Kompliziertes Verfahren für Türken Wenn das Visum an wenigen Euro scheitert
Die Visafreiheit für Türken wird wohl viele Deutsch-Türken aufatmen lassen. Denn etliche haben es entnervt aufgegeben, ihre Verwandten zu einem Besuch einzuladen - und sei es zu einer Hochzeit. Ingrid Bertram erzählt, wieso.
Dreimal war Mustafa Akinci in den vergangenen Wochen in der Ausländerbehörde. Die Hochzeit seiner Tochter steht bevor. Er wollte die zwei Töchter seiner Schwägerin endlich mal nach Deutschland einladen. Die Einladung ist die Voraussetzung für den Antrag zum Reisevisum bei der deutschen Botschaft in der Türkei. Doch zur Einladung sei es gar nicht gekommen, erzählt Mustafa Akinci und man sieht ihm seine Enttäuschung an.
Verpflichtungserklärung - kompliziert und aufwändig
Die Ausländerbehörde verlangt von der Familie in Deutschland, die ihre Verwandten oder Freunde einlädt, eine sogenannte Verpflichtungserklärung. So kompliziert das Wort ist, so aufwändig ist diese Formalität: Verdienstnachweise der letzten sechs Monate, Bonitätsnachweis, Auskünfte über den eigenen Wohnraum und eigene monatliche Ausgaben wie Miete, Nebenkosten, Versicherungen, Kredite und so weiter. Bei dem ehemaligen Angestellten der Deutz AG ist es nur an wenigen Euro auf seinem Einkommensnachweis gescheitert.
Knapp 2000 Euro netto im Monat reichten der Behörde nicht aus, um die zwei Mädchen aus seiner Familie für eine Woche zu beherbergen. Für Mustafa Akinci sind die Bedenken der Ämter kaum noch nachvollziehbar. "Die Mädchen sind 14 und 17 Jahre alt. Keine hat die Absicht, hier in Deutschland zu bleiben. Ihre Mutter in der Türkei arbeitet bei Mercedes. Alle sind abgesichert."
Manche versuchen es gar nicht erst
Fragt man auf der Keupstraße im türkischen Viertel von Köln nach, gibt es immer wieder Geschichten wie die von Mustafa. Mehmet Tasdemir zum Beispiel lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Seine Mutter hätte er gerne mal sein Zuhause und seinen jetzt zehn Monate alten Sohn gezeigt. Aber den Antrag zu stellen, das hat er bisher gar nicht erst versucht. Schließlich müsse man neben dem ganzen Aufwand obendrein noch pro eingeladener Person 2250 Euro Kaution hinterlegen. Auch genügend Wohnraum für die geladenen Gäste muss nachgewiesen werden. Dafür haben schon manche Immobilien umschreiben lassen, berichtet ein Juwelier, der viele Hochzeitspaare als Kunden hat.
Richtig laut beschweren mag sich hier keiner so recht, schließlich gibt es auch viele Fälle, in denen es reibungslos in nur wenigen Wochen geklappt hat. Aber dass manche Türken das Verfahren als Demütigung empfinden, kann Professor Christoph Gusy, der an der Uni Bielefeld den Lehrstuhl für Öffentliches Recht leitet, verstehen. Das System sei intransparent, weil es letztlich von den Bearbeitern oder der Botschaft vor Ort abhängt, wie lange ein Verfahren dauere. Und das kann durchaus als politisches Instrument zwischen Staaten eingesetzt werden. Je schwieriger die Beziehungen zum Land, desto aufwändiger oft die Visaverfahren, desto größer die Abschreckung, einen Antrag zu stellen. Ein Mittel, das viele Staaten einsetzen.
Immerhin, wenn der Antrag dann gestellt ist, scheint das Verfahren seinen Lauf zu nehmen. In den letzten zwei Jahren wurden deutlich mehr Visaanträge aus der Türkei in den Schengen-Raum bewilligt als abgelehnt: Nach 185.000 Anträgen im Jahr 2014 wurden 2015 schon 210.000 Anträge positiv beschieden. Die Zahl der abgelehnten Anträge "lag in beiden Jahren im sehr niedrigen fünfstelligen Bereich", so das Auswärtige Amt. Wie viele Anträge gar nicht erst gestellt werden, das taucht allerdings in keiner Statistik auf.