Schulpolitik im Lockdown "Das ist ein Versagen"
Schule in der Pandemie - da gibt es viel Kritik: Der Deutsche Kinderschutzbund wirft den Ländern "Versagen" vor. Familienministerin Giffey fordert Verlässlichkeit und der Leiter der Pisa-Studie eine Reform der Lehrerausbildung.
Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, hat schwere Vorwürfe gegen die Bundesländer wegen der Schulorganisation während der Pandemie erhoben. "Es ist mir ein Rätsel, warum die Länder den Sommer nicht genutzt haben, klare und verbindliche Regelungen für Präsenzbetrieb, Wechselunterricht und Fernunterricht zu entwickeln und die Schulen entsprechend auszustatten", sagte er der "Rheinischen Post".
"Das ist ein Versagen, das die Akzeptanz in die notwendigen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu mindern droht." Es sei nicht verantwortlich, Schulen um jeden Preis öffnen zu wollen und dieses Versprechen dann binnen Stunden oder Tagen wieder kassieren zu müssen, sagte Hilgers.
Kinderschutzbund fordert erneute Beratungen der Minister
Zuletzt hatte Berlin Ende vergangener Woche kurzfristig beschlossen, die zunächst für diesen Montag geplante teilweise Schulöffnung wieder abzusagen. Der Kinderschutzbund-Präsident verlangte nun erneute Beratungen der zuständigen Landesminister. "Ich appelliere weiterhin an die Landesbildungsministerinnen und -minister, sich auf ein realistisches und verbindliches Vorgehen zu verständigen und Kinder und ihren Familien so zumindest mittelfristige Planungssicherheit zu verschaffen."
Kürzlich hatte bereits der Deutsche Lehrerverband den Bundesländern ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Alle Schulministerien hätten zu Beginn des Schuljahres einen großen Fehler gemacht. Sie hätten sich ausschließlich auf das Szenario des Präsenzunterrichts konzentriert und den Eindruck erweckt, dass es keinen neuerlichen Lockdown mit Auswirkungen auf die Schulen geben werde. Gleichzeitig sei versäumt worden, die Schulen ausreichend auf Digitalunterricht und eine neue Phase des Distanzlernens vorzubereiten.
Giffey fordert bundesweit einheitliche Regeln
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey rief die Bundesländer dazu auf, sich auf möglichst einheitliche Corona-Regelungen für Schulen und Kitas zu verständigen. Eltern wünschten sich bei allen Maßnahmen "ein möglichst bundesweit einheitliches und verlässliches Vorgehen", sagte sie der "Rheinischen Post".
Giffey plädierte für die Wiederauflage eines klaren Stufenplans zur Rückkehr in den Regelbetrieb von Kitas und Schulen. Im vergangenen Jahr seien mit dem von Bund und Ländern erarbeiteten Stufenplan gute Erfahrungen gemacht worden. Das damalige abgestimmte Vorgehen habe "Klarheit und Perspektive" gegeben. "So etwas wäre auch für dieses Jahr wieder angezeigt", sagte die SPD-Politikerin.
Dafür wolle sie am Donnerstag in einer Schaltkonferenz der Jugend- und Familienminister der Länder werben. Im derzeitigen harten Lockdown, der noch bis mindestens zum 31. Januar dauern wird, bleiben Schulen und Kitas in ganz Deutschland weitgehend geschlossen.
Leiter der Pisa-Studie: Lehrerausbildung reformieren
Grundsätzlicher wurde der Chef der Pisa-Studie, Andreas Schleicher, im Podcast "Die Schulstunde" des Redaktionsnetzwerks Deutschland, indem er eine fundamentale Reform der Lehrerausbildung in Deutschland forderte.
In der Corona-Krise habe sich gezeigt, dass sich die Aufgabe der Lehrkräfte verändert habe, sagte Schleicher, der OECD-Bildungsdirektor. Es gehe nicht mehr vorwiegend um Wissensvermittlung. Das könne Technologie heute bereits ganz gut.
Als Lehrkraft von heute, von morgen, müssen Sie ein guter Coach sein, ein guter Mentor sein.
Die Finnen machen es vor
In der Lehrerausbildung könne Deutschland sehr viel von den leistungsfähigsten Bildungssystemen lernen, so Schleicher. "Dort wählt man sehr viel sorgfältiger aus, wer überhaupt in die Lehrerausbildung kommt."
So sei beispielsweise in Finnland der Praxistest sehr viel entscheidender als der theoretische Test. "Die entscheidende Frage ist: Können Sie mit Schülern umgehen und arbeiten?" Und das stellten dort erfahrene Lehrkräfte und Schulleiter sehr früh fest - noch bevor jemand sein Studium aufnehme.
Daneben müsse die Ausbildung frühzeitig sehr viel mehr in die Schulen verlagert werden. "Dort sammelt man die entscheidenden Erfahrungen. Dort kann man auch das, was man an der Universität lernt, sehr früh an der Praxis testen", sagte Schleicher. "Heute ist immer noch so die Idee: Ich studiere und mache dann ein Praktikum." Das reiche nicht.