Verzicht auf "Taurus"-Lieferung Scharfe Kritik an Scholz' Entscheidung
"Ablenkungsdebatte", "unverantwortlich", "Totalausfall": Für seine Entscheidung, der Ukraine vorerst keine "Taurus"-Marschflugkörper zu liefern, erntet Kanzler Scholz scharfe Kritik - nicht nur aus der Union, auch aus Teilen der Ampelkoalition.
Der anhaltende Widerstand von Bundeskanzler Olaf Scholz gegen eine Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine stößt bei der Union, aber auch in Teilen der Ampelkoalition auf scharfe Kritik. Hier gehe es "nicht um ein einzelnes Waffensystem, da geht es um die Grundhaltung", sagte der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter im Deutschlandfunk.
Begründet wurde die Verweigerung der "Taurus"-Lieferung aus der Bundesregierung unter anderem mit Vorbehalten, wonach für den "Taurus"-Einsatz aus Deutschland Geodaten zugeliefert werden müssten.
Hofreiter sieht "Ablenkungsdebatte"
Hofreiter sprach mit Blick auf die Geodaten von einer "Ablenkungsdebatte". Der Grünen-Politiker nannte es "ein großes Problem", in der Bundesregierung ständig "monatelang über ein Waffensystem zu diskutieren, um es dann zu spät zu liefern". Es gehe jedoch darum, "Entschlossenheit zu zeigen", damit Russlands Präsident Wladimir Putin erkenne, dass sich eine Fortführung des Krieges nicht lohne. Deutschland und der Westen müssten die Ukraine "so unterstützen, dass sie den Krieg gewinnen wird".
Die Bundesregierung sende ein "verheerendes Signal" an Moskau. Mangelnde Entschlossenheit und zähe Diskussionen über Waffensysteme bestärkten Russland nur darin, auf lange Sicht den Krieg gewinnen zu können, sagte Hofreiter weiter.
"Patriot" statt "Taurus
Scholz will derzeit keine "Taurus"-Raketen an die Ukraine liefern. Allerdings sagte er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für die Wintermonate ein weiteres Flugabwehrsystem vom Typ "Patriot" zu. "Das ist das, was jetzt am allermeisten notwendig ist", sagte er nach einem Treffen mit Selenskyj am Rande des Europa-Gipfels im spanischen Granada. Man müsse damit rechnen, dass Russland im Winter erneut versuchen werde, mit Raketen- und Drohnenangriffen Infrastruktur und Städte in der Ukraine zu bedrohen.
Selenskyj schrieb über den Kurznachrichtendienst X, das Treffen mit Scholz sei fruchtbar gewesen. Er sei dankbar für Deutschlands Unterstützung für die Verteidigung der Freiheit der Ukraine und ihrer Menschen. Es gehe dabei auch um die Verteidigung Europas und die gemeinsamen Werte.
"Trotz gehört nicht ins Kanzleramt"
Auch die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisierte Scholz scharf. Sie warf dem Kanzler auf der Plattform X, vormals Twitter, "fortwährendes Zaudern mit fragwürdigen Argumenten" vor. Das Verhalten des Kanzlers sei "unfassbar". "Trotz gehört in den Kindergarten, nicht ins Kanzleramt", schrieb sie weiter.
Der FDP-Politiker Marcus Faber warf dem Kanzler vor, die von ihm selbst ausgerufene Zeitenwende zu "verschlafen".
"Unverantwortlich und kurzsichtig"
"Die Kommunikation der Bundesregierung zu Taurus ist unehrlich", schrieb der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf X . Die Diskussion über technische Fragen wertete auch er als "Ausreden". "Scholz hatte nie vor zu liefern, gerade weil Taurus hochwirksam für die Ukraine wäre", warf Röttgen dem Kanzler vor. Dieses Handeln sei "unverantwortlich und kurzsichtig".
"Mit der Absage der 'Taurus'-Lieferung bestätigt Scholz den Totalausfall Deutschlands als selbsternannte Führungsnation für europäische Sicherheit und stößt unsere Partner wie Großbritannien und Frankreich vor den Kopf, die bereits Marschflugkörper liefern", sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter der "Bild"-Zeitung.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach sich für eine "Taurus"-Lieferung an die Ukraine aus. "In Gesprächen mit dem litauischen Außen- und Verteidigungsminister habe ich leider eine Enttäuschung über die Haltung der Bundesregierung wahrgenommen, keine 'Taurus'-Raketen an die Ukraine liefern zu wollen", sagte der CDU-Politiker bei einem Besuch in Litauen. Das sei überraschend.
Wenn Kanzler Scholz wirklich einen transatlantischen Schulterschluss zur Bedingung mache, dann solle er entsprechende Gespräche führen. "Die Lieferung von Marschflugkörpern erscheint mir als dringend gebotene Maßnahme zur Rettung von Menschenleben und zur Sicherung von Freiheit im Westen", fügte Wüst hinzu.
Scholz: Eskalation vermeiden
Scholz begründete sein vorläufiges Nein zur "Taurus"-Lieferung auch damit, dass er eine Eskalation des Krieges vermeiden wolle. Bei den Waffenlieferungen in die Ukraine müsse beachtet werden, "was uns die Verfassung vorgibt und was unsere Handlungsmöglichkeiten sind", sagte Scholz in Granada. "Dazu zählt ganz besonders die Tatsache, dass wir selbstverständlich gewährleisten müssen, dass es keine Eskalation des Krieges gibt und dass auch Deutschland nicht Teil der Auseinandersetzung wird."
Er betonte erneut, dass alle Entscheidungen über die militärische Unterstützung der Ukraine sorgfältig abgewogen werden müssten. "Wenn der Krieg so lange dauert, kann das ja nicht so sein, dass die Abwägungen einmal aufhören", so Scholz.
Rückendeckung vom SPD-Generalsekretär
Rückendeckung erhielt Scholz von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. "Wir alle sollten ihm weiter vertrauen, dass er die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit trifft", sagte er dem TV-Sender Welt. Dies gelte auch für die "Taurus"-Flugkörper. Kühnert verwies auf Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges.
Der ukrainische Präsidentenberater Oleksij Danilow bezeichnete die Sorgen auf deutscher Seite als unbegründet. Er sicherte erneut zu, sein Land werde mit "Taurus"-Flugkörpern keine Ziele in Russland angreifen. Es gehe der Ukraine nur darum, die eigenen Territorien zu befreien und "dass es aufhören muss, dass unsere Kinder getötet werden".