SPD im Saarland Viel Macht, viele Sorgen
Es ist die einzige Alleinregierung Deutschlands: Seit 100 Tagen regiert die SPD das Saarland. Doch der Start war alles andere als einfach. Eine Entscheidung in den USA dürfte das klamme Land Tausende Arbeitsplätze kosten.
Es war nicht in Saarbrücken, es war nicht in der Staatskanzlei oder im Landtag, wo die vielleicht weitreichendste Entscheidung dieser ersten 100 Tage SPD-Alleinregierung im Saarland gefallen ist. Es war in den USA, in Detroit. Mitte Juni gab Ford bekannt, dass die neuen Elektro-Autos des Konzerns eben nicht in Saarlouis im Saarland, sondern in Valencia gebaut werden.
Auch wenn sich die Zeichen schon seit Monaten verdichteten, so hatten doch Anke Rehlinger und ihr Nachfolger als Wirtschaftsminister, Jürgen Barke, bis zuletzt versucht, Optimismus zu verströmen. Am Ende war es aber vergeblich. Sehr wahrscheinlich bedeutet die Entscheidung ab 2025 das Aus für die meisten der rund 4500 Arbeitsplätze im Werk und eine substanzielle Gefahr für 2000 weitere bei den Zulieferern im Umfeld. Und es ist ein herber Rückschlag für Rehlinger, die ihren Wahlkampf doch fast ausschließlich auf das Thema Arbeitsplätze konzentriert hatte.
Start im Minus
Beim ausgegebenen Ziel von 400.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Land startet sie im Minus. Selbst ohne diese Hiobsbotschaft für die saarländische Wirtschaft wäre das Programm der ersten 100 Tage ohnehin schon ein straffes gewesen. Nach rund 80 Tagen mussten die ersten Eckdaten des neuen Haushalts stehen, im chronisch klammen Saarland streng überwacht vom neuen Finanzminister Jakob von Weizsäcker, zuvor Chefvolkswirt unter Finanzminister Olaf Scholz.
In den Planungen steht zwar bisher noch eine schwarze Null fürs kommende Jahr, doch die Liste der Aufgaben mit Strukturwandel und Energiewende ist groß. Es sei klar, so Rehlinger, "dass diese Aufgaben nicht in einem Kernhaushalt zu bewältigen sind." Immer wieder ist hinter den Kulissen von einem möglichen Sondervermögen also neuen Schulden die Rede. Jahrelang - außer zu Corona-Zeiten - war das ein Tabu im Land. Doch angesichts von fast 17 Milliarden Euro Schulden bei gerade einmal knapp einer Million Einwohner weiß auch Rehlinger, dass zuerst mit Berlin geklärt werden muss, "ob solche Pläne überhaupt mitgetragen werden".
Die großen Fragen wie es mit dem Saarland, das wirtschaftlich auch vor der aktuellen Krise längst vom Bundestrend abgehängt war, weitergeht, sind also noch offen. Und auch sonst blieb manches hinter den eigenen Ankündigungen aus dem Wahlkampf zurück. Statt der angekündigten 150 Polizeianwärterinnen und -Anwärter werden es nur zwischen 115 und 120, sehr zum Unmut vieler bei der Polizei.
Schwerpunkt Bildung
"Wir mussten klare Prioritäten setzen", so Rehlinger bei der Vorstellung des Haushalts, "das haben wir getan." Der Schwerpunkt denn auch vor allem beim Thema Bildung. Der Wechsel zurück zum Abitur nach neun Jahren - als eines der letzten westdeutschen Bundesländer - soll nun schon direkt nach den Sommerferien folgen. Vor allem Rehlinger drängte hier auf die schnelle Umsetzung, so mancher Bildungspolitiker in der Saar-SPD hätte sich etwas mehr Bedenkzeit vorstellen können - zumal der Wechsel zurück nach 21 Jahren im Land ohnehin Konsens ist. Selbst die CDU, die G8 lange verteidigt hatte, war im Wahlkampf umgeschwenkt.
Überhaupt hat sich die Bildungspolitik schon jetzt zum Hauptkampfplatz zwischen den einstigen Koalitionspartnern SPD und CDU entwickelt. Und so war dann das erste Gesetz, das der neue Landtag verabschiedet hat, mehr als nur ein Gesetz, sondern eher ein Muskelspiel der neuen SPD-Alleinregierung - die Änderung des sogenannten Schulmitbestimmungsgesetzes. Auf den ersten Blick geht es um eine Detailfrage, nämlich wie viel Mitbestimmungsrechte Schulsozialarbeiter haben. Auf den zweiten Blick war es aber eine Demonstration Richtung CDU, bestand die Neufassung doch vor allem in einer Überarbeitung all der Punkte, die die CDU wenige Monate vorher in der großen Koalition noch verhindert hatte.
Schon jetzt ist spürbar, dass sich die politische Tektonik im Land verändert. Nach 23 Jahren an der Regierung sucht die CDU naturgemäß noch ihre Rolle in der Opposition. Mit Stephan Toscani, zuvor Landtagspräsident, hat sie zwar einen neuen Vorsitzenden, aber noch immer spürbar zu kämpfen mit der krachenden Niederlage Ende März.
Das Selbstbewusstsein ist groß
Auch die Zukunft von Ex-Ministerpräsident Tobias Hans, einst Shooting-Star der CDU, ist immer noch ungeklärt. Aktuell sitzt er als einfacher Abgeordneter im Landtag. Die AfD hat zwar aus ihren drei Abgeordneten eine Fraktion bilden können, doch ist die Partei im Saarland noch viel mehr als anderenorts vor allem mit sich selbst beschäftigt. Linke, Grüne und FDP haben den Einzug in den Landtag ohnehin verpasst.
Und so sitzt auf der linken Seite dieses Drei-Parteien-Parlaments eine SPD-Fraktion mit 29 Mitgliedern, von denen gerade einmal eine gute Handvoll überhaupt parlamentarische Erfahrung hat. Das Selbstbewusstsein ist groß, es muss sich aber noch zeigen, inwieweit die Fraktion dieses Selbstbewusstsein auch gegenüber der eigenen Regierung demonstriert. Insofern dürfte es auch spannend zu beobachten sein, wie sich Rehlinger mittelfristig in ihrer neuen Rolle zurechtfindet.
Kaum jemand hatte in der Vergangenheit ihre Eignung als Fachpolitikerin bezweifelt, doch die neue Rolle als Regierungschefin ist eine andere. Und so ist es für manchen im Land überraschend still geworden um sie, zumindest beim Thema Ford; die Kommunikation überließ sie vornehmlich ihrem Nachfolger. In den vergangenen Tagen war sie dann auf Sommertour durchs Land. Schöne Bilder an schönen Orten.
Wahlkampf-Narrativ der Herausforderin
Auch das gehört zum neuen Amt, passt aber nur bedingt zum Wahlkampf-Narrativ der Herausforderin, die anders als ihr Vorgänger Hans dorthin geht, wo es weh tut. Und so bleibt nach 100 Tagen auch die Erkenntnis, dass der wirkliche Gradmesser für die SPD erst noch folgen wird. Dann wenn es bei den Groß-Themen Strukturwandel nicht nur wegen und der Energiewende darum geht, wie viel Gestaltungsspielraum eine Alleinregierung im klammen Saarland wirklich hat.
Und wenn es um zusätzliche Gelder geht, wird sich auch die Frage stellen, wie viel Einfluss Rehlinger in Berlin hat. Denn ohne neue Schulden werden sich die Aufgaben des Landes kaum bewältigen lassen. Aber vielleicht ist ja sogar dieses Eingeständnis eine der deutlichsten Neuerungen dieser SPD-Regierung, nach Jahren, in denen die Schwarze Null oberste Prämisse von Regierungshandeln an der Saar war. Wie groß diese Spielräume werden, und vor allem: wie die Regierung Rehlinger sie nutzen wird, das dürfte der wirkliche Gradmesser dieser einzigen Alleinregierung Deutschlands sein.