Corona-Pandemie Verspätete Daten gefährden Frühwarnsystem
Wenn in einem Landkreis eine bestimmte Anzahl von Corona-Neuinfektionen überschritten ist, sollen Einschränkungen erlassen werden. Nach BR-Recherchen kommen die Daten aber oft verspätet an.
Die Meldedaten zu Corona-Fällen sind teilweise stark verspätet. Eine BR-Analyse zeigt: Das Frühwarnsystem mit bis zu 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner funktioniert daher nicht überall gleich gut.
Datenjournalisten des BR analysierten den jeweils tagesaktuellen Corona-Datensatz des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 1. April bis zum 20. Mai 2020 und gewannen Einblicke in ein Infektions-Meldesystem, das an einigen Stellen hakt.
Nachdem Bund und Länder für alle Bundesländer eine Stadt- und Landkreisgrenze mit 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner vereinbart hatten, senkten Bundesländer wie Bayern, Berlin und Niedersachsen ihre Grenze weiter, um einen erneuten Corona-Ausbruch schnell zu erkennen.
Warnsystem mit Schwächen
Doch die BR-Recherchen zeigen: Dieses Warnsystem hat Schwächen und funktioniert regional stark unterschiedlich. Grund ist vor allem der sehr unterschiedliche Meldeverzug vor Ort, denn bis eine Erkrankung gemeldet wird und in die Statistik eingeht, vergeht teilweise viel Zeit in den Landkreisen.
Mindestens eine Woche bis zum Gesundheitsamt
Von den ersten Symptomen bis zur Meldung beim Gesundheitsamt vergeht laut BR-Analyse in fast 40 Prozent der Landkreise durchschnittlich mindestens eine Woche. In manchen Fällen dauert es sogar länger als zwei Wochen.
Die Gründe, weshalb eine Infektion spät erkannt oder verzögert ans Gesundheitsamt gemeldet wird, sind laut RKI vielfältig. Verspätungen bei den Tests, den Meldungen und der Datenübermittlung oder aber auch einfache Eingabefehler können der Grund für diese Verzögerungen sein. Dazu beitragen können auch Verspätungen in Arztpraxen und Laboren, fehlende Testkapazitäten und das Verhalten der Patienten selbst, die unter Umständen erst nach Tagen zum Arzt gehen.
Die Auswertung zeigt starke regionale Unterschiede
Die Datenanalyse stellt für die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte große Unterschiede in der Schnelligkeit einer Meldung beim Gesundheitsamt fest. Das Problem ist verteilt über ganz Deutschland - es ist ein System stark unterschiedlicher Geschwindigkeiten.
Der Weg zwischen den Behörden
Eine weitere Erkenntnis aus der Datenanalyse ist, dass der zweite Schritt der Meldekette zwar weniger Verzug aufweist. Von den Gesundheitsämtern zum RKI sind im Infektionsschutzgesetz maximal zwei Arbeitstage vorgesehen. Doch auch das funktioniert nicht immer: Nach der Auswertung benötigten über 8000 Fälle drei Arbeitstage oder mehr, um in der RKI-Tabelle aufzutauchen. Auch hier sind große regionale Unterschiede festzustellen.
Verspätung mit Folgen
Diese Verzögerungen können sich unterschiedlich stark auf verschiedene Berechnungen auswirken. Statistik-Professor Helmut Küchenhoff von der Ludwigs-Maximilians-Universität in München sagt dazu: "Der Meldeverzug kann dazu führen, dass die Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000-Einwohner unbemerkt überschritten wird." Damit können politische Maßnahmen auch erst später greifen - durch den Meldeverzug je nach Region stärker oder weniger stark.
Probleme der Meldekette schon lange bekannt
Das RKI erkannte das Problem der Meldelücken und Verzögerungen bereits 2012, damals startete in Folge des EHEC-Ausbruchs eine erste Pilotstudie. Schon damals wird in einer Präsentation des niedersächsischen Landesgesundheitsamts die "uneinheitliche bis lückenhafte Meldepraxis" beklagt.
Daraufhin wurde das RKI damit beauftragt, das Meldesystem so zu verbessern, dass eine "durchgängige elektronische Informationsverarbeitung" - vom Labor bis zum RKI - ermöglicht werde. Die Umsetzung von "DEMIS", was für "Deutsches Elektronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz" steht, war für Ende 2020 anvisiert.
Nun soll das Projekt DEMIS-SARS-CoV-2 als gemeinsame Anstrengung und "Beschleunigungsaktion" von RKI und dem Bundesgesundheitsministerium innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein. Allerdings möchte sich derzeit niemand genau festlegen, wann mit der Software in der aktuellen Pandemie zu rechnen ist.