Rheinland-Pfalz FAQ: Warum viele Kommunen immer tiefer in die Schulden rutschen
Erst 2023 hat das Land ein neues Finanzierungsmodell für die Städte, Kreise und Gemeinden eingeführt. Warum stecken trotzdem immer mehr Kommunen in finanziellen Schwierigkeiten? Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Was hat sich mit dem neuen Finanzierungsmodell geändert?
Löst das Finanzierungsmodell das Problem der jahrelangen Unterfinanzierung der Kommunen?
Sind die Befürchtungen zum neuen Finanzierungsmodell eingetreten?
Wie sieht die Lage in den Landkreisen aus?
Wie sieht die Lage in den kreisfreien Städten aus?
Wie sieht die Lage in den Ortsgemeinden aus?
Was sagt das Land zu den Gerichtsklagen?
Was sagt das Land zur Forderung nach mehr Geld?
Wie viel mehr Geld fordern die Kommunen vom Land?
Was hat sich mit dem neuen Finanzierungsmodell geändert?
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat im Dezember 2020 festgestellt, dass das Finanzierungsmodell, mit dem das Land die Kommunen seit mehr als 70 Jahren mit Geld versorgt, gegen die Verfassung verstößt. Das daraufhin neu entwickelte Modell orientiert sich an den Aufgaben der Kommunen: Einen Reisepass ausstellen zum Beispiel oder einen Kitaplatz zur Verfügung stellen.
Vereinfacht formuliert wird ausgerechnet, was die Aufgaben kosten, zieht davon ab, was die Kommunen aus ihren eigenen Einnahmen selbst bezahlen können. Und das, was übrig bleibt, ist der Betrag, den das Land den Kommunen zahlt. Das neue Finanzierungsmodell ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten, gilt also jetzt seit rund zwei Jahren.
Löst das Finanzierungsmodell das Problem der jahrelangen Unterfinanzierung der Kommunen?
Die Oppositionsparteien von CDU, Freien Wählern und AfD haben das von Anfang an bezweifelt und hatten deshalb im Dezember 2022 im Landtag gegen die Einführung des neuen Finanzierungsmodells gestimmt. Sie kritisierten unter anderem, dass die Kommunen auch nach dem neuen Modell immer noch zu wenig Geld bekämen. Die Kommunalverbände hatten damals die gleiche Befürchtung.
Sind die Befürchtungen zum neuen Finanzierungsmodell eingetreten?
So wie es aussieht, ja. Die Kommunen beklagen, dass das Geld vom Land auch im neuen Finanzierungsmodell bei Weitem nicht reiche. Die jüngsten Zahlen des Landesrechnungshofs bestätigen diese Entwicklung. Demnach sind die Einnahmen der Kommunen 2023 insgesamt um 1,8 Prozent gestiegen. Die Ausgaben dagegen sind um 10,1 Prozent gestiegen – also um mehr als das fünffache.
Der Rechnungshof geht davon aus, dass sich daran auch in den kommenden Jahren wenig ändern wird. Es drohe den Kommunen eine "Fortsetzung der Schuldenmisere", heißt es sehr deutlich im Bericht des Rechnungshofs. Denn: Wenn die Ausgaben höher sind als die Einnahmen und alles Sparen nichts nützt, müssen sich die Kommunen das fehlende Geld über Kredite besorgen.
Wie sieht die Lage in den Landkreisen aus?
Die Entwicklung, die der Rechnungshof skizziert, zeigt sich exemplarisch im Landkreis Südwestpfalz. Landrätin Ganster (CDU) sagte dem SWR, sie habe jetzt nicht mehr genügend Einnahmen, um die laufenden Kosten etwa für Gehälter, Strom oder Heizung zu bezahlen. Sie müsse dazu zunehmend Kassenkredite aufnehmen - vergleichbar mit einem Überziehungskredit beim Girokonto. Ganster sagt, ihr Kreis habe noch nie solche Kredite gebraucht.
Aber im vergangenen Jahr 2023 habe man erstmals Kassenkredite im Umfang von rund 6 Millionen Euro aufnehmen müssen. Für dieses Jahr (2024) rechne man mit 25 Millionen und im kommenden Jahr (2025) mit mehr als 46 Millionen Euro an Kassenkrediten. Ganster sagt, "das zeigt doch, dass das neue Finanzierungsmodell zumindest in unseren Kreis nicht funktioniert. Wenn das Land uns genügend Geld geben würde, wären wir nicht auf einmal gezwungen Kassenkredite aufnehmen".
Dieses Problem hat offensichtlich nicht nur Landrätin Ganster. Der Landkreistag teilt mit, nach den aktuellen Planzahlen würden die Kassenkredite aller Kreise im kommenden Jahr voraussichtlich um mehr als 300 Millionen Euro steigen. Dabei hatte das Land den Kreisen erst in diesem Jahr im Rahmen eines Entschuldungsprogramms laut Landkreistag rund 500 Millionen Euro an Kassenkrediten abgenommen. Der Landkreistag kritisiert, einerseits helfe das Land, die Schulden zu reduzieren, andererseits sorge es durch eine zu geringe Versorgung mit Geld dafür, dass wieder neue Schulden entstehen würden.
Wie sieht die Lage in den kreisfreien Städten aus?
Der Städtetag geht aufgrund aktueller Planzahlen davon aus, dass die meisten Städte im kommenden Jahr Kassenkredite aufnehmen müssen, weil ihre Ausgaben höher sind, als die Einnahmen. Der Geschäftsführer des Städtetags, Michael Mätzig, sagt: "Selbst eine Stadt wie Koblenz, die einen Haushaltsausgleich immer geschafft hat, steht plötzlich in der Planung mit einem zweistelligen Millionenbetrag in der Kreide – Tendenz eher in Richtung dreistellig". Der Oberbürgermeister von Pirmasens, Zwick (CDU), wird deutlicher und sagt: "So schlimm war es noch nie. Bisher war es immer so, dass ein paar Städte ausgeglichene Haushalte hinbekommen haben. Aber für nächstes scheinen alle rote Zahlen zu schreiben", so Zwick.
Wie sieht die Lage in den Ortsgemeinden aus?
Die Dachorganisation der Ortsgemeinden, der Gemeinde- und Städtebund GStB hat von Anfang an beklagt, dass die Ortsgemeinden die Verlierer des neuen Finanzierungsmodells seien. Die 26 Dörfer in der Verbandsgemeinde Adenau sehen das genauso und haben – jeder für sich - eine Gerichtsklage gegen das Land eingereicht.
Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde, Guido Nisius (CDU), veranschaulicht das Finanzproblem der Gemeinden an dem Dorf Bauler – dem kleinsten in der Verbandsgemeinde. Nisius sagt, in Bauler müsse eine Dorfstraße erneuert werden. Aber trotz Fördergeld habe das Dorf nicht das Geld, um seinen Anteil an der Erneuerung der Dorfstraße zu bezahlen. Ein Kredit sei unrealistisch, denn es fehle das Geld, um Zins und Tilgung zu bezahlen.
Von der Kommunalaufsicht heiße es immer, die Kommunen müssten ihre Einnahmen erhöhen, so Nisius. In einem 50-Einwohner-Ort kämen bei einer Erhöhung der Grundsteuer oder der Gewerbesteuer aber nur minimale Beträge zusammen. Der GstB hat ausgerechnet: Eine Erhöhung des bisherigen Grundsteuer-Hebesatzes von 465 auf rund 1.200 Prozent würde Bauler Mehreinnahmen von rund 5.400 Euro bringen. "Ein Kleckerbetrag, der uns nicht weiter bringt", sagt Bürgermeister Nisius. Bauler und viele andere Dörfer stünden mit dem Rücken zur Wand, ihre Lage sei aussichtslos. Ihnen bleibe gar nichts anderes mehr übrig, als das Land zu verklagen, so Nisius.
Was sagt das Land zu den Gerichtsklagen?
Zuständig ist das Innenministerium. Dieses teilt mit: "Es ist das gute Recht jeder Kommune, den Rechtsweg zu beschreiten. Eine inhaltliche Bewertung der angekündigten Klagen ist aktuell nicht möglich, da Begründungen bisher nicht vorliegen."
Was sagt das Land zur Forderung nach mehr Geld?
Das Innenministerium teilt mit, dass man plane, die Geldsumme, die das Land den Kommunen pro Jahr über das Finanzierungsmodell zukommen lässt, in den kommenden beiden Jahren 2025 und 2026 zu erhöhen, "um die steigenden Belastungen der kommunalen Haushalte aufzufangen", heißt es.
Wie viel mehr Geld fordern die Kommunen vom Land?
Die Kommunen sagen, es reiche nicht aus, dass das Land die Geldsumme im Finanzierungsmodell für die Kommunen erhöhe. Die geplanten Erhöhungen würden die tatsächlichen Ausgabensteigerungen bei Weitem nicht ausgleichen. Der Vorsitzende des Landkreistags Rheinland-Pfalz, Schwickert, sagte dem SWR, das Land müsse den Kommunen pro Jahr mindestens 400 Millionen Euro zusätzlich geben.
Sendung am Fr., 13.12.2024 5:00 Uhr, Guten Morgen RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz