Gemeinnützige Vereine Steuervorteile für Heiler, Hetzer und Extremisten
Die meisten Vereine in Deutschland sind gemeinnützig und erhalten Steuerleichterungen. Doch die Prüfungen, ob der Status gerechtfertigt ist, sind lückenhaft. Recherchen von Report Mainz zeigen: Auch Heiler, Hetzer und Extremisten profitieren.
Wenn Anne Hübner ihre Hände hebt und die Augen schließt, wird es still im Raum. "Ich stelle jetzt den Kontakt zu ihrer Geisteskraft her", sagt die selbsternannte Heilerin dann. Binnen Minuten begradigt Hübner so den Beckenschiefstand einer jungen Frau. Ohne Körperkontakt. Allein durch ihren Heil-Impuls, behauptet sie. Jede Woche strömen Dutzende Menschen mit verschiedenen Körperbeschwerden zu ihr nach Roth in der Nähe von Bingen. 130 Euro kostet die Erstbehandlung.
Die Bundesärztekammer spricht von "absurden" Angeboten. Und die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz betont, dass sich ein Beckenschiefstand "nicht innerhalb von Minuten" beheben lasse. Doch Scharlatanerie oder Quacksalberei weisen Anne Hübner und ihr Team weit von sich. Man arbeite wissenschaftlich.
Dafür ist "Europas größtem Heilzentrum" - so die Eigenwerbung - ein gemeinnütziger Verein angeschlossen, der die Geistheilung wissenschaftlich stützen soll. Der "Geistheiler Verein" - geleitet von denselben Personen wie das Heilzentrum, im selben Gebäude - finanziert zum Beispiel Messgeräte, mit denen man die spirituelle Energie analysieren könne. Oder er organisiert Vorträge und Reisen. Als Grund für seine Gemeinnützigkeit gibt der Verein an, Gesundheit und Wissenschaft zu fördern.
Gemeinnützigkeitsrecht lässt viel Spielraum
Für Sebastian Unger, Experte für Steuerrecht an der Ruhr-Universität Bochum, zeigt das Beispiel, wie groß der Spielraum beim Gemeinnützigkeitsrecht sein kann. Fördert ein selbsternannter Geistheiler-Verein wirklich die Gesundheit und Wissenschaft? "Da habe ich natürlich sehr diffuse Begriffe, die ich auslegen muss, bei denen ich mir überlegen muss, fällt das darunter, fällt das nicht darunter", sagt Unger. Für die Finanzämter sei das oft gar nicht so einfach, eine Entscheidung zu treffen.
Rund 560.000 Vereine sind in Deutschland von ihren örtlichen Finanzämtern als gemeinnützig anerkannt und genießen dadurch etliche Steuervorteile: keine Körperschaftssteuer, keine Gewerbesteuer, keine Erbschafts- und Schenkungssteuer, zusätzlich Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen. Und Spenden an die Vereine sind steuerlich absetzbar.
Katalog mit vielen förderwürdigen Zwecken
Welche Zwecke förderwürdig sind, bestimmt die sogenannte Abgabenordung. Zum Beispiel erhalten solche Vereine Steuervorteile, die den Sport fördern, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung. Unterstützt werden zum Beispiel auch der Freifunk, der Modellflug und der Hundesport. Ein Katalog mit Dutzenden Zwecken.
Nach Meinung von Sebastian Unger zeigt der Katalog anschaulich, "dass da bestimmte Lobbyisten erfolgreicher waren als andere". Das Ganze lasse aber "kein wirkliches politisches Konzept von gemeinnütziger Zivilgesellschaft erkennen", kritisiert der Rechtsexperte.
Darunter leiden Vereine, die sich zwar für das Gemeinwohl einsetzen, aber laut Gesetz nicht gemeinnützig sein dürfen. Zum Beispiel viele Bürgerbus-Vereine in Deutschland. Die Bürgerbusse werden von Ehrenamtlichen gefahren und kommen dort zum Einsatz, wo es keinen ÖPNV gibt, also vor allem in ländlichen Regionen. Sie steuern meist Arztpraxen, Supermärkte oder Bankfilialen an und sind gerade für ältere Menschen eine wichtige Stütze im Alltag. Dennoch erhalten viele Bürgerbus-Vereine keine Steuervorteile.
Kleine Verbesserungen statt großer Reform
Das Gemeinnützigkeitsrecht, das Teil des Steuerrechts ist, wartet mit mancher Kuriosität auf: Schachvereine sind gemeinnützig, Skatvereine nicht. Schützenvereine genießen Steuervorteile, Paintball-Vereine nicht. Die Ampel-Regierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag 2021 zwar eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts versprochen. Doch die sollte vor allem die Frage klären, wie stark sich Vereine politisch aus dem Fenster lehnen dürfen, ohne dadurch ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren. Eine große Reform ist bisher nicht vorgesehen.
Schon bei den aktuellen Vorschriften hapert es zuweilen mit der Umsetzung. Etwa wenn es darum geht, Vereinen die Gemeinnützigkeit wieder abzuerkennen. Laut Abgabenordnung verlieren Vereine dann ihre Steuervorteile, sobald sie "dem Gedanken der Völkerverständigung" zuwiderhandeln. Auf Anfrage stellt das Bundesfinanzministerium klar: "Werden Organisationen in einem Verfassungsschutzbericht (…) ausdrücklich als extremistisch eingestuft, dann ist die Steuerverwaltung (…) gesetzlich angehalten, den Entzug der Gemeinnützigkeit zu veranlassen". Doch die Praxis sieht anders aus, wie Recherchen von Report Mainz zeigen.
Hetzer und Extremisten als gemeinnützig anerkannt
Beispiel "Aufbruch Leverkusen": Laut Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen ein extremistischer Verein, dessen Vorsitzender unter anderem "Narrative der russischen Regierung" verbreite. Der Verein, der diese Einschätzung auf Anfrage bestreitet, ist gemeinnützig. Die "Baptistenkirche Zuverlässiges Wort" aus Pforzheim wiederum hetzt in Predigten gegen queere Menschen. Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg spricht von einer "demokratiefeindlichen Grundhaltung", manche Predigten enthielten "antisemitische und verschwörungsideologische Elemente". Der Trägerverein der Kirche erhält Steuervorteile. Eine Anfrage dazu ließ die Kirche unbeantwortet.
Die Liste gemeinnütziger Vereine, die von Verfassungsschutzämtern als extremistisch oder verfassungsfeindlich eingestuft werden, lässt sich verlängern: Der Verein für Dialog und Völkerverständigung in Karlsruhe, der laut Verfassungsschutz der islamistischen Muslimbruderschaft nahestehe. Oder das Hans-Litten-Archiv in Göttingen, das der linksextremen "Roten Hilfe" angeschlossen ist und bei dem es sich um eine "extremistische Struktur" handele, die "verfassungsfeindliche Ziele" verfolge. Beide Vereine bestreiten, extremistisch zu sein.
Lückenhafte Prüfungen wegen Personalmangel
Die Finanzbehörden dürfen sich aufgrund des Steuergeheimnisses nicht zu konkreten Einzelfällen äußern. Im Interview mit Report Mainz spricht Florian Köbler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, die die Interessen der Finanzverwaltung vertritt, von einem "eklatanten Vollzugsproblem". Er sagt: "Wir können nicht alle Fälle bis ins kleinste Detail prüfen. Hintergrund: zu wenig Personal."
Er hofft auf einen besseren Informationsaustausch mit den Sicherheitsbehörden. "Die Kommunikation zwischen Verfassungsschutz und Steuerverwaltung muss besser funktionieren. Wir müssen zukünftig hier besser vernetzt werden, und der Verfassungsschutz muss uns da auch besser abdecken", so Köbler.
Steuervorteile für Verschwörungsanhänger
Der Geistheiler-Verein aus der Nähe von Bingen ist zwar kein Fall für Verfassungsschützer. Aber in der Vergangenheit fiel der Verein durch eine pauschale Impf-Ablehnung und Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie auf. Im Interview mit Report Mainz wiederholt die selbsternannte Heilerin Anne Hübner, dass die Pandemie ein "Plan" gewesen sei, zur "Reduzierung der Menschheit". Eine Behauptung, für die es keinen Beleg gibt. Ihr Verein ist weiterhin gemeinnützig.
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