Schleswig-Holstein Anwohner in Wedel sollen für Straßenausbau zahlen
Seit 2018 erhebt Wedel keine Straßenausbaugebühren mehr. Nun aber will die Stadt an einigen Straßen bauen - und nennt die geplanten Maßnahmen nicht Ausbau, sondern Erschließung. Die Anwohner sollen nun doch zahlen.
Mike Plohmann steht gestikulierend in seinem Garten, um ihn herum stehen viele seiner Nachbarn. Sie diskutieren aufgeregt. Sie leben in Wedel, im Kleinsiedlerweg, im Sandlochweg oder in der Straße Im Sandloch. Und sie alle befürchten, dass die Stadt von ihnen fünfstellige Beträge einfordern wird. Denn ihre Straßen sollen ausgebaut werden - und die Anwohner sollen zahlen. Das ist merkwürdig: Denn die Stadt erhebt seit 2018 keine Ausbaugebühren mehr.
Aus Ausbau wird Erschließung
Doch offenbar gibt es einen Trick: Man nennt es einfach anders. Die Anwohner sollen nämlich keine Ausbau-, sondern Erschließungsgebühren zahlen. Ein Unding, findet Plohmann: "Weil sie Ausbaubeiträge nicht mehr erheben können, nennen sie es Erschließung und sagen, die Straße wurde noch nicht erschlossen. Und somit können wir dann die Straße erschließen und den Anwohnern Summen aufs Auge drücken, wo man noch nicht mal weiß, wo die Reise hingeht."
Anwohner Plohmann ist erzürnt: Auf einige Nachbarn kämen Summen bis zu 50.000 Euro zu.
Zahlungen bis zu 50.000 Euro
Die Stadt will seit Jahrzehnten befahrene Straßen erschließen lassen? Für Plohmann selbst bedeute der Plan der Stadt eine drohende Zahlung von 14.000 bis 17.000 Euro, sagt er. Grundlage sei eine vier Jahre alte Schätzung der Stadt Wedel. "Hier sind aber auch Leute, die bis zu 40.000, 50.000 Euro zahlen müssten. Und das ist für einige ein Genickbruch", sagt Plohmann.
Asphalt, Entwässerung, Beleuchtung - gibt es alles schon
Die Wedeler Stadtverwaltung sagt, es gäbe einen Unterschied zwischen Ausbau und Erschließung. Erschließungsgebühren müsse man weiterhin erheben, wenn zum Beispiel ein Gehweg oder eine Straßenentwässerung nicht vorhanden sei. Außerdem galten nach der Ortssatzung von 1967 Straßen als erschlossen, wenn sie über eine Asphaltdecke, Entwässerungsanlagen und Beleuchtung verfügen. Doch das ist alles in den Straßen seit Jahrzehnten vorhanden.
Die Stadtverwaltung argumentiert, die Straßen seien ein Dauerprovisorium - seit mehr als 50 Jahren.
Gezahlt haben Anwohner schon 1972
In seiner Küche zeigt Mike Plohmann Unterlagen. Schreiben von der Stadt an die Anwohner und Abrechnungen über Erschließungsgebühren aus dem Jahr 1972. Aus den Schreiben geht hervor, dass es damals zumindest eine Teilerschließung gegeben hat.
"Dass eine Erschließung nicht immer in einem Zuge durchgeführt wird, die Fantasie hat der Gesetzgeber gehabt", sagt Verwaltungsrechtler Jürgen Punke. "Er hat sie aber nicht gehabt in der Variante, dass zwischen den einzelnen Abschnitten Generationenzeitalter vergehen von eins, zwei oder irgendwann drei Generationen." Eine weitere Teilerschließung ist nach über 50 Jahren nicht möglich, sagt er.
Stadt hat keine Unterlagen
Zur Einschätzung des Verwaltungsrechtlers äußert sich die Stadt nicht. Aus Schreiben an Anwohner und Protokollen des Bauausschusses geht aber hervor, dass die Stadt davon ausgeht, die Straßen seien seit jeher ein Provisorium und nie endgültig erschlossen worden. Aber nachweisen kann die Stadt das nicht, denn Unterlagen und Abrechnungen haben sie im Rathaus dazu nicht mehr.
Asphaltiert, entwässert und beleuchtet: Seit Jahrzehnten fahren hier Autos, dennoch soll die Straße nun ausgebaut werden.
Dagmar Süß von den Wedeler Grünen ist irritiert: "Unser Stadtarchiv ist eigentlich sehr gut. Aber in diesem Fall hat es Lücken. Und wenn ich dann von Anwohnerinnen und Anwohnern höre, die wurden aufgefordert zu sagen, 'habt ihr denn mal was gezahlt?' Dann finde ich das schon peinlich für die Stadt."
Wedel ist hochverschuldet
Warum will die Stadt die Straßen überhaupt erschließen? Wedel ist mit mehr als 100 Millionen Euro hochverschuldet, müsste aber an vielen Stellen dringend in die Infrastruktur investieren. Stattdessen plant die Stadt nun die Erschließung funktionierender Straßen. Zahlen sollen dafür nicht nur die Anwohner - auch die Stadt müsste einen Eigenanteil in Millionenhöhe beisteuern. Anwohner Plohmann ist wütend: "Die Stadt hat kein Geld. Null! Und wollen Straßen erschließen, die angeblich nicht erschlossen sind. Wo wollt ihr das Geld hernehmen? Woher?"
Die Verwaltung schweigt
Die Stadt Wedel will sich dazu nicht äußern. Auf eine schriftliche Anfrage erhält Panorama 3 mehrere Wochen lang nur eine knappe Antwort. Die Angelegenheit sei zu kurzfristig und komplex.
Eine überraschende Sache schreibt die Stadt dann doch: Aufgrund der Schulden hat die Stadt inzwischen eine Haushaltssperre verhängt. Die geplante Erschließung rutsche in der Priorisierung deshalb nicht weiter nach vorne: "Von einer Umsetzung der Maßnahme ist in absehbarer Zeit nicht auszugehen." Was genau sie mit "absehbare Zeit" meint, schreibt die Stadt nicht - ebenso wenig, ob sie die Erschließung bereits erschlossener Straßen nicht vielleicht doch ganz bleiben lässt.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Panorama 3 | 22.10.2024 | 21:15 Uhr