Deutschland und die US-Wahl "Jetzt nicht einmischen"
So schwer es auch sei, angesichts des Verhaltens von Präsident Trump nach der US-Wahl: Erstmal gelte es abzuwarten, sagt Außenpolitik-Experte Michael Zürn im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: War man hierzulande auf eine derart komplizierte Lage am Tag nach der USA-Wahl vorbereitet?
Michael Zürn: Natürlich hat man gehofft, dass es auf einen deutlicheren Sieg Joe Bidens hinausläuft. Dass das Ganze ein juristisches Nachspiel haben wird und dass hier die Grenzen der Verfassung erprobt werden, kann keinen überraschen.
Je knapper der Wahlausgang allerdings ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieses Spiel mit den Gerichten und mit dem Versuch der Beeinflussung von Wahlkommissionen durch die Nutzung von Parteifreundschaften in den einzelnen Parlamenten der Bundesstaaten durch den amtierenden Präsidenten erfolgt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er am 20. November eine zweite Amtszeit antritt.
Prof. Michael Zürn ist seit 2004 Direktor der Abteilung "Global Governance" am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) sowie Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Der Politikwissenschaftler forscht unter anderem zum weltweiten Erstarken des autoritären Rechtspopulismus.
Wie reagieren?
tagesschau.de: Die deutsche Außenpolitik hat es mit einem Präsidenten zu tun, der das bisherige Wahlsystem, in letzter Konsequenz also die demokratischen Spielregeln, infrage stellt - wie reagiert man darauf?
Zürn: In diesem Moment scheint es mir angeraten, sich zurückzuhalten. Also keine Gratulationen auszusprechen und auch keine Kommentierungen. Als europäisches Land bleibt uns nichts anderes übrig als abzuwarten. Das ist gute demokratische Sitte. Es ist ein offener Prozess. Damit verhalten wir uns anders als Trump, der es abkürzen und nicht abwarten will.
tagesschau.de: Kanzlerin Merkel hat in der Vergangenheit schon mal Trump an bisherige gemeinsame Werte erinnert. Wäre es in dieser Situation nicht denkbar, als langjähriger Partner den Präsidenten hier auf demokratische Gepflogenheiten hinzuweisen?
Zürn: Sicher fühlen sich dazu einige berufen. Aber was würde das bringen? Das befeuert doch eher die Motivation der Unterstützer Trumps, wenn sich die Deutschen hier auch noch einmischen. Darüber hinaus gibt es Wahlbeobachtung durch die OSZE, die vor Ort waren. Das ist die international beauftragte Organisation der offiziell eingesetzten Wahlbeobachter. Die hat dann gegebenenfalls eine Stellungnahme abzugeben, ob sich jemand zu frühzeitig zum Sieger erklärt hat.
"Möglich, dass ein anderes Land die Situation ausnutzt"
tagesschau.de: Wenn sich die Hängepartie mehrere Wochen hinzieht - wie schwierig wird das für die Außenpolitik, die internationalen Beziehungen? Die Krisen der Welt machen ja deswegen keine Pause.
Zürn: Es stellt sich die Frage, ob etwa ein Land wie Russland diese Situation der eventuell schwächeren Handlungsfähigkeit der westlichen Allianz in irgendeiner Weise ausnutzen möchte. Wenn nicht, werden diese vier oder fünf Wochen keine großen Probleme bringen. Wenn allerdings bewusst eine Situation heraufbeschworen wird, in der die sofortige westliche Handlungsfähigkeit nötig werden würde, haben wir ein großes Problem. Ich will nicht ausschließen, dass der ein oder andere in der Weltpolitik genau das versuchen wird.
tagesschau.de: Wenn am Ende des Prozesses doch weitere vier Jahre Trump herauskommen, wie wird man sich jenseits des Atlantiks hier positionieren müssen?
Zürn: Dann müssen Deutschland und Europa die Debatte führen, die sie bisher vermieden haben: Ob sie in der Lage und willens sind, ein eigenes Sicherheitssystem aufzubauen - und ob man sich damit dann von den USA emanzipieren will.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de