Feuerwehrleute stellen am Freitag, 13. September 2024, Teile einer Hochwasser-Schutzwände in Prag auf.

Nordrhein-Westfalen Starkregen und Hochwasser: Was Deutschlands Nachbarländer erwartet

Stand: 14.09.2024 14:22 Uhr

Warnungen vor Dauerregen versetzen nicht nur Österreich, Polen und Tschechien in Alarm. Über Flüsse können die Wassermassen für Hochwasser auch in Ostdeutschland sorgen.

Die Anspannung in weiten Teilen Österreichs, Polens und Tschechiens ist groß: Dauerregen ist angesagt. "Es schüttet seit zweieinhalb Tagen mehr oder weniger durch", beschreibt die Wien-Korrespondentin der ARD, Silke Hahne, die aktuelle Lage beispielsweise im Norden Österreichs.

Hochwasser in Österreich, Polen und Tschechien | WDR aktuell

Weil davon einige wichtige Flüsse betroffen sind, wächst auch in Deutschland die Angst vor einem Hochwasser. Für NRW besteht bislang keine Gefahr, der Rhein ist vom Abfluss der Wassermassen aus den drei Nachbarländern nicht betroffen. Doch im Süden und Osten der Bundesrepublik sieht es anders aus.

Die Lage im Überblick:

Dresden erwartet "20-Jahre-Hochwasser"

Betroffen vom Hochwasser wäre die Oder, die von Polen nach Deutschland fließt. In der polnischen Region um Malczyce ist der Pegelstand der Oder erheblich gestiegen. In Eisenhüttenstadt und in Frankfurt an der Oder nehmen die Pegelstände ebenfalls zu.

Auch der Pegelstand der Donau bei Passau steigt seit Donnerstag stetig an, ebenso Neisse und Spree. Für Gebiete in Sachsen entlang der Elbe einschließlich Dresden, aber auch östlich davon, gibt das "Länderübergreifende Hochwasserportal" die erste Hochwasser-Warnstufe aus.

Schaulustige vor der  teils eingestürzten Carolabrücke in Dresden

Der Teilabriss der Carolinabrücke erfolgt unter Hochdruck.

In Dresden wird derweil unter Hochdruck der endgültige Abriss des beschädigten Teils der Carolabrücke vorangetrieben. Der sogenannte Brückenzug C mit Straßenbahngleisen war in der Nacht zum Mittwoch auf 100 Metern teilweise in die Elbe gestürzt. Die Einsatzkräfte gehen davon aus, die Brückenteile vor dem erwarteten Hochwasser geborgen zu haben. Aktuell rechnen sie mit einem Ende der Arbeiten am Samstagabend. Zu den Abrissarbeiten gibt es einen Livestream.

Der Scheitelpunkt des Hochwassers in Dresden soll laut des MDR eher am Montag oder Dienstag erreicht werden. Nach Einschätzungen von Experten werde dort nicht mit einem "Jahrhunderthochwasser", sondern mit einem "20-Jahre-Hochwasser" gerechnet - also einem Hochwasser, das nach Berechnungen alle 20 Jahre auftreten kann.

In Bayern vor allem Alpenrand betroffen

Der Deutsche Wetterdienst sagt voraus, dass am stärksten das Chiemgau, das Mangfallgebirge und das Berchtesgadener Land betroffen sein dürften. Die Meteorologen sprechen von einer bis Sonntagfrüh anhaltenden "Dauerregensituation am Alpenrand" - teils mit Unwettern.

In der Passauer Altstadt sollte in den Abendstunden mit ersten Sperrungen gerechnet werden, aktuell treffen die Einsatzkräfte entsprechende Vorkehrungen. Der Donau-Pegel in der Drei-Flüsse-Stadt betrug am Samstagvormittag bereits 6,35 Meter - am Donnerstagabend waren es noch knapp unter fünf Meter. Großflächige Überflutungen werden in Passau nach derzeitigem Stand aber nicht erwartet.

Angespannte Lage in Österreich und Polen

Die höchste Warnstufe für Teile Niederösterreichs rund um Wien hat indes der österreichische Wetterdienst ausgeben: Von Donnerstag bis Dienstag sei mit ergiebigem Regen zu rechnen. Bei 120 bis 200 Millimeter Regen pro Stunde seien Überflutungen wahrscheinlich, Bäche und Flüsse könnten über die Ufer treten. Auch mit Verkehrsbehinderungen müsse man rechnen.

Bislang habe es noch keine Katastrophen-Meldungen gegeben, erklärte Wien-Korrespondentin Hahne am Samstagmorgen im WDR. Alleine in Niederösterreich habe die Feuerwehr aber "schon ordentlich zu tun". So habe es in der vergangenen Nacht mehr als 160 Einsätze gegeben, vor allem wegen Sturms. "Es ist nicht nur regnerisch, es windet auch sehr, sehr kräftig", so Hahne. Der Peak soll in der Nacht auf Montag erreicht werden.

In Polen wird in der Nähe der deutschen Grenze ebenfalls vor starken Regenfällen und einem rasanten Anstieg der Flusspegelstände gewarnt. "Es ist nicht mehr so ganz die Ruhe vor dem Sturm, der Sturm kommt langsam", sagte Warschau-Korrespondent Martin Adam am Samstagmorgen.

An mehreren Stellen wurde inzwischen Hochwasseralarm ausgelöst. Landesweit sei die Alarmstufe am 47 Pegelmessstationen überschritten worden, teilte das Meteorologische Institut mit. Im Südwesten Polens ging seit Freitagmorgen mehr Regen nieder als beim sogenannten Jahrhunderthochwasser 1997.

Zehntausende Haushalte in Tschechien ohne Strom

Auch in Tschechien spitzt sich die Lage zu. "Wir bereiten uns auf die schlimmsten Szenarien vor", sagte Regierungschef Petr Fiala. Die Wasserstände vieler Flüsse sind nach anhaltenden Regenfällen stark gestiegen, erste Dörfer mussten evakuiert werden.

Mehr als 60.000 Haushalte sind ohne Strom. Am stärksten betroffen ist laut tschechischer Medien der Nordwesten des Landes an der Grenze zu Sachsen. Wegen durchnässter Böden und starken Windes seien Bäume auf Stromleitungen gefallen.

Wie werden Regenmengen gemessen?

Am Donnerstag kalkulierte die Vorhersage für Österreich bis zu 200 Millimeter Regen innerhalb von knapp fünf Tagen, das entspricht 200 Litern Regenwasser pro Quadratmeter. Zum Vergleich: In Deutschland fielen im gesamten Jahr 2023 im Durchschnitt 958 Liter Regen und Schnee auf den Quadratmeter. In NRW regnete es mit 1.220 Litern pro Quadratmeter übrigens deutlich mehr.

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Regenmengen im Vergleich | Grafik

Während der Flutkatastrophe 2021, die durch heftige Regenfälle ausgelöst worden war, registrierte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) beispielsweise in Hagen an einer Station mehr als 241 Liter pro Quadratmeter Niederschlag in nur 22 Stunden. In Wuppertal wurden 151 Liter in 24 Stunden gemessen.

Beim Hochwasser in Süddeutschland Ende Mai dieses Jahres fielen laut DWD innerhalb von vier Tagen im Schnitt 100 bis 200 Liter pro Quadratmeter, am Alpenrand lokal um 300 Liter - doppelt so viel wie in einem ganzen durchschnittlichen Monat.

Immer unterschiedliche Zeitbezüge

Richtig gut vergleichbar sind diese Regenmengen nicht, denn sie werden sowohl in den Vorhersagen der Wetterdienste als auch nach einem Starkregenereignis immer in unterschiedlichen Zeitbezügen angegeben. Das habe den einfachen Grund, dass manche Starkregenereignisse beispielsweise weniger als einen Tag dauern, andere dafür länger, erklärt Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst.

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Grafik: Regen pro Quadratmeter

"Bei den Unwetterwarnungen geben die Zeitangaben Aufschluss über die Bedrohlichkeit des Niederschlags", sagt Kirsche: Wenn 40 Liter pro Quadratmeter in zwölf Stunden vorhergesagt werden, sei ein anderes Szenario zu erwarten, als wenn 90 Liter in 48 Stunden vorhergesagt sind. Für eine Einschätzung sei dann aber noch entscheidend, ob der Regen auf bereits nässegesättigten Boden fällt und abfließt oder ob der Boden trockener und damit noch saugfähig ist.

"Angesuppte" Mittelmeerluft bringt viel Wasser mit

Die Ursache für die jetzt erwarteten Regenmassen sei ein Zusammenprall von polarer Kaltluft mit nasswarmer Mittelmeerluft auf Höhe der französischen Mittelmeerküste, sagt WDR-Meteorologe Jürgen Vogt. Durch rekordwarmes Mittelmeerwasser sei die Luft dort "feucht angesuppt".

Das Ergebnis sei ein Tiefdruckgebiet, das südlich an den Alpen entlang weiter Richtung Osteuropa ziehen werde. Über dem Riesengebirge in Tschechien und Polen und über den Ostalpen regne sich dieses Tief dann massiv ab.

Ein kleiner Lichtblick: Durch die polare Kaltluft auf der Rückseite des Tiefs sinkt in den Alpen gleichzeitig die Schneefallgrenze, sodass oberhalb von etwa 1.200 bis 1.500 Metern der Regen als Schnee herunterkommt. Das bedeutet, dass ein Teil der Niederschläge nicht sofort in die Bäche und Flüsse fließt, sondern als Schnee zwischengespeichert wird.

Fotografie von Jürgen Vogt

WDR-Meteorologe Jürgen Vogt

Aber: "In Tateinheit mit stürmischem Wind wird es wahrscheinlich zu Schneebruch, Stromausfällen und Murenabgängen kommen", warnt Vogt. Und ab Montag wird es voraussichtlich wieder wärmer - die Schneefallgrenze steigt dann auf über 2.000 Meter. Dadurch wird ab Anfang der Woche mehr Schmelzwasser in die Flüsse kommen und die Pegelstände zumindest noch hochhalten.

Unsere Quellen:

Über dieses Thema berichten wir am 14.09.2024 auch in der Aktuellen Stunde um 18.45 Uhr im WDR-Fernsehen.