Glücksspiel Mutmaßlicher Millionenbetrug mit wenigen Klicks
Durch manipulierte Spielautomaten sollen Betrüger jahrelang massiv Steuern hinterzogen haben. NDR/WDR/SZ-Recherchen erlauben Einblicke in einen solchen mutmaßlichen Millionenbetrug. Obwohl Behörden die Masche kennen, könnte sie auch heute noch genutzt werden.
Ohne Hilfe hätten die Ermittler den mutmaßlichen Spielhallen-Betrug wohl nie in diesem Umfang aufgedeckt. Über Jahre hinweg sollen Betreiber von mehr als 30 Spielhallen vor allem in Nordrhein-Westfalen und Berlin den Fiskus betrogen haben, indem sie die Umsätze ihrer Spielautomaten gefälscht haben sollen.
Dadurch sollen sie insgesamt mehr als 40 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben, heißt es vom Landgericht Bochum auf Anfrage. Dort beginnt am 9. Oktober ein Prozess gegen vier Personen, die sich wegen bandenmäßiger Steuerhinterziehung und bandenmäßiger Fälschung technischer Aufzeichnungen verantworten müssen. Die Anwälte der Angeklagten wollten sich auf Anfrage nicht äußern. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Wie leicht es für Betrüger im Glücksspielbereich über den Fall hinaus offenbar über Jahre war, Geld am Staat vorbeizuverdienen, zeigen Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung bei Ermittlern, Finanzbehörden und in der Industrie. Und dass dies offenbar in ähnlicher Form bis heute möglich ist - mit einem geringen Risiko, entdeckt zu werden.
Ex-Investor gibt entscheidende Hinweise
Dass die Angeklagten sich bald vor Gericht verantworten müssen, hängt auch damit zusammen, dass sich ein ehemaliger Geschäftspartner schon 2020 an die Ermittler gewandt hat. Er lieferte ihnen Unterlagen, Akten und Film- wie auch Tonaufnahmen aus dem Umfeld der Angeklagten.
Der 48-jährige gebürtige Israeli Chanan Goslan investierte einst selbst in die Spielhallen der Geschäftsleute, die Ermittler der Steuermanipulation verdächtigen. Damals war er auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit für Geld aus einer anderen Betrugsmasche. Er hatte die Pflegekasse über Jahre hinweg um Millionen betrogen, in dem er für eigentlich noch gesunde Rentner bei den Kassen Leistungen beantragte und diese dann mit Komplizen und den Rentnern teilte, ohne wirklich jemanden zu pflegen. 2016 wurde er für seinen Pflegebetrug verhaftet und anschließend zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Von Geschäftspartnern hintergangen
2010 lief seine Betrugsmasche noch, damals wollte er das Geld irgendwo investieren. Für 1,9 Millionen Euro kaufte Goslan schließlich Anteile an zehn Spielhallen und bekam von seinen Geschäftspartnern angeblich eine monatliche Auszahlung von 50.000 Euro zugesagt. Doch von Anfang an habe er weniger Geld als vereinbart erhalten, sagt Goslan heute. Er habe das Gefühl gehabt, dass man sich über ihn lustig gemacht und ihn über den Tisch gezogen habe.
Goslan begann, eigene Recherchen anzustellen, verkabelte sich und heuerte sogar eine Privatdetektei an. "Ich wusste, dass ich früher oder später der Sache auf den Grund gehen würde. Ich wusste nur nicht, wie groß das Ausmaß des Sumpfs ist", erzählte Goslan, als NDR, WDR und SZ ihn vor wenigen Tagen in Berlin zu einem Gespräch trafen. 2013 war er überzeugt, dass seine Geschäftspartner ihn hintergingen. Er stieg aus den Spielhallen-Geschäften aus.
Beweismaterial übergeben
Erst Jahre später, im Jahr 2020, kontaktierte er aus dem offenen Vollzug heraus Ermittler. Zu diesem Zeitpunkt stellten diese bereits zu acht Spielhallen aus dem Umfeld der Angeklagten Nachforschungen an. Über seinen Bruder, so erzählt Goslan, habe er davon erfahren. Er übergab den Ermittlern zwei Umzugskartons voll Akten, Fotos, Videos und Audio-Dateien, weil er dem deutschen Staat gegenüber "einiges wieder gutzumachen hatte".
Seine gesammelten Belege deuteten auf eine viel größere Dimension hin: Er sagte, dass es um mehr als 30 Spielhallen gehe, um einen mutmaßlich groß angelegten Steuerbetrug, bei dem er die Hintermänner und deren Masche auf dem Silbertablett servieren könne. Die Ermittler notierten das so ähnlich später auch in der Ermittlungsakte, die NDR, WDR und SZ teilweise einsehen konnten. Kurz nach seiner Aussage verwanzten die Ermittler Telefone, durchsuchten zahlreiche Häuser und klagten am Ende insgesamt neun Personen an.
Manipulierte Spielautomaten
Aus den Ermittlungsakten lässt sich rekonstruieren, dass die Angeklagten mehr als 30 legale Spielhallen in ganz Deutschland betrieben und dabei systematisch die Steuerlast nach unten korrigiert haben sollen. Goslan sagt, er habe beim Einstieg in das Spielhallen-Geschäft nichts davon gewusst. Erst im Zuge seiner eigenen Recherchen habe er verstanden, wie das Betrugssystem funktioniert haben soll.
Grundlage für die Besteuerung ist ein Auslesestreifen, der einem Kassenbon ähnelt und von jedem Automaten automatisch ausgedruckt wird. Mit Hilfe einer Software sollen die Täter die Umsätze auf eben diesen Auslesestreifen um rund 50 Prozent nach unten verändert haben - weniger Umsatz, weniger Steuern.
Das Schwarzgeld soll in den Taschen der Geschäftsleute verschwunden sein - möglicherweise kein Einzelfall. Immer wieder sorgten in den vergangenen Jahren Fälle von Steuerhinterziehung durch manipulierte Spielautomaten für Schlagzeilen. Recherchen von NDR, WDR und SZ zeigen, dass die Masche theoretisch an jedem der vielen Tausend Geldspielgeräte in Deutschland möglich gewesen wäre, und das bis einschließlich 2021. Erst ab diesem Zeitpunkt soll ein sogenannter Fiskaldatenspeicher die Geräte manipulationssicher gemacht haben.
Technische Nachrüstung mit Tücken
Dieser Fiskaldatenspeicher soll dafür sorgen, dass der Umsatz eines Gerätes digital signiert und somit manipulationssicher gemacht wird. Recherchen von NDR, WDR und SZ bei den Finanzministerien der Länder zeigen jedoch: Es gibt nach wie vor Schlupflöcher. Auf Anfrage schreibt zum Beispiel das Finanzministerium Niedersachsen, dass schon Manipulationen an den Fiskaldaten bekannt seien. Einige Bundesländer teilen mit, dass die Kontrollen von solchen und weiteren Daten nur punktuell erfolgten oder teilweise aus technischen Gründen erst seit 2024 möglich seien. Andere antworten, dass sie technisch gut ausgerüstet seien.
Die Überprüfung ist Ländersache und damit stark davon abhängig, wie gut die Behörden personell und technisch ausgestattet sind. Für Verbrecher bietet das die Möglichkeit, nach wie vor zu manipulieren, auch wenn die Gefahr, entdeckt zu werden, offenbar gestiegen ist.
Illegales Glücksspiel noch lukrativer
Neben der Manipulation von Automaten haben Kriminelle längst entdeckt, dass es einen noch lukrativeren Markt gibt: den des illegalen Glücksspiels. Anders als in dem Fall, der nun vor dem Landgericht Bochum verhandelt wird, geht es hierbei um illegal betriebene Spielautomaten, meist in Hinterzimmern von Gastronomie-Betrieben, denen jegliches Prüfsiegel fehlt und die ohne behördliche Genehmigung aufgestellt wurden. Deren Einnahmen laufen komplett an der Steuer vorbei. Die Organisierte Kriminalität breitete sich laut Ermittlungsbehörden in diesem Bereich aus. Erträge aus dem illegalen Glücksspiel belaufen sich Schätzungen zufolge auf rund drei Milliarden Euro im Jahr.
Verbrecher müssen offenbar kaum Kontrollen fürchten. Denn für die Kontrolle von illegalen Spielhallen und Automaten sind in Deutschland die Ordnungsämter zuständig. Es ist eine Aufgabe, die viele Kommunen personell überfordert.
Geringes Entdeckungsrisiko
Hinzu kommt laut Tobias Hayer, Glücksspielforscher von der Uni Bremen, dass sich die Kontrolleure oft nicht trauen, allein etwa in dubiose Hinterzimmer zu gehen. "Würde ich beim Ordnungsamt arbeiten, hätte ich schlichtweg eines: Angst", so Hayer. Auch die Polizei scheint kaum eine Handhabe gegen die Täter zu haben, wie ein interner Bericht des LKA Nordrhein-Westfalen zeigt, den NDR, WDR und SZ einsehen konnten. Darin heißt es, dass es bei der Bekämpfung des illegalen Glücksspiels an geschultem Personal und erforderlicher Technik fehle.
Zudem seien andere beteiligte Aufsichtsbehörden personell so überlastet, dass die Bekämpfung des illegalen Glücksspiels nicht im Fokus stehe. Ermittlungen erfolgten im Hinblick auf Geldwäsche oder schwere Steuerhinterziehung in der Regel nicht. Das Entdeckungsrisiko für Kriminelle sei gering, so der Bericht.
Härtere Strafen gefordert
Angesichts der horrenden Gewinne, die manipulierte oder illegale Automaten ermöglichen, stehe Glücksspiel aktuell zu wenig im Fokus, kritisiert Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Man müsse den Tätern "auf die Füße" steigen, Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaften häufiger gemeinsam tätig werden. Doch dafür fehle es am politischen Willen, so Huth.
Dabei sei eine engere Zusammenarbeit der Vollzugsbehörden und härtere Sanktionen, wie zum Beispiel höhere Geldstrafen oder eine persönliche Haftung sinnvoll, sagt beispielsweise Glücksspielforscher Hayer. Auch der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert fordert im Interview mit NDR, WDR und SZ "viel härtere Strafen im illegalen Bereich. Es kann nicht sein, dass viele mit einer Geldstrafe davonkommen."
Glücksspiel ist in Deutschland längst zu einer milliardenschweren Einnahmequelle professioneller Betrüger geworden und der Staat hat ohne Insider wie Chanan Goslan derzeit offenbar kaum eine Chance, illegale Einnahmen systematisch zu unterbinden.
Die komplette NDR-Story "Tatort Eckkneipe: Auf den Spuren der Glücksspielmafia" finden Sie in der ARD-Mediathek.