Kritik an Russland-Politik Merkel wehrt sich gegen Vorwürfe
Die Russland-Politik von Ex-Kanzlerin Merkel steht in der Kritik. Nach dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj wirft auch Polens Regierungschef Morawiecki ihr schwere Fehler vor. Nun verteidigte Merkel sich.
Altkanzlerin Angela Merkel hat sich trotz massiver Kritik des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hinter die Entscheidung gestellt, die Ukraine 2008 nicht in die NATO aufzunehmen. "Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel steht zu ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest", teilte eine Sprecherin Merkels der Nachrichtenagentur dpa mit.
Massive Kritik von Selenskyj
In diesem Punkt hatte Selenskyj zuvor schwere Vorwürfe erhoben: Im Jahr 2008 hätten die NATO-Staaten die Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis abgelehnt, aufgrund der "absurden Angst einiger Politiker" vor Russland, sagte er am Sonntag in einer Videoansprache. Wegen dieser "Fehlkalkulation" habe die Ukraine eine Revolution, acht Jahre Krieg im ostukrainischen Donbass und nun "den schlimmsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg" erlebt.
In der Ansprache forderte Selenskyj Merkel sowie Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy auf, ins Kriegsgebiet zu kommen: "Ich lade Frau Merkel und Herrn Sarkozy ein, Butscha zu besuchen und zu sehen, wozu die Politik der Zugeständnisse gegenüber Russland geführt hat".
Merkel verurteilt Krieg
Merkel nahm in ihrer Erklärung nicht ausdrücklich Bezug auf diese Aufforderung, betonte aber ihre Unterstützung für die internationalen Bemühungen zur Beilegung des Kriegs. "Angesichts der in Butscha und anderen Orten der Ukraine sichtbar werdenden Gräueltaten finden alle Anstrengungen der Bundesregierung und der internationalen Staatengemeinschaft, der Ukraine zur Seite zu stehen und der Barbarei und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ein Ende zu bereiten, die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin a.D.", erklärte die Sprecherin.
Die russische Armee hatte sich kürzlich aus der Region um Kiew zurückgezogen. Im Vorort Butscha wurden anschließend nach Angaben der ukrainischen Behörden Hunderte Leichen von Zivilisten gefunden. Die Berichte, Foto- und Videoaufnahmen aus dem Ort lösten international Entsetzen aus. Moskau dementierte die Tötung von Zivilisten durch russische Soldaten in Butscha. Selenskyj warf Moskau "Völkermord" vor und beschuldigte russische Soldaten massiver Gräueltaten.
Morawiecki: Merkel-Politik mit verantwortlich für Russlands Stärke
Auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warf Merkel eine verfehlte Russland-Politik vor. "Frau Bundeskanzlerin, Sie schweigen seit Beginn des Krieges. Dabei hat gerade die Politik Deutschlands während der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre dazu geführt, dass Russland heute eine Stärke hat, die auf dem Monopol des Verkaufs von Rohstoffen basiert", sagte Morawiecki bei einer Pressekonferenz in Warschau.
Morawiecki kritisierte außerdem den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der in den vergangenen Wochen mehrmals mit Kreml-Chef Wladimir Putin telefoniert hatte. "Wie oft haben Sie mit Putin verhandelt und was haben Sie erreicht? Man debattiert und verhandelt nicht mit Kriminellen. Kriminelle müssen bekämpft werden", sagte er.
Berlin "Haupthindernis für sehr starke Sanktionen"
Mit Blick auf die getöteten Zivilisten in Butscha rief Morawiecki zu "klaren und entschlossenen" Sanktionen gegen Russland auf. Die Bundesregierung sei derzeit "das Haupthindernis für sehr starke Sanktionen", sagte Morawiecki.
An Kanzler Olaf Scholz gerichtet fügte er hinzu: "Es sind nicht die Stimmen der deutschen Wirtschaftsführer, der deutschen Milliardäre, die Sie wahrscheinlich davon abhalten zu handeln, denen heute in Berlin Gehör geschenkt werden sollten, sondern die Stimmen dieser unschuldigen Frauen und Kinder." Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner lehnte eine Stellungnahme zu den Vorwürfen aus Warschau ab. "Das möchte ich nicht kommentieren", sagte er.