Verbotspläne In Vollverschleierung auf der Schulbank?
Mehrere Bundesländer planen, das Tragen von Niqab oder Burka im Schulunterricht zu verbieten - obwohl es in Deutschland nicht besonders viele Fälle gibt. Die Länder wollen rechtliche Klarheit.
Warum genau ist das momentan ein Thema?
Auslöser für die aktuelle Debatte war der Fall einer Berufsschülerin aus Hamburg. Die 16 Jahre alte Muslima ist regelmäßig im Niqab zum Unterricht erschienen, also in einer Vollverschleierung, die nur einen Sehschlitz offenlässt. Sie weigerte sich, diese im Unterricht abzulegen. Die Schule wollte das nicht hinnehmen. So drohte die Schulbehörde der Mutter der Schülerin ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro an, falls ihre Tochter weiterhin im Niqab zum Unterricht erscheint. Dagegen wehrte sich die Frau juristisch - mit Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass Eingriffe in die Glaubensfreiheit nur auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen dürften. Das Hamburger Schulgesetz sehe aber gegenwärtig keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für einen solche Eingriff vor. Darum nun die Diskussion um eine entsprechende Gesetzesänderung.
Wo liegt das rechtliche Problem?
Es geht um das Spannungsfeld zwischen persönlicher Glaubensfreiheit und dem Lehrauftrag der Schule. Die Frage lautet also: Wie sehr darf der Staat Religionsausübung bei Schülern einschränken, wenn sie zur Schule gehen? Das Tragen einer Vollverschleierung unterfällt (ähnlich wie das Tragen eines Kopftuches oder anderer religiöser Symbole) der Glaubensfreiheit, ist also grundrechtlich geschützt. Der Staat kann zwar in dieses Grundrecht eingreifen, aber nur unter zwei Bedingungen:
1) Der Eingriff muss durch ein formell beschlossenes Gesetz, oder auf Grundlage eines solchen Gesetzes erfolgen, und
2) der Eingriff darf nur erfolgen, wenn die Ausübung der Glaubensfreiheit ansonsten die Grundrechte anderer Menschen oder andere wichtige Verfassungsgüter unverhältnismäßig einschränken würde.
Als ein solches "wichtiges Verfassungsgut" kommt der Lehrauftrag des Staates in Betracht. Denn der ist seinerseits im Grundgesetz verankert (Artikel 7). Ob er aber tatsächlich durch das Tragen einer Vollverschleierung unverhältnismäßig eingeschränkt würde, ist dann die entscheidende rechtliche Frage. Denn das Gesetz könnte vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden.
Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) argumentiert zu diesem Punkt, dass Schulunterricht nur funktionieren kann, wenn Lehrer und Schüler einander ins Gesicht sehen könnten. In Baden-Württemberg, wo ein vergleichbares Gesetz kommen soll, sagte die Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), dass Unterricht auf offener Kommunikation basiere, die durch eine Vollverschleierung verhindert werde.
Gibt es schon vergleichbare gesetzliche Regelungen?
Ja. Sowohl in Bayern wie auch in Niedersachsen gibt es vergleichbare Regelungen, auf deren Grundlage Schülerinnen das Tragen von Niqab oder Burka untersagt wird. Im 'Bayerischen Gesetz über Erziehung und Unterrichtswesen" ist das Verbot ganz ausdrücklich formuliert. Im niedersächsischen Schulgesetz ist die Formulierung dagegen etwas offener. Danach dürfen Schülerinnen und Schüler "durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung die Kommunikation mit den Beteiligten des Schullebens nicht in besonderer Weise erschweren."
Was sagen bislang die obersten Gerichte zu solchen Fällen?
Die 16 Jahre alte Berufsschülerin aus Hamburg hat über ihren Rechtsanwalt verkünden lassen, dass sie notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen wolle, falls ein gesetzliches Verbot der Vollverschleierung in der Schule kommt. Noch ist das fragliche Gesetz ja gar nicht erlassen worden. Bislang gibt es auch keine anderweitige verfassungsrechtliche Rechtsprechung aus Karlsruhe zu einem Vollverschleierungsverbot, sei es bei Schülern oder bei anderen Betroffenen.
Im Jahr 2014 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) entschieden, dass es gerechtfertigt war, die Aufnahme einer muslimische Schülerin an der staatlichen Berufsoberschule in Regensburg zu widerrufen. Vorausgegangen war die Weigerung der jungen Frau, ihren Niqab im Unterricht abzulegen. Die obersten bayerischen Verwaltungsrichter begründeten das damals damit, dass der staatliche Bildungsauftrag die staatlichen Stellen zur Planung, Organisation und Leitung des Schulwesens ermächtige. Hierzu gehöre auch die Bestimmung der Unterrichtsmethode, etwa in Form offener Kommunikation.
Was sagt Karlsruhe zum "normalen" Kopftuch?
Zum Kopftuch ("Hijab") hat das Bundesverfassungsgericht schon mehrere Entscheidungen getroffen. 2003 entschied Karlsruhe, dass es ein Verbot nicht ohne formelles Gesetz geben kann. 2015 gab das Verfassungsgericht in einem Beschluss zwei Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen Recht. Sie wollten während des Unterrichts aus religiösen Gründen ein Kopftuch ("Hijab") tragen. Das war nach dem Wortlaut des Gesetzes in NRW aber pauschal verboten. Karlsruhe entschied: Nur unter hohen Voraussetzungen sei ein Kopftuch-Verbot denkbar. Etwa dann, wenn dadurch ganz konkret der Schulfrieden gestört werde. Andernfalls aber sei das Tragen des Kopftuchs gestattet, selbst wenn es, wie in diesem Fall, um verbeamtete Lehrer an einer öffentlichen Schule geht. Es fällt aber schwer, aus diesem Beschluss Rückschlüsse zu ziehen, inwiefern ein Gesetz zum Verbot der Vollverschleierung in der Schule verfassungsmäßig ist. Denn einerseits handelte es sich ja gerade nicht um Vollverschleierung, andererseits ging es auch nicht um schulpflichtige Schüler.