Schüler einer dritten Klasse sitzen vor einem Laptop. Laut einer Umfrage des VBE ist die Inklusion an Schulen in RLP in vielen Bereichen mangelhaft.

Rheinland-Pfalz Inklusion an Schulen: Nur jede vierte Lehrkraft in RLP für gemeinsamen Unterricht

Stand: 02.06.2025 11:54 Uhr

Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben grundsätzlich das Recht, gemeinsam mit anderen an einer allgemeinen Schule unterrichtet zu werden. Eine aktuelle Umfrage offenbart jedoch: Anspruch und Wirklichkeit klaffen beim Thema Inklusion in Rheinland-Pfalz weit auseinander.

Von Fridolin Skala

Nur 24 Prozent aller Lehrkräfte in Rheinland-Pfalz halten den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung praktisch für sinnvoll - jedenfalls unter den derzeit herrschenden Rahmenbedingungen. Das ist eines der Ergebnisse einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Sie legt eine große Unzufriedenheit mit der rheinland-pfälzischen Inklusionspolitik offen.

Inklusion an Schulen: Für die Umsetzung fehlen häufig die Mittel

Zwar gibt es generell eine breite Unterstützung für inklusiven Unterricht - 58 Prozent aller befragten Lehrerinnen und Lehrer im Land sprechen sich grundsätzlich dafür aus - jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die finanzielle und personelle Ausstattung der Schulen dafür sichergestellt ist. Und das scheint häufig nicht der Fall zu sein.

Inklusion: Gründe für und gegen gemeinsamen Unterricht

Dazu befragt, welche Argumente für den inklusiven Unterricht sprechen, nannten die Befragten in freien Antworten mit 31 Prozent am häufigsten das soziale Lernen (gemeinsam und voneinander lernen). Die Förderung von Toleranz (26 Prozent) und die (bessere) Integration von Kindern mit Behinderungen (23 Prozent) gab etwa jede vierte Lehrkraft in Rheinland-Pfalz als Grund für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung an. Den Abbau von Berührungsängsten und Vorurteilen sowie die Förderung sozialer Kompetenzen hob jede fünfte Lehrkraft hervor.

Gegen den gemeinsamen Unterricht sprechen den befragten Praktikerinnen und Praktikern zufolge vor allem die unzureichenden Rahmenbedingungen: Zuvorderst das fehlende Fachpersonal an Regelschulen (39 Prozent) und an zweiter Stelle die mangelhafte materielle Ausstattung der Schulen (22 Prozent) werden genannt.

Als grundsätzliche Bedenken äußern die befragten rheinland-pfälzischen Lehrerinnen und Lehrer, dass Regelschulen den erhöhten Förderbedarf von Kindern mit Behinderungen nicht leisten können (18 Prozent) und Schülerinnen und Schüler ohne Behinderungen durch Inklusion benachteiligt würden (16 Prozent). Rund jede zehnte Lehrkraft vertritt die Meinung, dass die individuelle Förderung beider Gruppen nicht möglich sei (13 Prozent) und Kinder mit Behinderungen in der Regelschule überfordert wären und dies zu Frustration führt (11 Prozent).

Nur wenige neue inklusive Lerngruppen an Schulen in Rheinland-Pfalz

Inklusive Lerngruppen gibt es an der Hälfte aller Schulen der Befragten. Dort, wo es bereits welche gibt, bestehen diese jedoch zu 72 Prozent schon länger als sechs Jahre. In der jüngsten Vergangenheit (seit zwei oder weniger Jahren) sind mit 4 Prozent nur wenige inklusive Lerngruppen neu hinzugekommen.

Inklusive Klassen sind der Umfrage zufolge in Rheinland-Pfalz 21 Kinder stark, 3,5 von ihnen haben im Schnitt einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Damit sind die inklusive Klassen in fast 80 Prozent der Fälle genauso groß wie nicht-inklusive Klassen - sagen die befragten Lehrkräfte.

Aus- und Fortbildung mangelhaft: Lehrkräfte fühlen sich nicht gut vorbereitet

Auf den Unterricht in Klassen mit Kindern mit und ohne Behinderung fühlen sich die Lehrkräfte an Schulen mit inklusiven Lerngruppen, großteils nicht gut vorbereitet. Demnach hatten 73 Prozent der Befragten nur wenige Wochen Zeit, sich auf inklusiven Unterricht vorzubereiten - 27 Prozent von ihnen sogar nur eine Woche oder weniger. Dazu kommt, dass mehr als die Hälfte dieser Lehrkräfte im Vorhinein nur teils oder gar keine Erfahrungen im gemeinsamen Unterrichten sammeln konnten.

Der geringe Grad der Vorbereitung auf inklusiven Unterricht an den Schulen in Rheinland-Pfalz zeigt sich auch mit dem Blick auf die Teilnahme an Fortbildungen: 76 Prozent der befragten Lehrkräfte im Land, die Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichten, sagen, dass Inklusion nicht Teil ihrer Ausbildung war.

Aus Sicht der Befragten verfügt über die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer, die an ihrer Schulen inklusiv unterrichten, nicht über sonderpädagogische Kenntnisse. 42 Prozent sagen, dass dies zumindest teilweise der Fall ist.

Unterstützung durch Fachkräfte bei Inklusion nicht immer gegeben

Normale Lehrkräfte können im Unterricht durch sonderpädagogische Lehrkräfte unterstützt werden. Der Umfrage zufolge ist diese Doppelbesetzung jedoch nur an fünf Prozent der Schulen im Land immer gewährleistet. Zeitweise ist die Unterstützung durch die Fachkräfte immerhin in 72 Prozent der Fälle möglich, doch in einem knappen Viertel der Fälle erhalten die Lehrerinnen und Lehrer inklusiver Klassen gar keine Unterstützung durch sonderpädagogische Kolleginnen und Kollegen.

Feste multiprofessionelle Teams gibt es nach Angaben von 34 Prozent der Lehrkräfte in Rheinland-Pfalz an ihrer Schule. 64 Prozent - und damit deutlich mehr als im gesamten Bundesgebiet (49 Prozent) - berichten, dass es an ihrer Schule keine multiprofessionelles Team gibt.

Neben Lehrkräften können die Klassen auch durch andere Fachkräfte unterstützt werden. Rund zwei Drittel der Lehrkräfte im Land sagt, dass an ihrer Schule mindestens eine sozialpädagogische Fachkraft zur Verfügung steht. Schulpsychologinnen oder -psychologen (23 Prozent), Erzieherinnen oder Erzieher (16 Prozent) oder medizinische Assistenzen (8 Prozent) gibt es deutlich seltener. Die genannte Unterstützung ist jedoch in den allermeisten Fällen nur an ausgewählten Schultagen greifbar.

Informationen zur Umfrage
Im Rahmen der aktuellen Untersuchung wurden bundesweit insgesamt 2.737 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland befragt. In Rheinland-Pfalz waren es 200 Lehrerinnen und Lehrer, von denen derzeit 81 in inklusiven Klassen unterrichten. Die Erhebung wurde im Zeitraum vom 10. März bis 11. April 2025 durchgeführt. Die Befragung erfolgte sowohl telefonisch als auch online.

Nach einer Bewertung der Inklusionspolitik ihrer Landesregierung gefragt, zeigen sich 80 Prozent der Lehrkräfte in Rheinland-Pfalz insgesamt unzufrieden.

Im Schulgesetz heißt es in Paragraph 14a: "Der gemeinsame und individuell fördernde Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen (inklusiver Unterricht) ist eine allgemeinpädagogische Aufgabe aller Schulen." Von einer gelungenen Umsetzung dieser Aufgabe scheinen die Schulen in Rheinland-Pfalz jedoch in Anbetracht der aktuellen Studienergebnisse weit entfernt zu sein.

Reaktion des Verbands Bildung und Erziehung auf Befragung zur Inklusion an Schulen in RLP

Lars Lamowski, Landesvorsitzender des VBE Rheinland-Pfalz, kommentiert die Ergebnisse: "Wir sehen, dass die Kolleginnen und Kollegen Inklusion leben wollen, aber die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Die Klassen sind zu groß, die Zeit für die Vorbereitung zu knapp und bei mehr als drei Viertel der Lehrkräfte war Inklusion nicht Teil der Ausbildung. Hier muss dringend nachgesteuert werden."

Man brauche strukturelle Veränderungen im Bildungssystem, um multiprofessionelle Teams in der Breite effektiv einsetzen zu können, so Lamowski weiter. So entlaste man die Lehrkräfte und ermögliche allen Kindern die bestmögliche Förderung.

Neben multiprofessionellen Teams fordert der VBE Rheinland-Pfalz konkret mehr qualifiziertes Fachpersonal, Doppelbesetzungen aus Lehrkräften und Förderschullehrkräften in inklusiven Klassen als Standard sowie angemessene Klassengrößen, um eine individuelle Förderung zu gewährleisten.

Außerdem sollten dem Verband zufolge die Inklusionsverordnung nachgebessert werden und Förderschulen erhalten bleiben. Mit Blick auf den Schulungsstand der Lehrkräfte drängt der VBE darauf, Inklusion zum zentralen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften zu machen.

Sendung am Mo., 2.6.2025 19:30 Uhr, SWR Aktuell Rheinland-Pfalz, SWR RP

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