Bundeswehrübung im Wald nahe der Kaserne Agustdorf

Nordrhein-Westfalen Zeitenwende bei der Bundeswehr: zwischen altem Drill und neuen Sorgen

Stand: 30.05.2025 10:18 Uhr

Von der Gefechtsübung im Wald bis hin zum Kasernenalltag: Einen Tag lang hat das WDR-Magazin "Westpol" exklusive Einblicke in das Leben junger Soldaten bekommen und sie begleitet. Wie blicken sie in diesen Zeiten auf ihren Dienst?

Von Mathea Schülke

Korporal Joel aus Paderborn ist 31 Jahre alt und seit zehn Jahren Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Seine Motivation reicht weit zurück: "Ich habe als Kind den 11. September miterlebt. Das hat mich geprägt", erzählt er. Der Kampf gegen den Terrorismus sei für ihn ein wichtiger Grund gewesen, zur Bundeswehr zu gehen. Später hatte er selbst zwei Einsätze in Afghanistan.

Kampfeinsatz in Afghanistan

Auch sein Kamerad, der 34-jährige Oberstabsgefreite Dennis aus Bad Honnef, hat 2021 in Afghanistan gekämpft. Eine Praxiserfahrung, die weit entfernt ist von bloßem Training. Einen "realen Feind zu haben, wenn man auf Patrouille fährt" und einen "echten Auftrag" durchzuführen, das habe ihn geprägt, erzählt er. Ein realer Einsatz, das heißt aber auch mit dem Sterben umzugehen. Die beiden haben in Afghanistan einen Kameraden verloren. Sie versuchen aber, nicht zu oft daran zu denken, sagt Dennis.

Also wirklich Angst habe ich nicht. Bedenken hat man natürlich immer, zu sterben. Aber weil man ja professionell ausgebildet wird, nimmt das so ein bisschen die Angst, die Handlungssicherheit überwiegt.

Dennis, Oberstabsgefreiter

Übung für den Ernstfall

Bundeswehrübung bei Augustdorf

Korporal Joel, 31, und Oberstabsgefreiter Dennis, 34

In einer dreitägigen Übung im Wald, nicht weit entfernt von der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf im Kreis Lippe simulieren die Panzergrenadiere des Bataillons 212 einen Angriff feindlicher Infanterie. Alarm, Feuerbefehl, MG-Salven, Nebelgranaten – alles wirkt real. Am Ende wird die Ausrüstung der "gefallenen" Feinde durchsucht, der Auftrag gilt als erfüllt. In der anschließenden Manöverkritik werden die Fehler besprochen, dann geht es wieder von vorne los - vom frühen Morgen bis zum Abend.

Doch lässt sich der Ernstfall wirklich proben? Es sei schwierig "zu spekulieren", meint Joel. Er konzentriere sich stets auf seinen Auftrag. Um etwas zu verarbeiten, habe man "Gespräche mit der Familie und den Kameraden".

Krieg in Europa – Gespräche über die Front

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Blick auf die Bundeswehr ein anderer. Dennis kennt ukrainische Kameraden, die dort im Einsatz sind. Sie berichten ihm, dass sie nirgendwo mehr sicher seien, vor allem wegen der Drohnen, und dass sie in "ihren Löchern sitzen" und hoffen, "nicht ausgelöscht" zu werden.

Für den Bataillonskommandeur Sven Scharnitzki hat sich die Lage seiner Soldaten verändert: "Mit dieser Bedrohung, die wir derzeit aktuell haben, ist es auch für meine Soldatinnen und Soldaten greifbarer, dass es vielleicht im Extremfall dazu kommen könnte, dass wir unserem Eid verpflichtet sind."

Bundeswehrübung in Augustdorf

Bundeswehrübung in Augustdorf

Man habe jetzt mehr Verantwortung, aber auch mehr Mittel. Von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr sei auch in Augustdorf schon etwas angekommen. Sie konnten die alte Ausrüstung der Panzergrenadiere aus den Neunziger Jahren erneuern. Jetzt gebe es endlich richtige "Schutzwesten".

Eine große Herausforderung sei die Anwerbung des Nachwuchses. In Augustdorf gebe es damit kein Problem, bundesweit aber schon. 180.000 Soldaten hat die Bundeswehr, laut Experten müssten es mindestens 200.000 sein, andere sprechen von 400.000. Zu einer möglichen Wehrpflicht möchte sich der Kommandeur nicht äußern, denn die ist politisch umstritten. Aber mit der Freiwilligkeit sei es manchmal schwierig. Einige brächen die Grundausbildung ab, wegen des "Heimwehs" und des "frühen Aufstehens".

Alltag in Augustdorf

Enge Wohnstube in Kaserne Augustdorf

Zu viert Leben sie hier in der Wohnstube

Der Alltag in der Kaserne ist geprägt von Drill und wenig Privatsphäre. Die Soldaten müssen sich zu viert eine kleine Stube teilen – Doppelstockbetten, wenig Stauraum für die schwere Ausrüstung. Man gewöhne sich daran, es stärke die Kameradschaft, versichern sie. Manchmal gebe es "Reibereien", aber die "größte Herausforderung" sei das Schnarchen der Kameraden. Da helfe nur Ohropax.

Wunsch nach Wertschätzung – und funktionierenden Panzern

Sie müssen sich einschränken, verzichten, im Ernstfall ihr Leben riskieren.

Was ich mir jetzt persönlich wünsche: in der Gesellschaft mehr Wertschätzung. Ganz klar, das ist mir jetzt persönlich noch nicht passiert. Aber dass nicht irgendwer am Bahnhof verprügelt wird, wenn jetzt der schmächtige Obergefreite da steht und mit der Bahn fährt. Ja, einfach mehr Wertschätzung.

Dennis, Oberstabsgefreiter

Außerdem würde er sich wünschen, dass es nicht an Material fehlt. Die Schützenpanzer Puma werden derzeit umgerüstet – manche Übungen finden deshalb ohne echte Fahrzeuge statt. Statt gegen wirkliche Panzer zu kämpfen, müssen die Soldaten ihre Panzerfäuste ins Leere schießen.

Bleibt man körperlich und seelisch unversehrt?

Zum Abschluss des Übungstags kehrt kurz Ruhe ein. Lagerfeuer, Gespräche – Nachdenklichkeit. Die Realität des Krieges bleibt präsent. Wer an vorderster Front kämpfe, so wie sie, überlegt Dennis, komme wahrscheinlich weder körperlich noch seelisch unbeschadet davon. Das sei ein "heikles Thema".

Am nächsten Morgen geht der Drill weiter. Für Joel und Dennis ist klar: Sie sind bereit – trotz aller Risiken.

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR Fernsehen: am 01.06.2025 um 19:30 Uhr im WDR Fernsehen.

Redaktioneller Hinweis: Aus Sicherheitsgründen werden die Nachnamen der Soldaten nicht genannt.