Vorstoß von Bildungsministerin Wanka Geld für die digitale "Dritte Welt"
Kaum ein Schüler hat hierzulande die Chance, jeden Tag einen Schulcomputer zu nutzen. Das soll sich jetzt ändern. Mit einem Milliardenprogramm will Bildungsministerin Wanka die deutschen Schulen technisch auf den neuesten Stand bringen. Reicht das?
Sonderlich zurückhaltend trat Johanna Wanka nicht auf, als sie ihre Pläne für eine "Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft" der Öffentlichkeit vorstellte. Von einem "großen Sprung nach vorn" sprach die Bundesbildungsministerin, die in der Öffentlichkeit sonst eher durch stille Töne auffällt. Doch was sie anzukündigen hatte, ging ja auch tatsächlich über das hinaus, was ihr Haus an anderen Tagen zu verkünden hat.
Fünf Milliarden Euro will ihr Ministerium bis 2021 zur Verfügung stellen, um die deutschen Schulen mit digitaler Ausstattung wie Breitbandanbindung, WLAN und Computern zu versorgen. Zum Vergleich: Das andere Prestigeprojekt in Wankas Haus, die Exzellenzinitiative für herausragende Hochschulen, kostet genauso viel - allerdings in zehn Jahren.
Computer sind Mangelware
Wanka will die rund 40.000 deutschen Schulen so in die Lage versetzen, den Nachwuchs früh mit modernen Informationstechnologien vertraut zu machen. Hier besteht durchaus Nachholbedarf. Beim internationalen ICILS-Vergleichstest vor zwei Jahren landeten die deutschen Schüler mit ihren Computer-Kenntnissen nur im Mittelfeld. Kein Wunder, schließlich können nur 1,6 Prozent der Schüler jeden Tag in der Schule einen Computer nutzen.
Ende 2015 kam zudem eine Studie zu dem Ergebnis, dass es zwischen den Bundesländern große Unterschiede bei der Ausstattung mit IT-Technik und digitaler Infrastruktur gibt. Wankas Milliarden könnten dabei helfen, diese Unterschiede einzuebnen.
Lücke zum Silicon Valley
Entsprechend begeistert bewerten Digitalpolitiker das geplante Programm: "Was die digitale Infrastruktur angeht, erinnern die deutschen Schulen an ein Dritte-Welt-Land", so Thomas Jarzombek, Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag für Digitale Agenda, im Gespräch mit tagesschau.de.
Jarzombek erhofft sich durch die Förderung, Kinder künftig schon früh für die Arbeit mit Computern begeistern zu können. "Ein Kind, das nie ein Instrument in die Hand bekommt, kann nicht herausfinden, ob es musikalisch ist. Genauso wenig kann ein Kind spüren, ob es ein Talent zum Programmieren hat, wenn es nie an einem Computer arbeitet", so der Bundestagsabgeordnete. "Wenn wir die Lücke zum Silicon Valley schließen wollen, müssen wir unseren Nachwuchs für die Entwicklung von Software begeistern." Das jetzt vorgestellte Programm könne dabei hilfreich sein.
Lehrerfunktionäre fürchten "Kollateralschäden"
Nicht jeder ist so begeistert."Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es bislang keine einzige belastbare Studie gibt, die nachweist, dass Schüler digital besser lernen", sagt etwa Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. "Ein Kollateralschaden wird sein, dass die Schüler vielleicht noch mehr dazu neigen, sich nur noch Häppchen-Informationen und Häppchen-Wissen anzueignen." Der zweite mögliche Kollateralschaden bestehe darin, dass der zwischenmenschliche Diskurs darunter leide. Im Gespräch mit NDR Info sprach Kraus sich dafür aus, das Geld besser in die Sanierung von Schulgebäuden zu stecken.
Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB): "Wo in Klassenzimmern der Schimmel die Wände hochkriecht und Schulkols verstopft sind, reicht es nicht, Tablets und WLAN bereitzustellen", so DGB-Vize Elke Hannack.
Tatsächlich sind bundesweit viele Schulgebäude in einem schlechten Zustand. So kam eine Untersuchung der KfW-Bankengruppe zu dem Ergebnis, dass Städte und Gemeinden bei der Modernisierung von Schulgebäuden mit bis zu 34 Milliarden Euro hinterherhinken. Hier darf der Bund allerdings nicht helfen, denn im Grundgesetz ist das Kooperationsverbot festgeschrieben. Es besagt, dass der Bund sich nicht in die Bildungspolitik einmischen darf.
Wackelt das Kooperationsverbot?
Das jetzt angekündigte Programm schürt bei manchen nun die Hoffnung, diese Hürde abzuschaffen: "Wir müssen das Kooperationsverbot im Bildungsbereich endlich aufheben, um eine bessere Beteiligung des Bundes an den zentralen Aufgaben im Bildungsbereich zu ermöglichen", so Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführererin der SPD-Bundestagsfraktion. Sie forderte eine Grundgesetzänderung noch in dieser Legislaturperiode.
Für Wankas Digitalisierungsprogramm sei ein solcher Schritt jedoch nicht nötig, teilt das Ministerium mit. Eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern sei möglich, da sie im Bereich der Informationstechnik erlaubt sei, heißt es. Die Kultusministerkonferenz (KMK) prüft den Sachverhalt bereits.
"Keine Eintagsfliege"
Entsprechend vorsichtig geht Wanka vor. Der Bund finanziere lediglich die Einrichtung der notwendigen IT-Infrastruktur. Betrieb und Wartung müssten die Länder stemmen, so Wankas Vorschlag. Auch die Realisierung der digitalen Bildung in der Praxis soll bei den Ländern liegen.
Die Kultusminister signalisieren Zustimmung zu diesem Modell. "Ich begrüße die Initiative des Bundes, die Länder und Kommunen bei dieser weitreichenden Aufgabe zu unterstützen", so Baden-Württembergs Kultusministerin und Vize-KMK-Präsidentin Susanne Eisenmann. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe wiederum forderte bereits Nachbesserungen: "Es ist gut, dass endlich Bewegung in diese wichtige Frage kommt. Das darf aber keine Eintagsfliege sein, sonst stehen in zehn Jahren überall veraltete und ungenutzte Computer herum."