Brücken-Experte Prof. Steffen Marx

Sachsen Carolabrücke: Die Details aus dem Gutachten

Stand: 12.12.2024 22:36 Uhr

Brückenexperte Steffen Marx hat am Mittwoch im Stadtrat sein Gutachten zur Carolabrücke vorgestellt. Das sind seine wichtigsten Aussagen.

Von Katrin Tominski von MDR SACHSEN

Die noch stehenden Teile der Carolabrücke weisen enorme Korrosion und Schäden durch den Brückeneinsturz auf. Es bleibt nur der Abriss. Es ist zu riskant und nicht zu vertreten, sie wieder für den Verkehr freizugeben. Das ist das Ergebnis des Gutachtens, das Brückenprofessor Steffen Marx am Mittwoch auf einer Sondersitzung des Stadtrates vorstellte. "Die Carolabrücke ist ein wertvolles Bauwerk, doch unter den Vorzeichen halten wir auch eine begrenzte Inbetriebnahme für ausgeschlossen", sagte Marx.

Beim Freilegen für Diagnose weitere Drähte gebrochen

Die Untersuchung der Spannglieder der noch stehenden Brückenzüge A und B habe einen überraschend maroden Zustand gezeigt. "Allein beim Freilegen für die Diagnose sind weitere Drähte gebrochen", sagte Marx. Die Drähte seien zudem an Stellen gebrochen, wo überhaupt kein Verdacht vorher bestand. Die Prüfer seien richtig erschrocken, als es zwischendurch knallte und weitere Stahldrähte einfach zerbrachen.

Das habe ich noch nie so krass gesehen, wie in der Carolabrücke. Steffen Marx | Brückenexperte

Viele kleine Risse: Noch nie so krass gesehen

Im Labor bestätigte sich laut Marx, was sich schon laut angekündigt hatte. "Bei den Laboruntersuchungen hat uns der Grusel ereilt", erklärt der Gutachter. Man habe den geöffneten Spannstahl mit fluoreszierenden Materialien untersucht. "Hier waren ganz viele kleine Risse zu erkennen. Das habe ich noch nie so krass gesehen, wie in der Carolabrücke", sagte Marx sichtlich beeindruckt. "Die Risse gehen schon bis fast in die Mitte der Stähle."

Aus der Straßenbrücke über der Elbe in Bad Schandau ist Rostwasser ausgetreten. Am Spannstahl wurden Risse entdeckt. Sachsens Landesamt für Straßenbau und Verkehr hat deshalb die sofortige Sperrung verfügt. Bau-Ingenieur Steffen Marx von der TU Dresden erklärt die Sicherheitsprobleme.

Mit floureszierendem Material lassen sich Risse in Brückenbauteilen gut erkennen.

Es verbietet sich eine Inbetriebnahme, das können wir nicht verantworten. Steffen Marx | Brückenexperte

Brücke kann brechen wie Glas

Marx zufolge können diese Risse durch eine weitere Materialermüdung weiter wachsen. "Sobald wieder Verkehr auf der Brücke ist, geht die Schädigung weiter. Und sobald die verbleibenden Brückenzüge ihre Tragfähigkeitsgrenze erreicht haben, können sie brechen wie Glas und ebenso plötzlich in die Elbe stürzen wie Brückenzug C", warnte Marx. "Es verbietet sich eine Inbetriebnahme, das können wir nicht verantworten", so Marx.

Carolabrücke muss komplett abgerissen werden

Auch Unterbau der Carolabrücke beschädigt

Marx zufolge habe man lange in einem großen Team und in Absprache mit den Bundesbehörden um die Entscheidung gerungen. Es habe zu viele Argumente gegen eine Freigabe der Brücke gegeben. So seien auch große Schäden in der Längsstruktur der Brücke festgestellt worden. Feine Risse dringen hier tief ins Bauwerk.

Zudem sei der Zustand der Unterbauten fragwürdig. Ein Pfeiler, auf dem der Brückenzug C gestanden habe, sei beispielsweise einfach umgeknickt. "Der Stahl darin war vollständig erodiert, wahrscheinlich ist salzhaltiges Wasser vom Parkplatz eingedrungen und habe die Korrosion beschleunigt. "Wir hätten es gewollt, doch auch eine neue Brücke kann unter diesen Vorzeichen nicht einfach auf die bestehenden Unterbauten gesetzt werden", erklärte Marx.

Probebelastung der Carolabrücke erwogen

Laut Marx habe man eine Probebelastung mit selbstfahrenden Modulen erwogen. Doch dieser Versuch wäre mit zwei Millionen Euro sehr teuer gewesen. "Wenn die Tragfähigkeitsgrenze erreicht ist, knallen die Module mit in die Elbe, dann hätten wir gleich fünf Millionen Euro verloren", sagte Marx. Selbst wenn es gelungen wäre, sei dies nur für eine begrenzte Zeit. Marx zeigt sich überzeugt: "Auch wenn ich es allein privat für mich entscheiden würde, ich würde die Brücke nicht wieder öffnen."

Unterqueren mit Bewachung möglich

Doch was ist mit dem Terrassenufer und dem Elberadweg? Sind die Unterquerungen denkbar? "Eine Unterquerung ist vorstellbar", sagte Marx. "Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Brücke nicht belastet und überwacht wird." Der Einsturz eines Brückenfeldes kann zum Einsturz der gesamten Brücke führen. Bislang gebe es keine Bruchsignale im unbelasteten Zustand, das sei die gute Nachricht.

Lächelnder Mann

Brückenexperte Marx: Unterquerung der Carolabrücke unter Umständen möglich.

Einsturz der Carolabrücke war nicht vorhersehbar

Laut Brückenprofessor Marx sei der Einsturz der Carolabrücke nach herkömmlichen Methoden nicht vorhersehbar. Das liege an einer Vielzahl verschiedener Faktoren. Unter anderem habe die gute Qualität des in der Brücke verpressten Mörtels das Ankündigungsverhalten verhindert, erklärte Marx. Man habe also die eigentlichen Hinweise für eine marode Brücke mit herkömmlichen Verfahren hier nicht erkennen können. "Die einzige Möglichkeit ist, diese Schäden mit einem Schallemissionsverfahren zu hören", erklärte der Experte. Dies sei aber enorm teuer und würde deswegen sparsam angewendet.

Im Vorfeld (...) alles zu erkennen und richtig zu kombinieren, dazu muss man hellseherische Fähigkeiten haben. Steffen Marx | Professor für Massivbau an der TU Dresden und Gutachter für die Carolabrücke.

Erste Risse schon in den 90ern festgestellt

Marx zufolge wurden bereits in den 90er- und 2000er-Jahren Querrisse an der Brücke festgestellt. "Das war ein Zeichen für Spannkraftverlust“, sagte der Gutachter. Durch eine Besonderheit in der Konstruktion der Carolabrücke mit einer beschränkten Vorspannung habe man diese Risse jedoch auf eine sogenannte Kriechverformung (ein Knick in der Brücke) zurückgeführt.

"Die Brücke wurde intensiv überwacht und ist sehr viel und sehr sorgsam untersucht worden“, sagte Marx. "Jetzt wo die Brücke eingebrochen ist, ist es leicht zu urteilen. Im Vorfeld jedoch alles zu erkennen und richtig zu kombinieren, dazu muss man hellseherische Fähigkeiten haben."

Erste Schäden bereits beim Bau

"Schwarze Brüche in den Stahlsträngen zeigen, dass erste Schäden direkt beim Bau entstanden sind“, sagte Marx. Dabei sei Feuchtigkeit an die bereits gespannten Stahlstränge gelangt, die noch nicht in den Beton verpresst und eingebettet worden waren. "Die Ingenieure waren sich sehr bewusst wie kompliziert das Bauwerk war, sie haben die Spannträger auch belüftet. Das hat jedoch leider nicht gereicht, wie wir heute wissen." Ein solche Neigung zur Wasserversprödung sei zum damaligen Zeitpunkt noch nicht klar gewesen.

Eine halbe Stunde Feuchtigkeit reicht aus für Schäden

Für Brückenprofessor Marx kann die Ursache für den Brückeneinsturz ganz klar benannt werden. "Die ausschließliche Ursache ist eine Spannungsrisskorrosion kombiniert mit Materialermüdung“, sagte Marx.  Bei dieser Form der Korrosion dringt Wasserstoff in metallische Materialien, kombiniert mit Spannung führt das zu Rissen und lässt das Material spröde werden. "Eine halbe Stunde Feuchtigkeit reicht aus, um den Schadensmechanismus zu entfachen“, erklärte der Gutachter. "Dieser Prozess war nicht zu stoppen und auch nicht durch Maßnahmen von außen aufzuhalten. Die Haltbarkeit der Brücke war abgelaufen.

Marode Carolabrücke: "Kein ostdeutsches Problem“

Bei der Analyse des Einsturzes der Carolabrücke verwahrt sich Gutachter Steffen Marx gegen Stimmen, die in der Brücke einen DDR-Konstruktionsfehler sehen. Der Einsturz der Carolabrücke ist kein ostdeutsches Problem“, erklärte Marx im Stadtrat. "Es wurde beim Bau der Brücke nicht geschlampt. Die Ausführungsqualität der Brücke sei unter den damaligen Voraussetzungen enorm gut gewesen.

"Wir haben eine herausragende gute Pressqualität beim Mörtel festgestellt.“, sagte Marx. Das sei jedoch auch in gewisser Weise eine Tragik gewesen, weil man dadurch die Schäden im Bauwerk nicht sehen konnte. Deutschlandweit gebe es etwa 1.000 Brücken dieser Bauart. Man habe auch eine Brücke in der westdeutschen Stadt Hagen gesperrt. Die im Jahr 1980 eingestürzte Kongresshalle in Berlin zeige, dass Bauwerke mit Spannstahl auch im westlichen Teil Deutschland einbrechen konnten.

MDR (tomi)