Interview

Interview zum Wahlausgang im Saarland FDP in der Krise - Chance für "neue Liberale"?

Stand: 26.03.2012 16:46 Uhr

Desaster der FDP, Erfolg der Piraten bei der Saarland-Wahl - gibt es einen Zusammenhang? Die FDP habe wichtige liberale Fragen verschlafen, meint der Politikwissenschaftler Kronenberg im Interview mit tagesschau.de. Das nutze den Piraten. Deren Erfolg werde die Parteienlandschaft nachhaltig verändern.

tagesschau.de: Die Liberalen machen regionale Gründe für ihr desaströses Abschneiden im Saarland verantwortlich - zu Recht?  

Volker Kronenberg: Tatsächlich waren im Saarland die innerparteilichen Querelen und Erosionserscheinungen sehr stark ausschlaggebend. Hinzu kommt aber die allgemein sehr schlechte Stimmungslage innerhalb der FDP, die inhaltliche Profillosigkeit und die nun schon lange währende Führungskrise auf Bundesebene. Ich würde noch nicht das Totenglöckchen läuten, aber es handelt sich um eine existentielle Krise der FDP. Und sie ist mit verantwortlich für das Bild des Elends, das die Liberalen im Saarland abgeben.

tagesschau.de: Gibt es noch Hoffnung für die FDP?

Kronenberg: Die Liberalen haben derzeit zwei Rettungsanker: Schleswig-Holstein und - vor allem - die Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Mit Wolfgang Kubicki und Christian Lindner sollen zwei Politiker, die in deutlicher Distanz zur Berliner Parteispitze stehen, die FDP retten. Wenn der frühere Generalsekretär Lindner in NRW tatsächlich den Einzug ins Parlament schafft, dann wird er zum neuen Gegenspieler von Parteichef Rösler.

tagesschau.de: Wäre das das Ende von Parteichef Rösler?

Kronenberg: Lindner würde dann zumindest sofort zum neuen Hoffnungsträger hochstilisiert. Das Siegerimage wohnt ihm ja jetzt schon inne. Und er hat sich ja auch inhaltlich klar abgegrenzt vom Parteichef - auch durch seinen Rücktritt.  Auf kurz oder lang ist nach einem Wahlerfolg Lindners die "Ära" Rösler beendet.

tagesschau.de: Im Bund regiert derzeit also eine Partei in Dauerkrise. Was bedeutet das für die Koalition in Berlin?

Kronenberg: Die Liberalen werden versuchen, sich jetzt noch stärker gegen die Union abzugrenzen und zu profilieren - mit Themen wie der Vorratsdatenspeicherung  oder der Gesundheitspolitik. Das gemeinsame Regieren wird so nicht einfacher - im Gegenteil. Die Koalition wird nicht stabiler.

tagesschau.de: Die Union hat andererseits kein Interesse an einem sterbenden Koalitionspartner. Wird sie also der FDP ein paar Brosamen hinwerfen - sprich: strategische Zugeständnisse machen?

Kronenberg: Wenn es so wäre, dürfte die Union nicht drüber sprechen. Man darf eine solche Strategie keinesfalls kommunizieren, denn das wäre Ausdruck von Mitleid. Und eine Partei, die nur noch Mitleid erfährt, ist nicht mehr ernst zu nehmen. Natürlich hat die Kanzlerin ein Interesse, dass die Koalition für diese Legislaturperiode stabil bleibt. Und so kann es durchaus inhaltliche Kompromisse geben, damit die FDP doch mit dem einen oder anderen Inhalt punkten kann. Aber das darf keinesfalls so kommuniziert werden.  

tagesschau.de: Überraschender als der Misserfolg der FDP war das gute Abschneiden der Piraten. Woher kommt deren Popularität?

Kronenberg: Sie sind neu, jung, unorthodox und geben sich anders als die anderen Parteien. Sie provozieren den etablierten Politik-Betrieb und profitieren von der allgemeinen Politik- und Parteienverdrossenheit. Im Saarland ging die Paradoxie des politischen Handelns ja soweit, dass die beiden großen Parteien schon vor den Wahlen gesagt haben, dass sie hinterher miteinander koalieren wollen. So ist Politik eben nicht attraktiv. Und die Piraten verstehen es, diesen Frust der Wähler zu nutzen. Sie agieren teilweise recht unprofessionell. Gerade das macht sie in den Augen vieler Wähler sympathisch, weil sie sich abheben vom Rest. Und sie erfahren großes Medieninteresse, auch das verhilft ihnen zur Popularität.

tagesschau.de: Der Piraten-Politiker Johannes Thon kommentierte den Erfolg seiner Partei mit den Worten "Wir sind die stärkste liberale Partei". Sind die Piraten die neuen Liberalen?

Kronenberg: Zumindest besetzen sie mit ihrem zentralen Thema, der Freiheit im Internet, liberales Gedankengut. Sie stellen wichtige Fragen eines neuen politischen Liberalismus des 21. Jahrhunderts - Fragen, die die FDP verschlafen hat. Auch Inhalte wie "post-gender" - also die Postulierung der Freiheit auch in Fragen des eigenen Geschlechts - gehören aus Sicht der Piraten zu einem neuen Liberalismus. Wo sich die Piraten auf Dauer im Parteienspektrum ansiedeln, ist allerdings ebenso unklar wie die Frage, ob sie überhaupt dauerhaft den Weg auf die politische Bühne schaffen. Das wird sich erst im politischen Alltag zeigen.

tagesschau.de: Die Piraten sprengen mit ihrem Einzug in die Landtage das bisherige politische Machtgefüge. Welche Folgen kann das haben?

Kronenberg: Das kann ganz massive Auswirkungen haben für den Bund und auch für die kommenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Wenn die Piraten dort in den Landtag einziehen, dann haben wir es auch dort mit einem Sechs-Parteien-Parlament zu tun, von dem zwei Parteien - die Linkspartei und die Piraten - als Koalitionspartner nur bedingt in Frage kommen. Das erschwert politische Bündnisse. Zweier-Koalitionen wie Rot-Grün oder Schwarz-Gelb droht dadurch die Mehrheit abhanden zu kommen. Die Alternative dazu sind Bündnisse aus mehr als zwei Parteien, die oft fragiler sind. Oder wir steuern in Bund und Ländern auf eine große Koalition zu.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.