
Rheinland-Pfalz Geflüchteter in Ausländerbehörde gelockt und festgenommen: Fall aus Neuwied wirft Fragen auf
Ein Geflüchteter erscheint zum Termin in der Ausländerbehörde - es soll um seine Zukunft in Deutschland gehen. Stattdessen wird er festgenommen und soll abgeschoben werden.
Am 30. April erhält Tarek (Name von der Redaktion geändert) ein Schreiben von der Ausländerbehörde Neuwied. Trotz seines abgelehnten Asylantrags vor zwei Jahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll er zu einer Besprechung seiner weiteren Perspektive und der Möglichkeit einer Arbeitserlaubnis erscheinen. Die Caritas-Beraterin Olga Scott ermutigt den jungen Ägypter, den Termin wahrzunehmen.
Der Vorfall in der Ausländerbehörde Neuwied
Doch bei dem Termin kommt es anders: Den 28-Jährigen erwartet, statt eines Gesprächs, die Festnahme durch die Polizei. Laut seiner Dolmetscherin werden die mitgebrachten Unterlagen nicht geprüft, lediglich seine Identität wird bestätigt. Dann treten zwei Polizisten durch eine Hintertür ein. Tarek gerät in Panik. Sein Wunsch, den Bruder anzurufen, wird abgelehnt. Im Hinterhof der Behörde versucht er zu fliehen, wird jedoch von der Polizei aufgehalten und in Abschiebehaft gebracht.
Versteckte Abschiebung unter dem Deckmantel der Beratung
Für Olga Scott von der Caritas Neuwied ist der Fall eindeutig: "Das war ein massiver Vertrauensbruch." Sie berät Tarek seit 2023 und war bis zuletzt davon ausgegangen, dass der Termin der Klärung einer möglichen Aufenthaltsperspektive diene. Auch das Einladungsschreiben, das dem SWR vorliegt, enthält keinerlei Hinweise auf eine geplante Abschiebung.
Scott spricht von einer bisher guten Zusammenarbeit zwischen der Ausländerbehörde Neuwied und der Caritas. Das Vorgehen in diesem Fall sei für sie aber schockierend und nicht zu verstehen. Auch auf mehrfache, schriftliche Nachfragen seitens Scott kam bis jetzt keine Reaktion der Behörde.
Kreisverwaltung Neuwied verteidigt Vorgehen als rechtmäßig
Laut der Kreisverwaltung Neuwied war die Festnahme rechtmäßig, da der Asylantrag des Mannes 2023 abgelehnt worden war und er damit ausreisepflichtig gewesen sei. Außerdem habe Tarek seinen Reisepass trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt. Ein solches Vorgehen erfolge nach Angaben der Kreisverwaltung Neuwied stets auf Grundlage bestehender Vorschriften. Das teilte die Behörde dem SWR mit.

Olga Scott ist Teil der Beratungsstelle von der Caritas Neuwied
Tarek sei zu keinem Zeitpunkt untergetaucht, habe keine Straftaten begangen und sich stets kooperativ gezeigt. Eine Ausbildungsmöglichkeit in einem Krankenhaus habe bereits bestanden. Gerade deshalb sei der Termin zur angeblichen Klärung seiner aufenthaltsrechtlichen Situation so entscheidend gewesen.
Flüchtlingsrat spricht von einem alarmierenden Vorgehen
Der Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz kritisiert, dass die Ausländerbehörden Menschen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in eine Falle lockten. Das sei eine absolut inhumane Praxis, die so nicht stattfinden sollte, so Nina Gartenbach vom Flüchtlingsrat. Sie betont außerdem, dass solche Maßnahmen das Vertrauen der Menschen in die Institutionen zerstöre. Und auch die Caritas Neuwied sagt: "Wir werden es nicht zulassen, dass die Migrationsberatung zur Vollziehung von Abschiebemaßnahmen instrumentalisiert wird."
Wir stehen für Schutz, Transparenz und Unterstützung - nicht für Täuschung, Kontrolle oder das gezielte Unterlaufen von Vertrauen. Olga Scott, Caritas Neuwied
Der Fall aus Neuwied sei kein Einzelfall - in den vergangenen Monaten habe man ein deutlich härteres Vorgehen bei Abschiebungen beobachtet.
Tischfestnahmen als letztes Mittel zur Sicherung der Abschiebung
Das rheinland-pfälzische Ministerium für Integration erklärt auf Anfrage des SWR, dass es den Fall aus Neuwied nicht im Detail kenne. Die Durchführung von Abschiebungen liege grundsätzlich bei den kommunalen Ausländerbehörden.
Die Festnahme von Ausreisepflichtigen ist das letzte Mittel zur Sicherung der Abschiebung. Sie ist nur erforderlich und überhaupt zulässig, wenn der ausreisepflichtige Ausländer ein Verhalten gezeigt hat, das eine Fluchtgefahr darstellt. Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz
Festnahmen unter falschem Vorspiegeln eines Beratungstermins seien "nicht unrechtmäßig", müssten aber "die absolute Ausnahme" bleiben, heißt es. Grundsätzlich sollten Abschiebungen so wenig einschneidend wie möglich ablaufen. Zugleich betont das Ministerium: Eine Festnahme sei nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr bestünden. Nach Kenntnis der Landesregierung kommt es in Rheinland-Pfalz nur selten zu solchen Maßnahmen - eine Statistik dazu wird jedoch nicht geführt.
Für Tarek hat der Termin in Neuwied alles verändert. Aus der Hoffnung auf eine Pflegeausbildung wurde eine Inhaftierung in Abschiebehaft. Wann - und ob - er Deutschland verlassen muss, ist bisher noch unklar.