Zum GroKo-Jahrestag Phantomdebatte um das Kanzleramt
Kanzlerinnenwechsel im vollen Galopp - dafür werben einige Merkel-kritische Konservative in der Union. Sie befeuern damit eine Phantomdebatte, die von einigen in der SPD losgetreten worden war. Was steckt dahinter?
Vielleicht liegt es am Jahrestag. Morgen ist es genau ein Jahr her, dass die Großkoalitionäre ihre Arbeitsgrundlage für die nächsten vier Jahre feierlich unterschrieben haben. Vielleicht haben einige politische Kreise aber auch einfach Interesse daran, in das mühsam gebildete GroKo-Konstrukt noch zusätzlich Zweifel und Misstrauen zu streuen. Nervosität ist eh genug vorhanden in diesem wichtigen Wahljahr. Nun debattiert die Union über einen vorzeitigen Wechsel im Kanzleramt.
Es ist ein Lehrstück darüber, wie eine Phantomdebatte Fahrt aufnimmt. Der neueste Weiterdreh kommt heute vom Chef der so genannten Werteunion, eine besonders konservative Gruppe von Unionspolitikern. Der Gruppe übrigens, der gerade Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen beigetreten ist.
Es wäre für die Union das Beste, wenn Frau Merkel ihr Amt geordnet und möglichst bald an AKK übergibt", sagt Alexander Mitsch. "Ich gehe davon aus, dass die SPD spätestens nach den Landtagswahlen im Osten panikartig die Koalition verlassen wird. Die CDU muss sich darauf vorbereiten und sollte proaktiv den Wechsel im Kanzleramt betreiben." Mit einem erneuerten Kabinett könne die CDU-Chefin den notwendigen Politikwechsel für Deutschland einleiten, besonders in der Einwanderungs- und Wirtschaftspolitik.
Wer will einen Koalitionsbruch?
Mitsch, ausgewiesener Merkel-Kritiker, plädiert in der "Passauer Neuen Presse" also offen für einen Wechsel im Kanzleramt - wohlwissend, dass dies bei realer Betrachtung der politischen Großwetterlage zur Zeit nicht ansteht. Weil es auch niemand ernsthaft will. Das erneuerte Kabinett, von dem Mitsch spricht, wird es kaum geben. Weder würde die SPD einem Ministertausch zustimmen (warum auch?), noch zeichnet sich ein Wechsel zu einer Jamaika-Koalition inmitten dieser Legislaturperiode ab. Die Grünen wären auch angesichts ihrer guten Umfragewerte im Vergleich zu ihrem Abschneiden bei der Bundestagswahl schlecht beraten, würden sie sich auf so einen Deal einlassen, ohne den Preis in für die Union nicht akzeptable Höhen hochzuhandeln.
Noch, und das ist wohl das Entscheidende, will niemand aus der Großen Koalition ernsthaft einen Bruch mit anschließender Neuwahl. "Ich kenne in Union und SPD niemanden, der über so ein Szenario ernsthaft nachdenkt", sagt denn auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther der Funke-Mediengruppe. Auch Hessens Regierungschef Volker Bouffier spricht von einer "überflüssigen Diskussion" und erinnert: "Wir haben eine Kanzlerin." Kurz: Beide CDU-Politiker finden die Debatte unverantwortlich - und sinnlos. Und sie sind nicht die einzigen.
Koalitionsbruch? "Ich kenne in Union und SPD niemanden, der über so ein Szenario ernsthaft nachdenkt", sagt Daniel Günther.
Und wieder: Sigmar Gabriel
Aber es war doch die SPD, die die Debatte ausgelöst hat, mag man jetzt einwenden. Genau gesagt waren es der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs und: Sigmar Gabriel, Ex-Parteichef, Ex-Vize-Kanzler, Ex-Außenminister, Ex-Erste-Reihe-Politiker.
Ich persönlich glaube nicht, dass Angela Merkel so dumm ist, Annegret Kramp-Karrenbauer zweieinhalb Jahre wie so einen Pudel neben sich herlaufen zu lassen",
sagt Gabriel am Samstag in der "Augsburger Allgemeinen". Er rechne damit, dass die Kanzlerin bereits im Laufe der Legislaturperiode ihr Amt Kramp-Karrenbauer abgeben will.
Gabriel meldet sich seit Monaten regelmäßig aus dem politischen Off - mit Diskussionsbeiträgen, die in der aktuellen SPD-Spitze jedoch nur selten Freude auslösen. Gabriels Motive sind dabei nicht leicht zu durchschauen. Und der Seeheimer Kahrs? Er spricht sich seit langem dafür aus, Gabriel "wieder ins Team zu holen". Auch die Kanzlerinwechsel-Debatte befeuert er: Ein Rücktritt von Merkel zöge zwingend eine Neuwahl des Bundestags nach sich. Die SPD-Fraktion würde Kramp-Karrenbauer dann nicht einfach zur neuen Kanzlerin wählen, sagt er am Samstag der "Passauer Neuen Presse". Nicht nur der Seeheimer Kreis würde andernfalls "Amok laufen". Schließlich hätten die Menschen "bei der letzten Bundestagswahl Angela Merkel gewählt, aber nicht die CDU".
Symbolisch aufgeladene Jahrestag-Woche
Einige Unionspolitiker nehmen den Aufschlag der SPD vielleicht auch ganz dankbar auf - zumal in dieser politisch symbolisch aufgeladenen Jahrestag-Woche. Debatten über einen Koalitionsbruch kämen "immer nur aus der SPD", echauffiert sich heute etwa CDU-Vorstandsmitglied und Gesundheitsminister Jens Spahn im "Münchner Merkur". "Die Koalition ist jetzt gerade mal ein Jahr im Amt. Nach einer Regierungsbildung, die sich so lange hingezogen hat wie nie zuvor, haben die Bürger Anspruch darauf, dass wir Probleme lösen und ihr Leben konkret besser machen, statt dauernd taktisch zu diskutieren."
Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt formuliert via "Bild"-Zeitung in Richtung der Sozialdemokraten: "Vertrauen gewinnt man mit guter Arbeit, nicht mit Diskussionen über das Ende der Koalition und der Flucht aus der Verantwortung." Auch die SPD solle die Erfolge der Regierungsarbeit selbstbewusst vertreten, "anstatt ständig Debatten über ein frühzeitiges Ende der Koalition anzuzetteln".
Am Donnerstag treffen sich die Regierungspartner erneut zum Koalitionsgipfel. Miteinander reden statt übereinander. Zu besprechen gibt es vieles: Die sozialpolitischen Vorschläge der SPD, das Klimschutzgesetz aus dem Hause Schulze, der jüngste europapolitische Aufschlag Kramp-Karrenbauers - Missstimmung in der Koalition gibt es also auch ohne Phantomdebatte genug. Arbeit auch.