Olaf Scholz geht auf dem Gelände von Rheinmetall an Munition vorbei.
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Scholz und der Ukraine-Krieg Vom Zauderer zum Antreiber in Europa

Stand: 14.02.2024 10:36 Uhr

Lange galt Kanzler Scholz als zögerlich, wenn es um Waffen für die Ukraine ging. Jetzt aber wird aus dem einst Getriebenen ein neuer Antreiber. Es ist der Wandel eines Kanzlers, für den Aufrüstung zur Chefsache geworden ist.

Eine Analyse von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Der Kanzler will die Panzergranate unbedingt in den Händen halten. Als Olaf Scholz am Montag bei Rheinmetall in Niedersachsen durch die Hallen der Waffenschmiede läuft, lässt er keinen Panzer aus. Ihm und seinen Leuten geht es auch um die Bilder: Scholz und der Krieg. In diesen Tagen scheint es, als forme sich gerade ein neuer, ein veränderter Bundeskanzler.

"Unsere Welt ist rauer geworden, verändert sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Auch wir müssen uns deshalb verändern", hatte dieser Scholz am Silvesterabend den Deutschen zugerufen. Und Scholz folgt offenbar der Empfehlung seiner eigenen Neujahrsansprache.

Ein Spruch wie von einem Musketier

Der Kanzlersound ist ein anderer geworden: Der lange Getriebene, der Zauderer, dem die Welt das Wort "Scholzing" - gemeint ist damit das Ankündigen ohne anschließende Lieferung - verdankt, liefert jetzt.

"Alle für einen. Einer für alle", sagte er wie einer der drei Musketiere, als er am Montagabend neben dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk im Kanzleramt stand.

Scholz meinte das NATO-Bündnisversprechen. Jeden Zentimeter NATO-Gebiet werde auch Deutschland verteidigen helfen. Es ist ein Kanzler, der neuerdings, wenn es um mehr Waffen für die Ukraine geht, nicht mehr bremst, sondern fordert.

Und zwar alle, auch Europa. "Nicht nur die Vereinigten Staaten, auch alle europäischen Länder müssen noch mehr tun für die Ukraine", sagte er. Die bisherigen Hilfen reichten schlicht nicht aus, so Scholz.

Vor einem Jahr betonte Scholz noch Vorsicht

In Brüssel war Scholz es, der an die 26 anderen EU-Staaten appellierte, endlich zusammen mehr zu geben für die Ukraine. Niemand könne sich mehr darauf verlassen, dass der andere ja schon genug tun werde. Noch vor einem Jahr betonte der Bundeskanzler vor allem Sorgfalt und Vorsicht und wollte sich nicht treiben lassen.

Jetzt treibt Scholz selbst an. "Zu wenig. Zu langsam." Er sagt das jetzt öffentlich und drängt die EU, aber auch die USA. Gerade erst reiste er nach Washington. Er erschien nicht als zögerlicher Bittsteller, der seine NATO-Verpflichtungen nicht einhält, sondern als "Zwei-Prozent"-Kanzler, der der Ukraine mehr zusagt, als bisher alle Europäer.

"Und das ist dringend erforderlich, denn so hart diese Realität auch ist: Wir leben nicht in Friedenzeiten", erklärte er. Sondern in Zeiten eines Krieges in Europa, sollte das wohl heißen.

Lob von der Rüstungsindustrie

Aus dem Kanzler, der sowohl mit der Bundeswehr als auch mit Waffen fremdelte, ist ein Kanzler geworden, der sich nun sichtlich beim Spatenstich für eine neue Munitionsfabrik im niedersächsischen Unterlüß freute. Bewusst schaffte er die Bilder des Kanzlers vor Panzern und Waffen, als er bei Rheinmetall stand und Panzergranaten in die Hand nahm.

Noch vor wenigen Jahren wäre das Lob des Konzernchefs vom größten Rüstungskonzern Deutschlands einem Sozialdemokraten eher peinlich gewesen. Das scheint neuerdings anders zu sein. "Respekt dafür, dass Sie den Mut hatten, das 100-Milliarden-Vermögen auf den Weg zu kriegen", sagte der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall, Armin Papperger über das Sondervermögen für die Bundeswehr.

Das Lob gefiel dem Kanzler - und er schaute noch zufriedener, als Papperger erklärte, Deutschland sei der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. "Damit hat unser Land in Europa die Führungsrolle übernommen, die so viele immer gefordert haben", sagte der Rüstungsunternehmer.

Olaf Scholz geht auf dem Gelände von Rheinmetall an einem Panzer vorbei.

Der Kanzler und die Panzer: Olaf Scholz scheint bewusst solche Bilder zu schaffen.

Sätze mit allergrößter Verbindlichkeit

Elf Monate brauchte es einst, bis Scholz "Leopard"-Panzer freigab. Damals zählte Scholz jede deutsche Panzerhaubitze im Bundestag als Rechtfertigung auf, doch schon sehr viel getan zu haben. Jetzt klingt er anders. Man tue zwar viel, aber das sei kein Grund für Prahlerei, sondern eher ein Grund zur Sorge. Weil andere nämlich zu wenig tun würden.

Und es folgen neuerdings Sätze allergrößter Verbindlichkeit. "Deutschland wird zwei Prozent der Wirtschaftsleistung nach NATO- Kriterien für Rüstung ausgeben. Und wird es für alle Zeit tun", kündigte Deutschlands Regierungschef an.

"Für alle Zeit" - mehr geht nicht. Es scheint, als nehme die vor zwei Jahren ausgerufene Zeitenwende im Kanzlerkopf jetzt mächtig Fahrt auf.

Scholz als Anführer Europas?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte unlängst in der ARD-Sendung Caren Miosga, dieser Scholz sei vom Bundeskanzler zu einem Anführer in Europa gewachsen. "Und deshalb sind seine Schritte jetzt die Schritte eines Anführers", sagte Selenskyj, der diesen Scholz nach eigener Aussage gern irgendwann zum Freund hätte.

Scholz als Anführer? Vielleicht rührt sein Sinneswandel auch daher, dass der Kanzler jetzt den Namen Donald Trump im Kopf hat und ahnt, was noch auf dem Spiel stehen könnte, wenn der Mann ein zweites Mal im Oval Office Platz nehmen sollte. Scholz spricht den Namen Trump nie öffentlich aus, aber jeder weiß, wen der Kanzler meint, wenn er sagt: "Niemand darf mit Europas Sicherheit spielen oder dealen."

Einst sprach Scholz sehr vorsichtig vom "unkartierten Gelände", wog ab und zögerte. Jetzt scheint der Kanzler seine Karte für den Ukrainekurs gefunden zu haben. Er geht voran, wenn es darum geht, die Ukraine mit ausreichend Mitteln zu unterstützen.

Rheinmetall verspricht 200.000 Artilleriegranaten

Noch sitzt im Weißen Haus ein Joe Biden, der mit Genugtuung den Wandel vom zögerlichen zum voranschreitenden deutschen Kanzler begleitet. Dass der Kanzler die Aufrüstung Deutschlands jetzt zur Chefsache erklärt, dürfte nicht nur Biden, sondern auch Verteidigungsminister Boris Pistorius freuen.

Der saß beim Rheinmetall-Termin in der ersten Reihe und hörte, was seine Vorgänger seit Jahren falsch gemacht hätten. "Viel zu lange ist Rüstungspolitik so betrieben worden, als ginge es da um einen Autokauf", sagte Scholz. Aber Panzer stünden nun mal nicht im Regal.

200.000 Artilleriegranaten will Rheinmetall in der neuen Munitionsfabrik pro Jahr herstellen. "Das klingt beeindruckend", sagte der Kanzler. Aber an der Front verschieße die Ukraine mehrere Tausende Geschosse - wohlgemerkt pro Tag, dozierte Scholz.

Georg Schwarte, ARD Berlin, tagesschau, 13.02.2024 19:08 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Februar 2024 um 17:00 Uhr.