren kann nicht genug sein, um mir alle Wünsche zu erfüllen", sagt sie. Laut Oettingen ist es wichtig, dem Wunschdenken Taten folgen zu lassen: "Dann kommt man ins Handeln. Dann kommt man auch in die Interaktion mit anderen. Und dann fängt das Leben überhaupt erst an!"