Corona in Deutschland Hospitalisierungen als neuer Indikator?
Das RKI plant einem Medienbericht zufolge, schwere Corona-Erkrankungen mit Krankenhausaufenthalt als zusätzlichen Leitindikator einzuführen. Die Inzidenz stieg zum sechsten Mal in Folge und liegt nun bei 6,4.
Zur Einordnung des Pandemiegeschehens in Deutschland will das Robert Koch-Institut (RKI) einem Medienbericht zufolge die Hospitalisierung als zusätzlichen Leitindikator einführen. Das berichtete die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf eine interne Präsentation des RKI. Eine solche Praxis würde eine Abkehr vom Inzidenzwert als wichtigste Kennzahl der Corona-Politik bedeuten.
Es seien "weiterhin mehrere Indikatoren zur Bewertung notwendig, aber die Gewichtung der Indikatoren untereinander ändert sich", hieß es laut "Bild" in dem RKI-Papier. Das Institut begründet die Hinzunahme der Hospitalisierung demnach mit den "Konsequenzen zunehmender Grundimmunität".
Dem Bericht zufolge rechnet das RKI mit einer "Abnahme des Anteils schwerer Fälle" und fordert daher einen "stärkeren Fokus auf die Folgen der Infektion", darunter schwere Erkrankungen mit Hospitalisierung, Todesfälle und langfristige Folgen.
Spahn will Daten der Covid-Patienten auswerten
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plädierte ebenfalls dafür, neben der Inzidenz auch die Lage in den Kliniken mit einzubeziehen. Eine hohe Inzidenz bedeute nicht automatisch eine ebenso hohe Belastung bei den Intensivbetten, so Spahn.
"Künftig müssen alle im Krankenhaus behandelten Covid-Patienten, ihr Alter, die Art der Behandlung und ihr Impfstatus gemeldet werden", schrieb Spahn auf Twitter. "So können wir zeitnah abschätzen, wie hoch die Belastung für das Gesundheitssystem wird und wie gut die Impfungen wirken."
"Nicht allein auf die Inzidenz starren"
Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans will neben dem Inzidenzwert andere Faktoren bei der Beurteilung der Corona-Pandemie hinzuziehen. "Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir in diesem Herbst nicht allein auf die Inzidenz starren", sagte der CDU-Politiker im ZDF. Dass die Werte derzeit wegen der Delta-Variante nach oben gehen, sehe man in ganz Europa. "Wichtig ist, dass wir verstärkt Faktoren in Betracht ziehen wie zum Beispiel die Belastung des Gesundheitswesens, die Belegung der Intensivstationen, die Art und Weise, wie Patientinnen und Patienten ankommen - all das muss eine Rolle spielen." Er halte es für falsch, eine Regelung wie die Bundesnotbremse ab einer Inzidenz von 100 nochmals "zu zünden." Er sehe auch nicht, dass das komme. Zwingend sei es dagegen, den Impffortschritt voranzutreiben. Anreize wie eine Lotterie seien dabei "definitiv eine Option".
Der FDP-Generalsekretär Volker Wissing stellte die Bedeutung der Sieben-Tage-Inzidenz ebenfalls infrage. "Die Inzidenzen sind natürlich ein Hinweis darauf, wie sich die Pandemie entwickelt, aber allein auf die Inzidenz zu schauen, das ist sicher nicht richtig", sagte Wissing dem Fernsehsender RTL. Es reiche auch nicht, zusätzlich die Intensivbetten-Belegung zu berücksichtigen. "Wir müssen auch darauf achten, wie viele Menschen überhaupt hospitalisiert werden müssen", so der FDP-Politiker. Zudem sollten laut Wissing die Eigenschaften der aktuell dominanten Virus-Varianten einbezogen werden. "Die Ansteckungsgefahr durch die Delta-Variante ist wohl höher. Aber gegenwärtig, sagen die Fachleute, steigen die schweren Fälle nicht." Das müsse einfach beachtet werden.
BDI fordert Planbarkeit und Verlässlichkeit
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, sprach sich dafür aus, dass die Inzidenz bei einer hohen Impfquote "nicht mehr das Maß aller Dinge" sein könne. Ziel aller Maßnahmen der Politik müsse sein, den Gesundheitsschutz der Bevölkerung selbst im Fall einer neuen Infektionswelle sicherzustellen und die Stärke des Standortes Deutschland zu erhalten, erklärte Lang. Für den Wiederaufschwung der Wirtschaft seien "Planbarkeit und Verlässlichkeit entscheidende Stellhebel".
Der BDI-Hauptgeschäftsführer forderte ein "Öffnungskonzept, mit dem das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben weiterhin in Stufen und regional differenziert, gleichzeitig entlang eines bundesweit einheitlichen und evidenzbasierten politischen Rahmens zurückkehrt". Das sei Grundvoraussetzung für das schrittweise Erreichen eines neuen Normalzustands von Wirtschaft und Gesellschaft. Essenziell bleibe, "das Impfen beherzt und mutig voranzutreiben".
Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter an
Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland stieg derweil zum sechsten Mal in Folge. Nach Angaben des RKI lag sie bei 6,4 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI binnen eines Tages 324 Corona-Neuinfektionen. Zum Vergleich: Vor einer Woche hatte der Wert bei 212 Ansteckungen gelegen.
Deutschlandweit wurden den neuen Angaben zufolge binnen 24 Stunden zwei Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche war es ein Toter gewesen. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 3.736.489 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit 3.635.100 an. Die Zahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 91.233.