Saarland Misophonie – Wenn Alltagsgeräusche zum Alptraum werden
Für viele ist Essen gehen mit Freunden eine schöne Freizeitgestaltung, für Menschen mit Misophonie kann es den blanken Horror bedeuten. Triggergeräusche können sie wütend und aggressiv machen, aber auch Herzrasen oder Übelkeit auslösen. Eine Therapie dagegen gibt es bisher nicht, aber Strategien, damit besser zu leben.
Anke Birk / Onlinefassung: Rebecca Wehrmann
Für viele Menschen gibt es Geräusche, die ihnen unangenehm sind, vielleicht sogar Gänsehaut verursachen – zum Beispiel quietschendes Besteck oder knackende Knochen. In den meisten Fällen erzeugt das bei den Betroffenen aber nur ein kleines Unbehagen, das schnell wieder vorübergeht.
Bei Misophonikern ist die Reaktion auf sogenannte Trigger-Geräusche um ein Vielfaches stärker und passiert reflexartig. Sie empfinden Ekel, Wut und Hass – und sogar körperliche Reaktionen wie Herzklopfen, Atemnot, Schweißausbrüche oder Übelkeit.
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„Ich werde zum Hulk“
Für Misophoniker können alle möglichen Geräusche zum Trigger werden. Bei dem Saarländer Patrick Crauser, der darunter leidet, sind es vor allem Kauen, Klackern und Klirren. Deshalb ist zum Beispiel Essengehen für ihn eine enorme Herausforderung.
Wird er getriggert, verliert er die Kontrolle über seine Gefühle: „Bei Misophonie ist es so, als würde ein Dämon Besitz über dich ergreifen. Du wirst dann quasi zum Hulk, also nicht von der Statur her – aber die grüne Farbe von der Wut, ja, genauso aggressiv.“
Betroffene erleben oft Ohnmachtsgefühle
Bei dem 37-Jährigen fing die Misophonie in der Kindheit an, schon damals war das Sitzen am Esstisch für ihn oft der blanke Horror. Patrick konnte die Kaugeräusche seines Vaters nicht ertragen.
Er wollte der Situation entfliehen, erfährt von der Familie aber wenig Verständnis: „Wenn ich gesagt habe, Mama darf ich aufstehen? Ich bin fertig mit dem Essen. Dann hat sie geantwortet: ‚Nee komm, bleib noch sitzen, Schatz, bis wir alle fertig gegessen haben.“ Er habe sich damals ohnmächtig gefühlt.
Notfallpaket, Sport und Ernährung
Um das zu ändern, hat sich Patrick im Laufe seines Lebens verschiedene Strategien überlegt. So hat der IT-Berater immer sein persönliches Notfallpaket dabei, sollte ihm alles zu viel werden. Dazu zählen CBD-Öl und Kopfhörer: „Das hat den Sinn, dass ich immer und überall geschützt bin, um das Kontrollgefühl zu haben.“ Aber auch Knautschbälle helfen ihm. Mit ihnen kann er zur Ablenkung jonglieren oder sie drücken, um Aggressionen abzulassen.
Außerdem macht der Misophoniker Sport – das helfe ihm dabei, Stress abzubauen und abzuschalten: „Wenn ich entspannt bin, reagiere ich seltener auf Trigger und das ist eine tolle Basis, um zu entkonditionieren. Denn Misophonie ist ja eine Konditionierung und um diese Konditionierung wieder aufzulösen, kann man eben auch wunderbar entspannt bleiben einem Geräusch.“
Das sei am Anfang nicht so einfach, erklärt Patrick, aber je mehr Übung man habe, umso entspannter bleibe man bei den Trigger-Geräuschen. So könne man die Reaktion vom Reiz entkoppeln.
Keine offizielle Therapie gegen Misophonie
Auch gesunde Ernährung helfe ihm. Deswegen isst er wenig Kohlenhydrate und Industriezucker. Dadurch fühle er sich insgesamt wohler. „Wenn es dem Körper gut geht, dann geht es meistens auch dem Geist gut und das ist natürlich auch wunderbar für Misophonie.“
Eine offizielle Therapie gegen Misophonie gibt es bisher nicht. Sie ist bisher nicht als Krankheit anerkannt und keinem offiziellen Diagnosesystem zugeordnet. Viele Ärzte oder Therapeuten kennen Misophonie daher gar nicht. Das kann dann zu Fehldiagnosen führen. Auch eine medikamentöse Therapie gibt es nicht.
Crauser will Betroffene unterstützen
Patrick hat schon Etliches ausprobiert. Mit seinen Erfahrungen will er anderen durch Coaching, seinen Social Media-Kanälen und seinem Podcast helfen. Er hat auch schon zwei Bücher mit vielen Tipps zum Thema geschrieben: „Anderen Leuten aus dieser Situation rauszuhelfen – und wenn sie nur ein Stückchen Selbstvertrauen draufpacken –, das gibt mir sehr viel zurück.“
Mit seinen verschiedenen Strategien hat Patrick es geschafft, fast triggerfrei zu werden. Er ist zufrieden mit seinem Leben. „Ich bin ja nicht geheilt, aber trotzdem – man kann Trigger abmildern oder sogar teilweise löschen. Und ich sage immer, voll ins Leben reinwerfen, weil man lebt nur einmal.“
Darum genießt Patrick Crauser die triggerfreien Tage und Stunde. Und freut sich über die kleinen Dinge des Lebens.
Über dieses Thema hat auch die SR-Fernsehsendung "Wir im Saarland - Saar nur" am 20.09.2024 berichtet.