SED-Opfer Der lange Kampf um Entschädigung
Tausende Opfer von DDR-Unrecht ringen um Entschädigung, doch die Ämter glaubten den Akten der DDR-Behörden mehr als den Betroffenen, so ein Opfer-Vertreter im Kontraste-Interview. Das Sozialministerium sieht offenbar keinen Handlungsbedarf.
Von Tom Fugmann, RBB
Der Besuch des ehemaligen Jugendwerkhofes in Torgau ist für Ralf Weber noch immer ein schwerer Gang, auch ein halbes Jahrhundert später. Tagelang war der heute 66-Jährige dort in einem fensterlosen Raum eingesperrt. Eine dicke Schicht aus Ziegeln verhinderte, dass die Außenwelt mitbekam, wie junge Menschen erniedrigt und geschlagen wurden. "Hier geht kein Schrei nach draußen", sagt Weber dem ARD-Politikmagazin Kontraste, "wer hier runterkommt, wird erbarmungslos verprügelt." Die sogenannten Jugendwerkhöfe dienten offiziell dazu, problematische Jugendliche zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umzuerziehen und ihnen Disziplin beizubringen.
Jugendliche sollten "umerzogen" werden
Weber berichtet von Prügelkommandos, die plötzlich in die Zellen gekommen seien: "Ich muss hier in der Zelle stehen und dann fallen sie über mich her. Sie schlagen einfach zu mit der Faust, mit einem Knüppel." Als Jugendlicher durchlief er eine Tortur nach der anderen. Mit sechs Jahren kam er das erste Mal ins Heim - die DDR-Jugendhilfe unterstellte, seine alleinerziehende Mutter wäre mit seiner Erziehung überfordert. Es folgten neun Kinder- und Spezialkinderheime.
Ralf Weber kämpft wie Tausende andere Betroffene um Wiedergutmachung.
Als Zehnjähriger musste er täglich vier Stunden in der LPG schuften, mit 14 Jahren arbeitete er Akkord in der Stahlproduktion. Davon und von den jahrelangen Misshandlungen sind seine Wirbelsäule deformiert und seine Bandscheiben beschädigt. Dennoch kämpft er wie Tausende andere Betroffene bis heute darum, eine finanzielle Wiedergutmachung für seine psychischen und körperlichen Leiden zu erhalten. Strafrechtlich ist er längst rehabilitiert, Gerichte haben schon vor Jahren festgestellt, dass er zu Unrecht im Kinderheim, im Jugendwerkhof und im DDR-Gefängnis eingesperrt war. Deshalb hat er als Opfer von SED-Unrecht einen Anspruch auf eine gesundheitliche Rehabilitierung.
Gerichte erkennen Schäden nicht an
Doch die wird ihm von den zuständigen Versorgungsämtern und Sozialgerichten verweigert. Seit inzwischen 28 Jahren führt er mit ihnen einen vergeblichen Kampf. Das Landessozialgericht Dresden entschied am Ende, die Schädigungen der Wirbelsäule seien nicht "auf Haft- bzw. Heimaufenthalte zurückzuführen". Auch einen "schädigungsbedingten Minderverdienst" vermag das Gericht nicht zu erkennen.
Ralf Weber verweist dagegen auf 20 gerichtsfeste Gutachten, die seine vielfachen Abnutzungsleiden im Körper belegen. Ein direkter Zusammenhang mit den damaligen erzwungenen Tätigkeiten jedoch ließe sich nach solch langer Zeit nicht mehr herstellen, so das Landessozialgericht. Zumal in den Akten von Betroffenen diese körperliche Ausbeutung eben nicht vermerkt wird. Daher sei die Nachweisführung nicht einfach, erklärt Dieter Dombrowski, Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft.
Die gesundheitlichen Schäden, die aus Misshandlungen, Haft und Zwangsarbeit resultierten, würden von den zuständigen Versorgungsämtern fast nie anerkannt, sagt er. Vielmehr schenke man den beschönigenden Akteneinträgen der DDR-Behörden mehr Glauben als den Opfern selbst. "Die Versorgungsämter führen regelrechte Abwehrschlachten gegen Geschädigte das SED-Systems", kritisiert Dombrowski. Da nur nach Aktenlage entschieden werde, stünden die Antragsteller vor der Aufgabe, ihre Schädigungen nach Jahrzehnten im Einzelnen nachzuweisen. "Dies ist regelmäßig nicht möglich."
Kritik kommt auch von der Bundesbeauftragten für Opfer des SED-Unrechts, Evelyn Zupke: "Natürlich steht in den Haftakten nichts von Wasserzelle, von Einzelhaft, von Dunkelhaft, von Tigerkäfig", sagt Zupke im Interview mit Kontraste. "Ich finde das erschütternd. Deswegen ist es mir auch eines der wichtigsten Anliegen, dafür etwas zu tun, zusammen mit der Politik, diese Dinge zu ändern." Sie fordert eine Beweislastumkehr von gesundheitlichen Schäden zugunsten der Betroffenen im SED-Opferentschädigungsgesetz.
Sozialministerium hält Entschädigungsrecht für ausreichend
Diese Verbesserung im SED-Opferschutzgesetz (SED-Unrechtsbereinigungsgesetz) hatte bereits die letzte Bundesregierung in Aussicht gestellt, aber nicht realisiert. Diesmal solle das Problem gelöst werden, so teilten es auf Kontraste-Anfrage die Koalitionsparteien mit. Aus der SPD-Fraktion hieß es, man habe bereits bei der Novellierung des Gesetzes im Jahr 2019 versucht, eine Verbesserung für die Opfer der SED-Diktatur zu erreichen, was an juristischen Bedenken gescheitert sei. In der neuen Koalition sehe man gute Chancen für eine Novellierung.
Die FDP-Fraktion verweist auf die explizite Erwähnung des SED-Unrechts im Regierungsprogramm. Auch die Grünen erklären, dass in der Koalition Einigkeit darüber herrsche, dass der Zugang zu Hilfen und Leistungen für Opfer der SED-Diktatur verbessert werden sollen.
Doch das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärte gegenüber Kontraste, das Entschädigungsrecht sehe bereits jetzt "eine Reihe von weitreichenden Beweiserleichterungen zugunsten der Betroffenen vor." Das Recht der Sozialen Entschädigung sei im Jahr 2019 umfassend reformiert worden, dabei seien auch "Erleichterungen zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge vorgesehen". Offenbar sieht man dort erstmal keinen Handlungsbedarf. Nach den jahrzehntelangen Erfahrungen mit Behörden und Gerichten klingt das in den Ohren von Ralf Weber wie Hohn.
Beiträge zu diesem und weiteren Themen sehen sie heute um 21:45 Uhr bei "Kontraste" im Ersten.