Fragen und Antworten Wer klagt gegen die App und warum?
Die juristische Auseinandersetzung um die Tagesschau App wird bereits seit Jahren geführt - und nach der Entscheidung des BGH ist nun wieder das Oberlandesgericht Köln am Zug. Worum geht es?
Welche Regeln gibt es für die Internetauftritte der öffentlich-rechtlichen Sender?
Die Regeln stehen im Rundfunkstaatsvertrag der Länder. Zunächst ist dort geregelt, welche Aufgabe der durch Beiträge finanzierte öffentlich rechtliche Rundfunk hat. So sollen die Rundfunkanstalten
"durch die Herstellung und Verbreitung der Angebote als Medium und als Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen.“
Im Rundfunkstaatsvertrag ist auch geregelt, mit welchen Angeboten der öffentlich-rechtliche Rundfunk an den Start gehen darf. Das sind zum einen die Rundfunkprogramme, also Hörfunk- und Fernsehprogramme, und zum anderen "Telemedien", also Angebote im Internet. Für diese Internetangebote stellt der Staatsvertrag einschränkende Regeln auf. So ist zum Beispiel geklärt, dass Sendungen nur eine bestimmte Zeit nach der Ausstrahlung (in der Regel sieben Tage) im Internet abrufbar sein dürfen.
Internetangebote, die sich nicht explizit auf eine Sendung beziehen, darf es darüber hinaus nur geben, wenn zuvor ein bestimmtes Verfahren durchgeführt wurde: der so genannte "Drei-Stufen-Test", dazu unten mehr. Und: Unzulässig sind nicht sendungsbezogene Angebote, die zugleich "presseähnlich" sind.
Was ist der Drei-Stufen-Test?
Der Drei-Stufen-Test soll sicherstellen, dass das Engagement der öffentlich-rechtlichen Sender im Online-Bereich den Auftrag nicht überschreitet.
Der jeweilige Rundfunkrat, das Aufsichtsgremium der einzelnen Sender, führt den Drei-Stufen-Test durch. Für die "Tagesschau" ist innerhalb der ARD der NDR zuständig. Geprüft werden muss:
1. Inwieweit das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaften entspricht.
2. In welchem Umfang durch das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird und
3. Welcher finanzielle Aufwand für das Angebot erforderlich ist.
Wie funktioniert die Tagesschau-App?
Seit Dezember 2010 gibt es die Tagesschau App. Inzwischen ist sie mehr als neun Millionen Mal heruntergeladen worden. Alle Inhalte der App gibt es bereits auf tagesschau.de. Es gibt also keine eigene "App-Redaktion", die für die Tagesschau App zuständig ist. Durch die App entstehen also keine laufenden Mehrkosten.
Wer klagt dagegen und warum?
Gegen die Tagesschau App klagen acht Zeitungsverlage. Unter anderem die Verlage von "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung" und der Axel Springer Verlag. Sie möchten vor Gericht erreichen, dass die Tagesschau App insgesamt untersagt wird. Zumindest aber wollen sie, dass bestimmte Inhalte verboten werden. In dem Verfahren geht es exemplarisch nur um das App-Angebot eines ganz bestimmten Tages, nämlich des 15. Juni 2011. Dahinter steht aber die Grundsatzfrage: Darf es die App in der jetzigen Form geben oder nicht?
Die Verlage sehen in dem Angebot der Tagesschau App eine Wettbewerbsverzerrung. Kostenlose Angebote der beitragsfinanzierten Sender ARD und ZDF würden den Markt für die Verlage kaputt machen, argumentieren sie. Vor allem die Textanteile in der App, die zusätzlich zu Videos und Audiobeiträgen angeboten würden, machten den Online-Angeboten der Verlage und den gedruckten Zeitungen an sich Konkurrenz.
Die Inhalte der Tagesschau App seien "presseähnlich" und deshalb schon nach dem Rundfunkstaatsvertrag nicht zulässig, argumentieren die Verleger. Der Schwerpunkt der App liege auf zeitungstypischen Textbeiträgen. Nach Ansicht der Verlage kommt es darauf an, ob man ein Online-Angebot wie eine Zeitung lesen könne, mit den dort typischerweise vorgehaltenen Angeboten wie Artikel, Kommentar oder Meldung. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dürften solche Texte nicht veröffentlichen, so die Argumentation.
Außerdem sei die Tagesschau App ein neues, eigenständiges Internet-Angebot der ARD. Deshalb hätte sie den Drei-Stufen-Test durchlaufen müssen. Dies sei aber nicht geschehen. Die App sei also rechtswidrig.
Was sind die Gegenargumente der ARD?
Für die beklagte "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten" (ARD) ist die Tagesschau App kein eigenständiges Internet-Angebot, sondern nur ein bestimmter Ausspielweg für Inhalte, die ohnehin auf tagesschau.de zu sehen sind. Dieselben Inhalte würden durch die App nur auf Smartphones und Tablets nutzbar. Und für die Internetseite tagesschau.de ist im Jahr 2010 der Drei-Stufen-Test durchgeführt worden. Das Angebot wurde nach entsprechender Prüfung genehmigt. Für die App gelte diese Genehmigung also auch, so die Argumentation der ARD. Und an diese Genehmigung seien die Gerichte gebunden.
Außerdem seien die Inhalte von tagesschau.de und damit auch die der App nicht presseähnlich. An zentraler Stelle gebe es einen Livestream, ein Video-on-Demand-Angebot und die "Tagesschau in 100 Sekunden". Dazu sind zahlreiche verlinkte Fernseh- und Hörfunkbeiträge vorhanden. Der Gesetzgeber habe auch nicht ein komplettes Textverbot im Internet regeln wollen. Auch ein Angebot mit längeren Texten sei dann nicht presseähnlich, wenn es multimedial gestaltet sei, also vor allem als Ergänzung zu Audio- und Videoformaten diene.
Der Telemedienauftrag des Rundfunkstaatsvertrags verpflichte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade zu einer hohen Informationsdichte und -breite. Deshalb könne der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet nicht zu einer knappen, bzw. oberflächlichen Information verpflichtet werden.
Was haben die Vorinstanzen entschieden?
Das Landgericht Köln hat im September 2012 das Angebot der Tagesschau App vom "Mustertag" 15. Juni 2011 für unzulässig erklärt. Die Begründung: Das App-Angebot weise einen "Zeitungsersatz"-Charakter auf, sei also zu "presseähnlich" und verstoße daher gegen den Rundfunkstaatsvertrag.
Ende 2013 hob das Oberlandesgericht Köln das Urteil der ersten Instanz auf. Die App sei nur eine andere Übertragungsform des Online-Angebots auf tagesschau.de und mit diesem inhaltlich deckungsgleich. tagesschau.de aber habe den Drei-Stufen-Test durchlaufen. Für die App sei keine eigene Prüfung erforderlich. In dem Test-Verfahren sei auch verbindlich entschieden worden, dass es sich nicht um ein presseähnliches Angebot handeln würde. Daran seien die Gerichte nun gebunden.
Was hat der Bundesgerichtshof geurteilt?
Die Richter in Karlsruhe widersprechen in einem Punkt dem OLG Köln. Die Hauptaussage: Die Inhalte der Tagesschau App müssen durch die Gerichte überprüft werden können. Das Konzept von tagesschau.de und damit auch die Tagesschau App als ein Übertragungsweg seien zwar durch den Drei-Stufen-Test abgesegnet. Aber nicht der konkrete Inhalt, also die Umsetzung durch die tagesschau.de-Redaktion.
Sind diese Inhalte immer mit dem Rundfunkstaatsvertrag vereinbar? Ganz konkret geht es um die Frage, ob Beiträge, die sich nicht auf einen konkreten Radio- oder Fernsehbeitrag beziehen, "presseähnlich" sind. Dann wäre ohne Sendungsbezug eine Grenze überschritten.
Doch was genau heißt "presseähnlich"? Der BGH schreibt dazu in seiner Presseerklärung nur knapp: Das sei der Fall, "wenn bei diesem Angebot der Text deutlich im Vordergrund steht." In der ausführlichen Urteilsbegründung, die in einigen Wochen kommt, könnte dazu noch Genaueres zu lesen sein. Mit diesen Ausführungen im Rücken muss das OLG Köln, an das der BGH zurückverwiesen hat, dann ganz konkret die Inhalte der App überprüfen - für den 15. Juni 2011. Denn nur bezüglich dieses Tages hatten die Verlage ja exemplarisch geklagt. Bedeutung hat das spätere Urteil aber natürlich auch für die Zukunft.
Könnte das OLG Köln die App noch im Ganzen verbieten?
Nein. Karlsruhe hat die Tagesschau App an sich nicht in Frage gestellt. Die App darf es geben. Und: Alle Inhalte, die sich auf eine Sendung beziehen, also zu denen es sowieso ein Fernseh- oder Radiobeitrag gibt, dürfen auch in der App erscheinen. In diesen Fällen ist es auch zulässig, weitere Hintergrundinformationen in Textform anzubieten. Nur für Inhalte, bei denen dieser Bezug zu einer Sendung fehlt, muss das OLG jetzt festlegen, wann die so genannte "Presseähnlichkeit" besteht, Ausgang offen. Hier könnten auch Kriterien für die Zukunft erarbeitet werden.