Etwa 30 Menschen haben sich vor dem Mainzer Landtag versammelt, um gegen den Freispruch im Militärprozess auf der Air Base Spangdahlem zu demonstrieren.

Rheinland-Pfalz Nach Urteil im US-Militärprozess: Demo vor Landtag in Mainz

Stand: 12.12.2024 20:23 Uhr

Das Urteil im Prozess um die tödliche Messerstecherei in Wittlich ist im Rechtsausschuss des Landtages diskutiert worden. Vor dem Landtag gab es eine Demonstration.

Zwei Monate nach dem umstrittenen Freispruch nach der tödlichen Messerattacke auf der Säubrennerkirmes in Wittlich befasst sich jetzt auch die Landespolitik mit dem Fall. Das Thema stand am Donnerstag auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses. SPD, Grüne, FDP sowie die AfD hatten beantragt, dass die Landesregierung zu dem Verfahren Stellung bezieht.

Übersetzungsfehler könnte zu Freispruch geführt haben

Konkret wollten die Parteien wissen, warum ein Geständnis des freigesprochenen Amerikaners nicht vor dem US-Militärgericht in Spangdahlem berücksichtigt wurde. Und: Warum die Staatsanwaltschaft Trier das Verfahren überhaupt an die US-Justiz abgegeben hat.

Demonstration der Angehörigen vor dem Landtag

Auch die Angehörigen des Opfers stellen sich weiterhin viele Fragen rund um das Urteil. Sie hatten daher zu einer weiteren Demonstration aufgerufen - diesmal vor dem Landtag, kurz bevor dort der Ausschuss mit seiner Sitzung begann. Sie wünschen sich, dass sich der Rechtsausschuss dafür einsetzt, dass der Prozess vor einem deutschen Gericht neu verhandelt wird.

Etwa 30 Menschen haben sich vor dem Mainzer Landtag versammelt, um gegen den Freispruch im Militärprozess auf der Air Base Spangdahlem zu demonstrieren.

Etwa 30 Menschen haben sich vor dem Mainzer Landtag versammelt, um gegen den Freispruch im Militärprozess auf der Air Base Spangdahlem zu demonstrieren.

Gegen 14 Uhr waren es etwa 40 Demonstranten, die auf dem Helmut-Kohl-Platz "Unser Land, unser Recht" und "Gerechtigkeit für Micha" skandierten. Dazu schwangen sie Deutschlandfahnen und und pfiffen mit Trillerpfeifen. 100 Demonstranten waren laut Polizei angemeldet gewesen.

Justizminister spricht Anteilnahme aus und erklärt NATO-Truppenstatut

Helmut Martin (CDU), der Vorsitzende des Rechtsausschusses, sprach in seiner Eröffnungsrede der Familie des Opfers seine Anteilnahme aus. Er kündigte außerdem an, dass der Ausschuss alles in seiner Macht stehende tun werde, um die Vorfälle rund um den Prozess aufzuklären.

Auch Justizminister Herbert Mertin (FDP) sprach der Familie seine Anteilnahme aus. Seine Rede enthielt im Wesentlichen Erklärungen zu den bereits bekannten Verfahrensweisen nach dem Zusatzabkommen des NATO-Truppenstatuts: Dass die deutschen Strafbehörden die Strafverfolgung danach zwar nicht an die US-Behörden abgeben müssen, dies aber in der Regel tun. Dann nämlich, wenn man davon ausgehen kann, dass der amerikanische Militärprozess auch nach deutschem Rechtsempfinden angemessen abgeschlossen wird.

Da die Staatsanwaltschaft Trier mitgeteilt hatte, dass sie damit bisher gute Erfahrungen gemacht habe, habe es im Fall der Messerstecherei bei der Säubrennerkirmes keinen Anlass gegeben, das Verfahren wieder an sich zu reißen.

Über das NATO-Truppenstatut soll gesprochen werden

"Ich kann verstehen, dass der Ausgang des Militärstrafverfahrens auf großes Unverständnis gestoßen ist", sagte Mertin. Da das rheinland-pfälzische Justizministerium nicht in das Verfahren eingebunden war, wollte Mertin es aber nicht weiter bewerten. Es verböten sich auch Spekulationen darüber, wie ein deutscher Gerichtsprozess zur Sache ausgegangen wäre.

Er habe auch keine Erkenntnisse, dass das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht bewährt hätte. Abändern könne es ohnehin nur der Bund, der das nicht plane.

Dennoch: Mertin kündigte an, mit den Generalstaatsanwaltschaften grundsätzlich darüber sprechen zu wollen, wie es in Zukunft ablaufen soll, wenn Strafverfahren unter das Truppenstatut fallen: "Wir werden die Erfahrungen der Staatsanwaltschaften des Landes auswerten und in Abstimmung mit der staatsanwaltlichen Praxis prüfen, ob konkretere Vorgaben sinnvoll erscheinen."

Weitere Erklärung zu nicht gewertetem Geständnis

Eine Neuigkeit gab es dann doch noch, nämlich dazu, warum das Geständnis des Soldaten vor Gericht nicht gewertet wurde: Ein Rechtsberater des US-Militärs habe dem Generalstaatsanwalt in Koblenz erklärt, die Ermittler der Air Force hätten einen ermittlungstaktischen Fehler gemacht und es habe ein Missverständnis gegeben.

Ob die deutschen oder die US-Ermittler aus Sicht der Richterin falsch gehandelt hatten, war in vorigen Erklärungen nicht deutlich geworden. Wie Mertin erklärte, ist der US-Soldat von deutschen Ermittlern in Anwesenheit von Ermittlern der Air Force zunächst als Zeuge belehrt worden. Als sich herausstellte, dass er der Tat verdächtig war, sei er als Beschuldigter belehrt worden - laut den Akten der deutschen Polizei auch korrekt nach deutschem Recht.

Eine anwesende US-Ermittlerin habe bei der Vernehmung hin und her übersetzt, so Mertin: "Die Richterin ging davon aus, dass es aufgrund von Versehen, Missverständnissen, was auch immer, nicht gelungen sein soll, dem Angeklagten hinreichend klar zu machen, dass er wegen eines Tötungsdelikts und nicht wegen einer Körperverletzung beschuldigt und gegebenenfalls angeklagt wird."

Freispruch empört Angehörige: Demos vor US-Air Base Spangdahlem

Vor Mertins Erklärung hatte der AfD-Landesvorsitzende Jan Bollinger ein Statement der Familie des Getöteten vorgelesen. Darin zitieren sie - wie schon bei vorangegangenen Demonstrationen - Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Dieses Versprechen sei Sohn Micha genommen worden. Ein System, das die Familie schützen sollte, habe versagt.

Die Familie des getöteten Micha Ovsjannikov stand vor dem Ausschuss mit den AfD-Abgeordneten Joachim Paul (2. von links) und Jan Bollinger (4. von links) zusammen. Landesvorsitzender Bollinger las im Ausschuss ein Statement der Familie vor.

Die Familie des getöteten Micha Ovsjannikov stand vor dem Ausschuss mit den AfD-Abgeordneten Joachim Paul (2. von links) und Jan Bollinger (4. von links) zusammen. Landesvorsitzender Bollinger las im Ausschuss ein Statement der Familie vor.

Auch deshalb hatten schon zweimal hunderte Menschen vor dem US-Flugplatz Spangdahlem in der Eifel protestiert. Denn dort hatte ein Militärgericht den Soldaten im Oktober freigesprochen. Nach dem heutigen Rechtsausschuss sagte Vater Michael Ovsjannikov dem SWR: "Das ist sehr gut, dass alle Parteien irgendwie involviert waren. Wir werden jetzt warten, was weiter läuft, und dann werden wir sehr, sehr wahrscheinlich noch rechtliche Wege einleiten."

AfD und Querdenker bei vergangenen Protesten dabei

Schon bei der zweiten Demonstration vor der Air Base Ende November waren auch politische Akteure und Aktivisten vor Ort, darunter ein Bundestagsabgeordneter der AfD und bekannte Mitglieder der sogenannten Querdenkerszene. Es wurden Deutschlandfahnen geschwenkt und die Nationalhymne gespielt.

Mit Deutschlandfahnen und einem Foto des getöteten Wittlichers laufen die Demonstranten zur Air Base in Spangdahlem.

Mit Deutschlandfahnen und einem Foto des getöteten Wittlichers laufen die Demonstranten zur Air Base in Spangdahlem.

In dem Aufruf zum Protest in Mainz, der über soziale Netzwerke geteilt wurde, heißt es: "Deutschland hat sich freiwillig von der Kontrolle über sein Rechtssystem verabschiedet. Wie viel Macht hat die USA über uns?" Von der politischen Vereinnahmung der Proteste haben sich einige Teilnehmer mittlerweile distanziert.

Sendung am Do., 12.12.2024 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4

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