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Bundesverkehrsministerium Wie Elektroautos ausgebremst werden

Stand: 04.06.2020 10:20 Uhr

Die Zahl der Elektrofahrzeuge ist in Deutschland zuletzt stark angestiegen. Der Ausbau der Ladesäulen kann nicht mithalten. Im Verkehrsministerium scheint der Fokus auf einer anderen Antriebstechnologie zu liegen.

Von Chris Humbs, rbb

Aaron Woelffer ist Co-Geschäftsführer der Cecon, einer IT-Beratung in Berlin-Mitte. Seine Mitarbeiter würde er gern schadstoffarm zu den Kunden schicken. Acht Elektrofahrzeuge besitzt das Unternehmen, was gut für das Gewissen, aber schlecht für das Nervenkostüm ist. Die wenigen Ladesäulen, die wir unmittelbar in der Nähe haben, sind gerade alle belegt", sagt Woelffer. "Wir warten, dass wir laden können." Elektroladesäulen sind in der Hauptstadt dünn gesät. Die Bundesnetzagentur weist auf ihren Seiten 519 Ladepunkte für die rund 3,5 Millionen Berliner aus.

Zuständig für den Ausbau dieser Infrastruktur ist vor allem das Bundesverkehrsministerium unter Führung des CSU-Politikers Andreas Scheuer. Bis 2030 soll sein Ministerium den Bau von einer Million Ladesäulen realisieren. So beschloss es das Klimakabinett im vergangenen Herbst.

Niederlande haben doppelt so viele Ladestationen

Momentan existiert davon lediglich ein Bruchteil: etwa 26.500 Ladesäulen im ganzen Land. Die Niederlande stellen ihren 17 Millionen Einwohnern mehr als doppelt so viele Ladesäulen zur Verfügung - rund 56.000. Im Ergebnis bedeutet dies, dass in den Niederlanden etwa 300 Einwohnern eine Elektroladesäule bereitsteht, während sich in Deutschland etwa 3200 Einwohner einen Ladepunkt teilen müssen.

Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern, denn der Ausbau kommt hierzulande nur schleppend voran. Seit den Beschlüssen des Klimakabinetts sind lediglich 3663 neue Ladepunkte entstanden - in rund sechs Monaten. Um das Ziel von eine Million Ladepunkten bis 2030 zu erreichen, müssten jedoch rund 100.000 Ladepunkte pro Jahr gebaut werden.

Die Förderung neuer Säulen liegt in der Verantwortung der NOW GmbH, einer hundertprozentigen Tochter des Bundesverkehrsministeriums. Der Bundesverband Elektromobilität (BEM) sieht in der Firma eher einen Verhinderer von mehr E-Mobilität. "Die NOW ist ursprünglich gegründet worden, um Wasserstoff-Technologien nach vorne zu bringen", sagt BEM-Sprecher Frank Müller. "Leider Gottes" sei die Wasserstoff-Technologie "eine Art Konkurrenz-Geschichte. Und wir sehen viel zu wenig Umsätze für den Bereich Elektromobilität". Die NOW GmbH trägt den Energieträger der Brennstoffzelle sogar im Namen: Nationale Organisation Wasserstoff.

Das Unternehmen reagiert weder auf telefonische Anfragen des ARD-Magazins Kontraste, noch findet sich bei einem Besuch ein Gesprächspartner. Erst auf mehrere E-Mails folgt eine Antwort. Für ein Interview hat niemand Zeit, Fragen werden nur schriftlich beantwortet.

Elektromobilität durch Wasserstoff-Expertise?

Lange Jahre wurde die NOW GmbH von Klaus Bonhoff geführt, der davor Wasserstoff-Experte der Daimler AG war. Doch weder beim Stuttgarter Automobilkonzern, noch als führender Kopf der NOW konnte er dem Wasserstoffantrieb zum Durchbruch verhelfen. Dennoch holte Scheuer ihn vergangenes Jahr im Juli als "Abteilungsleiter Grundsatzfragen" in sein Ministerium. In einer Pressemitteilung des Ministeriums wurde die Personalie damit begründet, dass der Wasserstoff-Experte die "Mobilität der Zukunft" voranbringen soll.

Laut einem Positionspapier, das Kontraste vorliegt, planen beide die Förderung von 1000 Wasserstofftankstellen bis zum Jahr 2025. Für die Besitzer eines Fahrzeugs mit Brennstoffzelle würde sich dadurch eine traumhafte Abdeckung ergeben: Derzeit sind bundesweit 507 solcher Fahrzeuge angemeldet. Dass es bald mehr werden, erscheint fraglich. Daimler, lange Vorreiter der Technologie, verkündete im April, vorerst keinen Wasserstoffwagen in Serie zu produzieren - sie sind zu teuer und nicht konkurrenzfähig.

Will das Verkehrsministerium die Wende?

Derweil ist die Zahl der Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen auf weit mehr als 200.000 gestiegen. Insbesondere auf den Parkplätzen der innerstädtischen Gewerbeflächen würde sich der Ausbau des Ladenetztes lohnen. Hier laden tagsüber viele Mitarbeiter von Firmen oder deren Kunden ihre Autos, nachts hängt der Fuhrpark der Firmen an der Strippe. Die Auslastung wäre maximal.

Ausgerechnet dort gibt es keine Förderung durch Bundesmittel. "Die Frage ist: Möchte das Verkehrsministerium diese Wende überhaupt haben?", sagt Stefan Pagenkopf-Martin, Geschäftsführer von Parkstrom, einer Firma, die im gesamten Bundesgebiet Ladesäulen betreibt. "Oder sitzen da noch Leute drin, die etwas anderes unterstützen?" Pagenkopf-Martin hat den Eindruck, dass der Wille zum Ausbau der Infrastruktur ganz klar fehlt.

Vor dem ersten Dienstsitz von Verkehrsminister Scheuer in Berlin stehen zwei teure Schnell-Ladesäulen. Von Aaron Woelffers IT-Beratungsfirma sind sie nur wenige Meter entfernt. Oft blieben die ungenutzt, sagt Woelffer. "Es ist ein bisschen ungeschickt, dass da werbewirksam 'einfach tanken' dransteht." Denn für die Bevölkerung sind die Ladesäulen nicht gedacht. Nur die Dienstwagen des Ministeriums ziehen dort Strom.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet "Kontraste" am 04. Juni 2020 um 21:45 Uhr.