Drogenschmuggel Bundesregierung sieht Häfen und Zoll in Gefahr
Der Zoll muss sich auf eine wachsende Bedrohung durch internationale Drogenbanden einstellen - davon geht die Bundesregierung aus. Angemessenen Schutz für die Zöllner wird es wohl dennoch vorerst nicht geben.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich Zollbeamte auf eine "verschärfte Bedrohungslage" durch die organisierte Drogenkriminalität einstellen müssen. Dies lege die "aktuelle Entwicklung, insbes. die Sprengstoffanschläge in Nordrhein-Westfalen" nahe, heißt es in einer als vertraulich eingestuften Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU-Bundestagsfraktion. NDR und WDR liegt das Dokument vor.
Das für den Zoll zuständige Bundesfinanzministerium verweist damit auf jene Anschläge, die im Großraum Köln in den vergangenen Monaten aufgrund eines Streits zwischen verfeindeten Drogenbanden verübt worden waren. Die Täter hatten Explosionen an Wohnhäusern und Geschäften verursacht und vermeintliche Rivalen entführt.
Vor dem Hintergrund der angespannten Lage sei es notwendig, in künftigen Ermittlungsverfahren mit "hohen Sicherstellungsmengen von Betäubungsmitteln" eine schnellstmögliche Vernichtung der Drogen anzustreben, so die Bundesregierung. Vor allem das Kokain wird dabei immer mehr zur Gefahr für die Zöllner, weil Banden immer größere Mengen der Droge in die deutschen Häfen schmuggeln.
Nach Recherchen von NDR und WDR erwartet das Zollkriminalamt, dass sich der Kokainschmuggel von Hamburg und Bremerhaven auch auf die Ostseehäfen ausweiten könnte. Auf Nachfrage teilte die Generalzolldirektion mit, dass der Zoll im Jahr 2024 dort bislang noch kein Kokain sichergestellt hat.
Finanzministerium über Sicherheitslücken informiert
Zollfahnder aus Hamburg und Bremen haben das Bundesfinanzministerium bereits 2022 auf die Gefahr hingewiesen, dass Angehörige der Organisierten Kriminalität versuchen könnten, sichergestelltes Kokain wiederzuerlangen. In einem Schreiben, über das NDR und WDR im Juni berichtet hatten, hatten die Zöllner beklagt, dass Tätergruppen oftmals besser bewaffnet seien als der Zoll.
Um Kokainsicherstellungen, die oftmals einen Schwarzmarktwert von vielen Millionen Euro erreichen, besser schützen zu können, hatten Fahnder aus Bremen und Hamburg deshalb um eine robustere Ausrüstung mit Maschinenpistolen, gepanzerten Wagen und weiterer Schutzausrüstung gebeten. Bei der Polizei gehört solche Ausrüstung beim Transport größerer Drogenmengen zur Grundausstattung. Offenbar wird es einen vergleichbaren Schutz des Zolls aber vorerst nicht geben.
"Austausch über angemessene Maßnahmen"
In der vertraulich eingestuften Antwort der Bundesregierung teilte das Bundesfinanzministerium mit, man sei über das besondere Schutzbedürfnis beim Transport von großen Drogenmengen informiert und befinde sich hierzu mit der Generalzolldirektion "in einem engen Austausch über angemessene Maßnahmen".
Auf die Frage, ob die Zöllner denn nun mit den geforderten Waffen, Schutzwesten und Panzerfahrzeugen ausgestattet werden, erklärte das Bundesfinanzministerium lediglich, dass man diese Frage "fortlaufend bewerte". Weiter heißt es, im Zoll lägen bislang "keine gesicherten konkreten Erkenntnisse" vor, wonach Tätergruppen bereit sein könnten, vom Zoll sichergestellte Drogenlieferungen mit Waffengewalt wiederzuerlangen.
250 Millionen Euro mehr für den Zoll
Eine Aussage, die offenbar im Widerspruch zu einem aktuellen Analysebericht der Generalzolldirektion steht. Die Behörde ist dem Bundesfinanzministerium unterstellt. In dem Dokument aus dem Sommer, das NDR und WDR vorliegt, heißt es, dass Kokainlieferungen in den deutschen Nordseehäfen oftmals mit GPS-Trackern ausgestattet seien und nicht selten "durch gewaltbereite Personen begleitet werden". Insofern sei die "Möglichkeit der 'Wiederbeschaffung' oder das Auffinden des Schmuggelgutes durch die Täterseite (...) als klares Ziel zu erkennen", das somit "als konkrete Gefahr für die Einsatzkräfte als gegeben angesehen werden" könne.
Auf Nachfrage wollte das Bundesfinanzministerium den Widerspruch nicht erklären. Ein Sprecher sagte, dass der Zoll im kommenden Jahr 250 Millionen Euro mehr erhalten solle. Ein Teil des Geldes solle auch in "eine sachgerechte Ausstattung der Zollvollzugs-Kräfte" fließen. Wofür genau, dazu wollte sich der Sprecher aus "einsatztaktischen Gründen" nicht äußern.
Hamburg weiter im Fokus
Der Hamburger Hafen hat sich in den vergangenen Jahren zu einem europäischen Haupteinfallstor für den internationalen Kokainschmuggel entwickelt. Erst in der vergangenen Woche wurden nach Informationen von NDR und WDR offenbar erneut mehrere hundert Kilogramm Kokain im Hamburger Hafen sichergestellt.
Als Reaktion darauf soll der Zoll in den kommenden Jahren mit zwei weiteren Röntgen-Anlagen ausgestattet werden, um Container durchleuchten zu können. Bis die neuen Geräte eintreffen, soll der Hamburger Zoll leihweise ein mobiles Röntgengerät erhalten. Nach Recherchen von NDR und WDR hat sich die Generalzolldirektion mit anderen Zollämtern darauf verständigt, die über derartige Geräte verfügen.
Bei voller Auslastung könnten somit in Hamburg täglich etwa 250 Container statt wie bisher 150 Container durchleuchtet werden, sofern die Anlagen durchgehend eingesetzt werden. Die mobilen Geräte sollen dabei offenbar insbesondere zum Röntgen von Fracht aus Südamerika eingesetzt werden. Zum Vergleich: Sowohl in den Häfen Rotterdam, als auch Antwerpen werden deutlich mehr Röntgengeräte eingesetzt.
Ausstattung mit Maschinenpistolen
Derzeit sieht das Bundesfinanzministerium laut der vertraulich eingestuften Antwort nicht vor, mehr Zöllner mit Maschinenpistolen ausstatten zu lassen. Allerdings sollen zumindest die so genannten Kontrolleinheiten Grenze (KEG) - zunächst in Hamburg und Bremerhaven - künftig offenbar leichter auf Maschinenpistolen zugreifen können.
Das Problem ist, dass diese Einheiten eigentlich nicht für die Absicherung von Drogensicherstellungen vorgesehen sind und dafür auch nicht immer zur Verfügung stehen.
Umgang mit sichergestellten Drogenfunden umstritten
In den meisten Fällen bewahrt der Zoll die Drogenfunde auf, bis die Täter rechtskräftig verurteilt sind. Dies kann mitunter mehrere Jahre dauern. In geheimen Lagern liegen somit viele Tonnen Kokain, die Begehrlichkeiten von Drogenbanden wecken könnten. Bisher scheitert ein schnelles Verbrennen der Drogen oftmals an den zuständigen Staatsanwaltschaften, die befürchten, dass eine Vernichtung der Drogen zu Schwierigkeiten im Gerichtsverfahren führen könnte.
Das Bundesfinanzministerium weist in seiner Antwort an die Unions-Fraktion darauf hin, dass bereits jetzt eine frühere Vernichtung der Drogen möglich sei, sofern die Staatsanwaltschaften einer solchen zustimmten. So sei es denkbar, dass Drogenfunde ausreichend dokumentiert von einem Richter oder von Sachverständigen begutachtet würden, um anschließend lediglich eine kleinere Menge zu Beweiszwecken aufzuheben.
Derzeit werde von der Bundesregierung geprüft, ob in dieser Frage "eine rechtliche Klarstellung erfolgen sollte", heißt es in dem Dokument. Auf Nachfrage teilte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit, dass man inzwischen eine "generelle Vorgehensweise" zum Umgang mit Kokain-Großsicherstellungen verabredet habe. Details dazu wollte die Behörde nicht nennen.
Frust beim Zoll
Bei vielen Zöllnern wachse inzwischen der Frust, heißt es von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Tatsächlich sehen Zollbeamte nicht nur in den Häfen einen erhöhten Schutzbedarf. Nach Informationen von NDR und WDR gibt es derzeit in verschiedenen Hauptzollämtern einen Wunsch nach einer besseren Bewaffnung, etwa um auf besondere Bedrohungslagen an Flughäfen vorbereitet zu sein oder um Großkontrollen im Clan-Milieu besser absichern zu können, heißt es in dem Bericht der Generalzolldirektion.
Bundesfinanzminister Christian Lindner ist zugleich Chef des Zolls. Wiederholt hatte der FDP-Politiker öffentlich angekündigt, die ihm unterstellte Behörde im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität besser auszustatten. So erklärte Lindner unlängst in einem Social-Media-Clip: "Wenn die international Organisierte Kriminalität aufrüstet, dann muss der Staat nachziehen. Er muss vor denjenigen sein, die mit krimineller Energie uns schaden wollen".
Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Zoll, nennt das leere Versprechungen: "Wenn Zöllnerinnen und Zöllner noch immer in normalen VW-Bussen Kokain im Millionenwert transportieren müssen und dabei noch nicht einmal Maschinenpistolen tragen, dann läuft etwas gehörig schief", sagte Buckenhofer. Wer im Einsatz im Zweifel sein Leben einsetze, der habe auch ein Recht auf bestmögliche Ausrüstung.