Interne Untersuchung zu Pushbacks Schwere Vorwürfe gegen Frontex
Anfang des Jahres war Frontex offenbar erneut in Pushbacks involviert - das haben Recherchen von NDR und WDR gezeigt. Jetzt stellen auch interne Untersuchungen schwere Fehler fest. Frontex-Direktor Leijtens steht unter Zugzwang.
Nach monatelangen internen Untersuchungen hat der Grundrechtsbeauftragte von Frontex schwere Vorwürfe gegen Frontex-Personal erhoben, das im Mittelmeer im Einsatz war. Das geht aus Untersuchungsberichten hervor, die NDR und WDR ausgewertet haben. Demnach haben die Grenzschützer Fehler im Zusammenhang mit möglicherweise illegalen Pushbacks gemacht.
In zwei Fällen hätten die Beamten massiv gegen die eigenen Meldepflichten verstoßen, heißt es in den Untersuchungsberichten. Frontex, die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache, erklärte jetzt auf Anfrage, dass man die im Bericht geäußerten Empfehlungen des Grundrechtsbeauftragten genau prüfe.
Vorwurf illegaler Pushbacks
Eine Recherche von NDR und WDR hatte im Frühjahr erstmals über die beiden Vorfälle im Mittelmeer berichtet und die Abläufe rekonstruiert. Offenbar waren Migranten von griechischen, also EU-Gewässern, in türkische Gewässer zurückgeschickt worden - und Frontex sowie die griechische Küstenwache sollen vor Ort gewesen sein. Der Verdacht: Frontex könnte damit erneut an sogenannten illegalen Pushbacks beteiligt gewesen sein.
Besonders ein Ereignis gilt als brisant: Der Rekonstruktion von NDR und WDR zufolge befanden sich am Morgen des 19. Februar 2024 rund 30 Personen in einem Schlauchboot in griechischen Gewässern - Männer, Frauen und Kinder. Videoaufnahmen zeigen, dass sie um Hilfe rufen, während mindestens zwei andere Schiffe in Sichtweite sind. Eines dieser größeren Boote trägt die Fahne der bulgarischen Küstenwache; es ist hier in der Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei für Frontex im Einsatz. Doch die EU-Grenzschutzagentur reagierte in dieser Situation auf hoher See offenbar kaum.
Frontex-Schiff missachtete offenbar Migranten-Boot
Die Frontex-Untersuchungen bestätigen die Recherchen: Es habe sich um das besagte bulgarische Schiff im Frontex-Einsatz gehandelt, das auf das Schlauchboot mit Migranten getroffen war. Demnach ist die Crew offenbar trotz der Hilferufe nicht eingeschritten. Das Frontex-Personal soll es darüber hinaus unterlassen haben, einen solchen Vorfall mit gefährdeten Migranten auf hoher See in jener Schicht überhaupt zu melden. Laut dem Bericht hatte die bulgarische Frontex-Besatzung in den internen Befragungen abgestritten, in der besagten Schicht auf ein Boot mit Migranten gestoßen zu sein.
Die internen Prüfer halten es nach Sichtung aller Hinweise aber für belegt, dass die Frontex-Crew in der Nähe von Lesbos auf die Migranten gestoßen war. Mit Sorge werde festgestellt, dass die Berichte der Crew nicht vollständig gewesen seien.
Das bulgarische Innenministerium antwortete auf Fragen zu dem Vorfall nicht. Die griechische Küstenwache hatte die Einsatzleitung über die Mission übernommen, da der Frontex-Einsatz in Griechenland stattfand. Diese Rollenverteilung ist der Normalfall, wenn Frontex-Personal oder Schiffe in den EU-Ländern bereitstellt. Die griechische Küstenwache erklärte auf Anfrage, sie habe die Untersuchung der beiden Vorfälle abgeschlossen. Eine Wiederaufnahme sei möglich, falls neue Informationen auftauchten. Gleichzeitig wurde betont, dass griechische Beamte in der Vergangenheit viele Menschenleben gerettet und dabei die gesetzlichen Vorgaben eingehalten hätten.
Mit Schlagstöcken gegen Bootsflüchtlinge
Auch bei dem zweiten Vorfall haben die internen Prüfer klare Fehler festgestellt. Ein Video zeigt, wie Ende Januar 2024 ein volles Schlauchboot mit etwa 30 Personen auf dem Meer unterwegs ist. Man sieht, wie sich ein kleines Boot nähert, das angesichts seiner Kennzeichnung wohl zur griechischen Küstenwache gehört. Darin sitzende Maskierte Personen helfen jedoch nicht, sondern drohen offensichtlich mit Stöcken. Im Hintergrund sieht man ein größeres Boot von Frontex.
Die Untersuchung stellt jetzt "mit Sicherheit" fest, dass das Boot mit den Migranten griechische Gewässer erreicht hatte und dort zweimal abgefangen worden sein soll - einmal durch das Frontex-Boot in Grenznähe und einmal durch die griechische Küstenwache nahe der Insel Lesbos. Bestätigt wird zudem, dass das Speedboot der griechischen Küstenwache in kurzer Distanz zum überfüllten Schlauchboot mit seinen Manövern derartig Wellen erzeugte, sodass die Menschen im Schlauchboot in Gefahr gerieten. Die griechische Crew habe die Stöcke zudem in "extrem gefährlicher Weise" benutzt. Leben und Sicherheit der Migranten seien durch diese Aktionen riskiert worden.
Ihre Rückkehr in die Türkei, wo die Migranten von der dortigen Küstenwache gerettet wurden, könne vor diesem Hintergrund nicht als komplett freiwillig betrachtet werden, heißt es weiter. Den Prüfern sei es aber nicht gelungen, die entscheidenden Motive für die Umkehr herauszufinden. Wie beim anderen Vorfall wird auch hier kritisiert, wie das Frontex-Personal berichtet habe: lückenhaft und inkorrekt.
Illegale Pushbacks schwer nachweisbar
Das Ergebnis der Untersuchungen: Eine illegale Zurückweisung konkret nachzuweisen und die jeweils Beteiligten zu benennen, gilt als nahezu unmöglich, da sich solche Vorfälle meist über Stunden mitten auf hoher See zutragen. Auch die aktuellen Untersuchungen weisen den Beteiligten keinen solchen Pushback nach. Aber: Die Prüfer erklären ausdrücklich, dass die beobachteten Vorgehensweisen zu vorherigen Pushbacks passen würden.
In der EU wird heftig über die Art und Weise des europäischen Grenzschutzes gestritten. Verschiedene internationale Berichte wie etwa jener des europäischen Antibetrugsamts OLAF haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es an der türkisch-griechischen Grenze zu illegalen Pushbacks gekommen sein soll. Ähnliche Vorwürfe werden gegen Kroatien oder Polen gerichtet. Finnland hat vor ein paar Wochen sogar Pushbacks per nationalem Gesetz erlaubt - mit der Begründung, dass Russland Asylsuchende mit Absicht an die Grenze bringe, um die Sicherheit von benachbarten Staaten zu gefährden.
Frontex muss Grundrechte sichern
Pushbacks gelten aber mit Blick auf verschiedene internationale Regeln als illegal, wenn dadurch Personen am Stellen eines Asylantrages gehindert und zurück über die EU-Außengrenze gedrängt werden. Solche Aktionen widersprechen auch dem Auftrag von Frontex, die Grenzen unter Einhaltung der Grundrechte zu sichern. Frontex-Beamte sind laut einem Handbuch sogar aufgefordert, "proaktiv Personen zu identifizieren und über ihre Rechte aufzuklären, die sich möglicherweise um internationalen Schutz bemühen möchten".
Frontex-Direktor Hans Leijtens gerät mit den neuen Untersuchungsergebnissen in Erklärungsnot: Er hatte den Posten Anfang 2023 mit dem Versprechen angetreten, dass Frontex künftig nicht mehr in illegale Pushbacks involviert sein werde. Im Interview mit Reschke Fernsehen hatte der Frontex-Chef erklärt, dass die Einsatzführung zwar stets beim jeweiligen Einsatzland liege - in den aktuellen Fällen bei Griechenland. Er erwarte in fragwürdigen Fällen von seinem Personal aber zumindest einen Bericht. Und genau das ist in diesen beiden Fällen nicht passiert, wie die Untersuchung des Grundrechtsbeauftragten zeigt: keine Hilfe - und kein Bericht.