Polizeiseelsorger Hubertus Kesselheim erzählt, was Rettungskräfte nach einem Einsatz wie in Kröv brauchen.

Rheinland-Pfalz Wie Einsatzkräfte den Hoteleinsturz in Kröv verarbeiten

Stand: 17.09.2024 06:32 Uhr

Der Hoteleinsturz von Kröv hat auch bei Einsatzkräften tiefe Spuren hinterlassen. Polizeiseelsorger Kesselheim erklärt, warum es jetzt wichtig ist, über den Einsatz zu sprechen.

Hubertus Kesselheim ist Polizeiseelsorger. Er wird gerufen, wenn Polizeibeamte schwer belastende Einsätze haben, wie beispielsweise bei der Amokfahrt in Trier oder dem Hoteleinsturz in Kröv. Im SWR-Interview spricht er darüber, wie er den Einsatzkräften versucht zu helfen und wie diese mit schwierigen Situationen umgehen.

Ein Kind wird von Rettungskräften aus dem teilweise eingestürzten Hotel in Kröv gerettet.

Ein Kind wird von Rettungskräften aus dem teilweise eingestürzten Hotel in Kröv gerettet.

SWR Aktuell: Wenige Tage nach dem Hoteleinsturz in Kröv Anfang August haben Sie einen Trauergottesdienst in der Moselgemeinde gehalten. Haben Sie auch persönlich mit den Einsatzkräften gesprochen?

Hubertus Kesselheim: Ich habe mit Jörg Teusch, dem Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) des Landkreises Bernkastel-Wittlich, ein langes Gespräch gehabt. Da wurde mir noch mal ganz klar, welch hohe Belastung die Rettungskräfte hatten, die die Bergung der Verletzten unter den Trümmern gemacht haben.

Die haben ihren Einsatz durchgezogen - trotz aller Müdigkeit, trotz aller Schwierigkeiten. Sie haben sich nicht von Kollegen ablösen lassen, um das zu schaffen, um da durchzukommen. Sie sind bis an die absolute Leistungsgrenze gegangen.

SWR Aktuell: Was brauchen die Einsatzkräfte nach solchen Ereignissen am meisten?

Kesselheim: Das Wichtigste ist, dass wir da sind und zuhören. Das größte Bedürfnis nach besonders schwierigen und besonders belastenden Ereignissen ist es oft einfach, sich fallen lassen zu können - im übertragenen Sinne. Das heißt, sich von der Seele reden zu können, was einem gerade durch den Kopf geht und was passiert ist. Das ist das Wichtigste, dass wir zeitnah nach dem Einsatz ins Gespräch kommen.

Was ist denn mit deinem Gott? Warum war der in dem Moment nicht da? Das sind Fragen, die auch für einen Theologen herausfordernd sind. Hubertus Kesselheim, Polizeiseelsorger

Wir treffen uns oft ein paar Tage danach zu Nachgesprächen. Da kommen durchaus auch Sinnfragen auf: Hätten wir es verhindern können? Warum muss so etwas passieren? Manchmal sind es auch Anfragen, die an mich als Seelsorger ganz besonders gestellt werden. Was ist denn mit deinem Gott? Warum war der in dem Moment nicht da? Das sind Fragen, die auch für einen Theologen herausfordernd sind.

Dieses Ohnmachtsgefühl, diese Hilflosigkeit: Hätte ich mehr tun können? Das sind ganz häufige Fragen. Wichtig ist, die Antwort geben zu können: Nein, du hast deine Aufgabe erfüllt.

SWR Aktuell: Sie betreuen als Polizeiseelsorger hauptsächlich Polizisten. Wie lange brauchen Beamtinnen und Beamte, um solche Ereignisse zu verarbeiten?

Kesselheim: Das ist total unterschiedlich. Die Resilienzfähigkeit - die Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen - ist für jeden Menschen anders. Es gibt Menschen, die belastende Ereignisse innerhalb von zwei, drei Wochen gut verarbeiten. Es gibt auch Menschen, bei denen Monate später plötzlich das ganze Ereignis noch mal hochkommt und sie dann plötzlich hoch belastet.

Was für den einen ein Trauma ist, ist für den anderen nur eine belastende Situation. Hubertus Kesselheim, Polizeiseelsorger

Das ist wirklich von Mensch zu Mensch verschieden. Was für den einen ein Trauma ist, ist für den anderen nur eine belastende Situation, die nach zwei, drei Tagen wieder erledigt ist.

SWR Aktuell: Kann man sich durch Übungen eine Art "mentales Schutzschild" aufbauen oder ist das im Vorfeld nicht möglich?

Kesselheim: Ich glaube, dass das möglich ist, aber nur begrenzt. In der Ausbildung an der Hochschule der Polizei, an der ich ja auch beteiligt bin, machen wir das. In einem Modul tauschen wir uns intensiv mit den Studierenden über das Thema Tod, Leid und Schuld aus.

Die Grenze, die beim Training auftaucht, ist die, dass es immer Trainingssituationen sind und kein Alltag. Hubertus Kesselheim, Polizeiseelsorger

Wir bereiten uns in den Trainings "Lebensbedrohliche Einsatzlagen" und in persönlichen Kompetenztrainings vor. Dort werden die Kolleginnen und Kollegen gut vorbereitet. Die Grenze, die dabei auftaucht, ist die, dass es immer Trainingssituationen sind und kein Alltag.

Ich denke jetzt gerade noch mal ganz bewusst an die Amokfahrt in Trier, die eine Situation war, die man einfach nicht trainieren kann. Ich denke an das Streifen-Team, das als Erstes in die Fußgängerzone fuhr: Schreiende Menschen liefen auf die Beamten zu, blutende Personen standen am Rand, und die Kolleginnen und Kollegen konnten die Lage überhaupt nicht überblicken.

Der Funk brach zusammen, es gab keine klaren Anweisungen. Für einen kleinen Moment fühlten sich die Polizisten ohnmächtig und hilflos. Das brennt sich tief in die Seele ein. Das ist dann eine hohe Belastung und auf die kann man sich nicht wirklich vorbereiten.

SWR Aktuell: Haben Sie schon erlebt, dass Polizisten nach schweren Einsätzen hingeworfen haben?

Kesselheim: Ich habe schon erlebt, dass Polizeibeamte danach tatsächlich die Sinnfrage ihres Berufes gestellt haben und auch tatsächlich ans Aufgeben und ans Aufhören in ihrem Beruf gedacht haben. Das sind seltene Fälle, aber die gibt es.

Sendung am Di., 17.9.2024 6:00 Uhr, SWR4 RP am Morgen, SWR4 Rheinland-Pfalz

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