Geflüchtete Ukrainerinnen Arbeiten für wenige Euro
Mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, vor allem Frauen und Kinder. NDR-Recherchen zeigen, dass diese immer wieder von Arbeitsvermittlern ausgebeutet werden.
Mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem Russland seinen Angriff auf die Ukraine begann. Mehr als eine Million Menschen sind seitdem nach Deutschland gekommen, vor allem Frauen und Kinder. Den Frauen werden häufig Versprechungen gemacht, wie sie schnell an Geld gelangen können.
Svitlana* floh im Oktober aus dem Osten der Ukraine nach Deutschland. Die ehemalige Angestellte aus der Metallindustrie wollte vor allem eines: möglichst schnell arbeiten. In Hamburg ließ sich die 51-jährige als Geflüchtete registrieren. Auf Facebook fand sie eine Anzeige auf Ukrainisch: "Reinigungskräfte für Kreuzfahrtschiffe in Papenburg gesucht". Svitlana fing mit weiteren Ukrainerinnen kurze Zeit später an dort zu arbeiten. Doch schon im zweiten Monat begannen die Probleme: Der Arbeitgeber zahlte ihnen kein Gehalt mehr.
Angestellt war Svitlana bei der Firma Akkoc in Hannover, die laut der Papenburger Meyer Werft von einem ihrer Lieferanten als Nachunternehmen beauftragt worden war. Die Werft selbst habe einen "anonymen Hinweis erhalten", dass die Firma Akkoc "einzelne Personen nicht ordnungsgemäß entlohnt". Ob der Vorwurf zutreffe, werde noch geprüft. Kurze Zeit nach der Anfrage des NDR-Politikmagazins Panorama 3 teilt die Werft dann mit: "Uns hat soeben die Information erreicht, dass sich auch unser Lieferant von der Firma Akkoc getrennt hat."
Drei Monate lang kein Geld
Nachdem Svitlana sechs Wochen lang auf einem Kreuzfahrtschiff geputzt hatte, brachte ihr Arbeitgeber sie in ein altes Haus im niedersächsischen Peine. Dort teilte sie sich zeitweise mit vier anderen Frauen ein Zimmer und wartete mehr als drei Monate lang auf ihr Gehalt. Sie habe gedacht: "Wenn wir diese Unterkunft jetzt verlassen, bekommen wir das Geld ganz sicher nicht."
Schließlich wandte sie sich an die Hamburger Beratungsstelle "Arbeit und Leben", die sich in solchen Fällen für ausländische Arbeitnehmerinnen einsetzt. Erst nachdem die Beratungsstelle Druck machte, wurde Svitlana immerhin ein Teil ihres Lohns gezahlt.
Doch nach Ansicht von Johannes Reichhold von "Arbeit und Leben" stünde ihr noch viel mehr Geld zu. Sie habe fünf Monate in Unterkünften des Arbeitgebers gewohnt. Ihr Arbeitsvertrag sei in dieser Zeit nicht gekündigt worden und sie habe ihre Arbeitskraft durchgehend angeboten. "Eigentlich müsste das Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber mindestens bis zum Auszug vergolten werden", so Reichhold. Der Branchenmindestlohn dafür liege bei 2600 € brutto pro Monat.
Anschuldigungen "absurd und unbegründet"
Ein Team von Panorama 3 war vor Ort, um sich die Unterkunft von außen anzuschauen, in der Svitlana und weitere Ukrainerinnen von dem Arbeitgeber untergebracht worden waren. Der Arbeitgeber von Svitlana M. sagte erst ein Interview zu und dann wieder ab. Schriftlich teilte er mit, die Anschuldigungen seien "absurd und unbegründet". In einem Gespräch bezeichnete er Geflüchtete aus der Ukraine dann pauschal als "Hurensöhne" und droht, er werde die "ukrainischen Menschen fertigmachen".
Panorama 3 hat auch mit anderen Ukrainerinnen gesprochen, die offenbar von Agenturen ausgebeutet wurden. Eine von ihnen ist Galina* aus dem Westen der Ukraine. Sie hat im vergangenen Jahr zwei Monate lang in Deutschland als sogenannte 24-Stunden-Betreuerin gearbeitet und wartet bis heute auf ihr Gehalt.
Einen Monat lang betreute sie die Mutter von Wolfgang S. aus Seevetal. Die 90-jährige war aufgrund von Demenz und mehreren Stürzen in ihrem Alltag ständig auf Hilfe angewiesen. Die Familie musste kurzfristig eine Lösung finden, bekam vom Krankenhaus Dutzende Prospekte von Agenturen aus der 24-Stunden-Betreuungsbranche und entschied sich schließlich für ein Angebot. "Wir waren glücklich, das war die Lösung", sagt Wolfgang S.
Galina kam innerhalb weniger Tage. Die Familie zahlte für ihren 30-tägigen Einsatz knapp 1000 Euro aus eigener Tasche. Zusätzlich flossen laut Leistungsvereinbarung Zuschüsse von der Pflegeversicherung an die Agentur, die der 90-jährigen Mutter aufgrund ihres Pflegegrads zustanden: mehr als 1600 Euro.
Arbeit oft nur mit Fluchtstatus legal
Doch schon nach wenigen Tagen gab es Probleme: Bei Galina kam kein Gehalt an. Weder für die Arbeit bei Familie S., noch für eine vorherige Stelle. "Ich habe nichts bekommen, keinen Penny", sagt sie. "Meine Kinder waren enttäuscht. Ich war enttäuscht. Aber wir haben die Situation so hingenommen. Was sollten wir denn tun?"
Tatsächlich hat Galina offenbar nicht legal in Deutschland gearbeitet. Sie war nicht als Geflüchtete registriert und hatte offenbar keine Arbeitserlaubnis. Das sei in dem Bereich häufig so, sagt Tetiana Goncharuk vom Frauentreff HellMa in Berlin, der seit dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine zum Unterstützungsstelle für Geflüchtete geworden ist.
Viele Agenturen arbeiteten gezielt mit der Unwissenheit der Ukrainerinnen: "Die Vermittlungsagenturen haben diese Situationen ausgenutzt, dass die Frauen wenig über das Aufenthaltsrecht oder das Arbeitsrecht in Deutschland wissen." Den Frauen werde oft erzählt, die Arbeit in Deutschland sei legal. Dabei ist sie das oft nur, wenn die Frauen als Geflüchtete hier sind und einen deutschen Arbeitsvertrag haben.
Agentur will Gehalt zahlen
24-Stunden-Betreuerin Galina soll jetzt möglicherweise ihr Gehalt erhalten. Die Agentur bestätigte auf Anfrage, dass ihre Lohnzahlung ausstünde. Zuständig für die Zahlung sei allerdings eine weitere zwischengeschaltete Agentur: "Wir werden jedoch umgehend den Versuch starten, mit der Vermittlungsagentur in Kontakt zu treten, um zu klären, was passiert ist und sicherzustellen, dass die ausstehende Lohnzahlung schnellstmöglich erfolgt."
*Name von der Redaktion geändert.